Textile Hoffnung für Äthiopien
24. August 2013Äthiopiens Wirtschaft wächst und wächst und wächst. Seit 2007 zum Teil im zweistelligen Bereich. Für die Jahre bis 2016 rechnen Experten der Wirtschaftszeitung "The Economist" mit jährlichen Steigerungsraten von sieben bis acht Prozent.
Besonderes Augenmerk legt die Regierung in Addis Abbeba offenbar auf die Textilindustrie. Bis 2016 sollen Kleidungsstücke im Wert von einer Milliarde US-Dollar exportiert werden. Ansiedlungen wie die von Hennes & Mauritz kommen da natürlich mehr als passend.
Die schwedische Kette will nach Angaben eines Zulieferers bis zu einer Million Kleidungsstücke pro Monat aus dem ostafrikanischen Land beziehen. Testaufträge bei äthiopischen Produzenten seien schon platziert, bestätigte eine Unternehmenssprecherin.
Noch billiger als China
Viele Hersteller haben in der Vergangenheit große Teile ihrer Produktion in Billiglohnländer wie Bangladesch oder China verlagert. Doch nach und nach erhöhen sich auch dort die sozialen Standards, die Löhne steigen und die Weltöffentlichkeit blickt immer häufiger prüfend auf die Umstände, unter denen die Ware hergestellt wird. Das lässt die Produzenten nach Standorten Ausschau halten, die noch billiger sind und wo genügend Arbeitskräfte verfügbar sind.
Auf dem afrikanischen Kontinent sind bislang vor allem Marokko und Tunesien als Fertigungsorte für Kleidung bekannt. Meist handelt es sich dabei um Discountartikel. Andere Länder wie Ghana oder Kenia spielen nach Angaben des Dachverbands der deutschen Modeindustrie, GermanFashion, noch keine Rolle.
Eine bessere Option sei dagegen Äthiopien, weil es gleich mehrere Vorteile biete, sagt Thomas Ballweg, bei GermanFashion Berater für den Bereich "Beschaffung und Technik": "Da sind zum einen die niedrigen Kosten, die weit unter denen in China liegen, es leben dort 80 Millionen Menschen und es liegt nah am Meer. Über den Suezkanal geht es dann schnell nach Europa."
Damit könnten die Lieferzeiten auf ein Drittel gekürzt werden im Vergleich zu denen aus Fernost. Außerdem herrschten in Äthiopien und den umliegenden Ländern klimatische Bedingungen, die den Anbau von Baumwolle ermöglichen, betont Ballweg. Für die Produzenten wäre das günstig, weil sie dann auf den teuren Import der Stoffe verzichten können, aus denen die Kleidungsstücke gefertigt werden. Voraussetzung sei allerdings, dass die Baumwolle den Qualitätsansprüchen der Hersteller genüge.
Kein zweites Bangladesch
Neben H&M aus Schweden produzieren nach Angaben des nationalen Textil- und Bekleidungshersteller-Verbandes auch die britische Supermarktkette Tesco und der Textildiscounter Primark mit Hauptsitz im irischen Dublin bereits in Äthiopien. Beobachter warnen davor, das Land könnte zu einem zweiten Bangladesch werden. Dort müssen die Angestellten in Textilfabriken nach wie vor unter zum Teil skandalösen Bedingungen arbeiten. Immer wieder gibt es Berichte über eingestürzte oder niedergebrannte Produktionsstätten mit vielen Toten.
Christoph Kannengießer vom Afrika-Verein der deutschen Wirtschaft kann sich nicht vorstellen, dass Äthiopien ein ähnliches Schicksal bevorsteht, denn selbst Billigketten wie H&M oder Primark müssten auf ihren Ruf achten: "Für ein Markenunternehmen, das auf die Akzeptanz seiner Kundschaft angewiesen ist, ist es ja geradezu ein GAU, wenn bekannt wird, dass soziale oder Umweltstandards nicht eingehalten werden."
Aus seiner Sicht sind die Standards der Internationalen Arbeitsorganisation ILO und der Welthandelsorganisation WTO ausreichend. Außerdem gebe es zahlreiche unabhängige Nichtregierungsorganisationen und andere Gruppen, die Produktionsbedingungen in Billiglohnländern überprüfen.
Chance für die Gesellschaft
Die Textilindustrie erfordert, anders als beispielsweise die Elektroindustrie, keine hochqualifizierten Arbeitskräfte. Gleichzeitig sichert sie so den unteren Gesellschaftsschichten eine berufliche Zukunft und auf lange Sicht profitiert dann die gesamte Gesellschaft, beschreibt Christoph Kannengießer die Chancen einer Ansiedlung von Bekleidungs- und Stoffherstellern: "Je mehr Menschen in Arbeit sind und je mehr Menschen dazu in der Lage sind, sich zu ernähren, Gesundheitsdienstleistungen zu bezahlen, Bildungseinrichtungen für ihre Kinder zu bezahlen, umso besser sind die Chancen, dass sich das Bildungsniveau einer Gesellschaft insgesamt erhöht."
Die positive Entwicklung, die in den vergangenen Jahrzehnten in dieser Hinsicht in Asien zu beobachten gewesen sei, wäre ohne die Investitionen der Textilbranche nicht möglich gewesen.
Die Textilindustrie hat in Äthiopien eine lange Tradition. Die ersten Fabriken entstanden schon 1939, damals noch unter der faschistischen italienischen Besatzungsmacht. Zu Zeiten der ehemaligen DDR gab es dann auch im Textilsektor eine Zusammenarbeit mit dem damals kommunistisch regierten Äthiopien. Die veralteten Anlagen sind zum Teil noch immer in Betrieb. Vor allem aber ist die Infrastruktur im Land nur wenig ausgebaut, die Straßen sind schlecht und erst 15 Prozent der Bevölkerung sind an das nationale Stromnetz angeschlossen.
Nur eine kleine Flamme
Nach eigenen Angaben wird H&M trotz seiner Äthiopien-Pläne die bisherigen Hauptfertigungsstandorte in Asien nicht verkleinern und schon gar nicht aufgeben. Und Äthiopien wird sich nach Ansicht von GermanFashion auch nicht sprunghaft zum neuen Textil-Zentrum entwickeln. Dafür ist es im weltweiten Konzert der Herstellerländer einfach noch zu klein: Von den 13 Milliarden Euro Umsatz, die durch den Import von Kleidung in Deutschland pro Jahr erzielt werden, steuert Äthiopien aktuell nur einen winzigen Teil von weniger als einem Promille bei. "Der Einfuhrwert von 2012 lag bei 22 Millionen. Das ist ein ganz kleines Flämmchen und nicht der Riesenmarkt, der sich da entwickelt, wie andere es sagen. Das sehen wir im Moment noch nicht", sagt Thomas Ballweg von GermanFashion.