"The Haus" in Berlin: Paradies für Streetart-Künstler
30. März 2017An einem sonnigen Märztag herrscht emsige Betriebsamkeit in einem alten, leer stehenden Berliner Bürogebäude. Die Wände im Erdgeschoss sind mit Graffiti übersät.
Kimo klemmt eine übergroße Zigarette zwischen den Fingern und nimmt einen tiefen Zug. Er ist eines der Mitglieder der Streetart-Crew Die Dixons. Zusammen mit seinen Kumpels hat er ein Kunstprojekt organisiert, das 165 Künstlern die Chance gibt, sich acht Wochen lang in den früheren Räumen der Berliner Volksbank zu präsentieren, bevor das Gebäude im Sommer abgerissen wird.
Kimos Handy klingelt. Er verlässt den Raum und kommt kurz darauf mit einer großen Tüte mit Gebäck und Snacks zurück. Die Bewohner des benachbarten Seniorenheims werden in Kürze erwartet. Sie dürfen vorab die Graffiti-Kunst begutachten. VIP-Gäste seien den Künstlern völlig egal, sagt Kimo.
"The Haus" ist eine Spielwiese für Streetart-Künstler
In dem "The Haus" genannten Projekt stehen den Künstlern 80 Räume zur freien Verfügung. Hier können sie machen, was sie wollen. Vermutlich wird der allergrößte Teil des 1000-Quadratmeter großen Gebäudes vom Boden bis zur Decke mit riesigen Wandbildern und Tags (den Künstlernamen der Sprayer) bedeckt - dafür ist Berlin schließlich berühmt. Aber auch Fotografen und Bildhauer präsentieren hier übergangsweise ihre Arbeiten.
Die Ausstellung läuft vom 1. April bis Ende Mai und ist kostenlos. Aber es gibt eine Regel: Fotografieren ist verboten. Die Besucher sollen die Welt nicht nur durch ihr Handy wahrnehmen, sondern sich von den Raumkonzepten der Künstler inspirieren lassen, erklärt Kimo.
Die Dixons - alias Kimo, Bolle, Katrin und Jörni - sind seit Jahrzehnten Teil der Berliner Streetart-Szene. Bekannt sind sie vor allem für ihre großformatigen Wandbilder, die in der Szene Murals genannt werden. "Wir malen, seit wir denken können", sagt Kimo.
Leeres Gebäude kreativ genutzt
Als sie erfuhren, dass die Kölner Immobilienfirma Pandion für das ehemalige Volksbank-Gebäude eine kreative Zwischenlösung vor dem Abriss suchte, präsentierten sie dem Unternehmen umgehend ihr Konzept für "The Haus". Dahinter steckt der Wunsch, die Streetart-Szene in Berlin zu vernetzen. Gleichzeitig soll "The Haus" als Modell für zukünftige Projekte in Berlin Pate stehen, damit die Streetart-Subkultur lebendig bleibt. Mit solchen Projekten zeige man Investoren, wie Kooperationen funktionieren können, sagt Kimo. Gebäude könnten in den Monaten oder sogar Jahren vor anstehenden Sanierungsarbeiten oder dem Abriss kreativ genutzt werden.
Das ehemalige Bürogebäude der Volksbank soll bald teuren Eigentumswohnungen weichen. Was für Pandion ein reines Marketing-Projekt ist, gibt den Dixons die Möglichkeit, Streetart zu fördern. "Sie benutzen uns, wir benutzen sie. Das nenne ich Kooperation", grinst Kimo. "Wenn es funktioniert, warum sollte es nicht mehr solcher Projekte geben?"
Kimo betont, dass die Gruppe unter anderen Umständen gar nicht erst erwogen hätte mitzumachen, in einer Stadt, in der die Mieten kontinuierlich steigen. "Wenn in Kreuzberg ein Mehrfamilienhaus abgerissen würde, um damit Geschäfte zu machen, würden wir nicht mitmachen", ergänzt er.
Ehemaliges Geldinstitut wird zum Gesamtkunstwerk
Wenig ist vor der Ausstellungseröffnung am Samstag über die Ausgestaltung der Räume nach außen gedrungen. Bekannt ist lediglich, dass die Künstler, zu denen auch die Berliner Größen Superbad Boys und El Bocho gehören, jegliche kreative Freiheit haben, ihre Räume zu gestalten.
Gesucht wurden Künstler, die das Konzept der Vergänglichkeit darstellen, meint Andrea Tavolaro, ein visueller Künstler aus Italien, im Gespräch mit der Deutschen Welle. Er stellt gerade seine naturgetreuen Skulpturen von nackten Menschen fertig, die die Besucher letztlich zerschlagen sollen.
Er schaffe eine Parallele von Kunst und Leben, sagt er. "Unser Leben ist zerbrechlich, alles, was wir tun ist zerbrechlich, sogar das Kolosseum wird nicht ewig bestehen."
Ihm gefalle die Vorstellung, die Räume einer ehemaligen Bank in ein Kunstwerk zu verwandeln, meint Tavolaro. So könne die Revolution in der Zukunft aussehen: "Man nimmt der Bank die Macht und gibt sie den Menschen zurück, damit sie wieder miteinander kommunizieren."
"Berlin ist das Mekka der Straßenkunst"
Ein anderer Raum ermöglicht eine einzigartige Virtual-Reality-Erfahrung. Auf Einladung der Dixons verwandelt die Menschenrechtsorganisation "International Justice Mission", die gegen Menschenhandel und Sexsklaverei kämpft, einen Raum in ein indisches Bordell. Nach einer Einweisung durch einen Vertreter der NGO, erhalten die Besucher Virtual-Reality-Brillen, durch die sie einen Blick auf das Leben einer Prostituierten werfen können, die von einer Schauspielerin dargestellt wird.
Berlins Senator für Kultur und Europa, Klaus Lederer, hat bereits die Schirmherrschaft für das Projekt übernommen. Die Dixons hoffen nun, dass die Stadt Urban Art auch künftig unterstützen wird. "Berlin nutzt Streetart schon heute in ihrer Öffentlichkeitsarbeit", sagt Kimo. "Warum sollten wir uns nicht zusammensetzen und ein Konzept für die Stadt erstellen - gerade auch, um in den Stadtteilen zu malen, die nicht so schön sind?" Zusammen könne man eine bunte Stadt erschaffen, die "der Welt zeigt, dass Berlin das Mekka der Straßenkunst ist".