Eine Frage der Verantwortung
1. Juli 2016Eine typische Nachrichtenmeldung aus den 1990er Jahren lautete: "In den Fluss gestürzt: Fahrer folgte seinem Navigationsgerät". Kopfschütteln, Schmunzeln, vielleicht auch Häme. Das waren die typischen Reaktionen. Keinesfalls aber wurden die elektronischen Lotsen verdammt. Und der Siegeszug der Navis war auch nicht aufzuhalten.
Nun ist ein US-Autofahrer in seinem selbstfahrenden Tesla Model S unter einen Sattelschlepper gefahren, der gerade die Spur der Hightech-Limousine rechtwinklig kreuzte. Das "Autopilot"-System des Elektro-Autobauers Tesla konnte im hellen Licht den weißen Lastwagen-Anhänger nicht erkennen. Der Fahrer wurde tödlich verletzt.
"Katastrophe und Horrorszenario"
Mehr als eine Million Menschen sterben jedes Jahr bei Verkehrsunfällen weltweit, aber dieser eine Todesfall löst besonders heftige Reaktionen aus. Denn er stellt Fragen nach der Sicherheit der Selbstfahr-Technologie, die dringend einer Antwort bedürfen. Der US-Verkehrsaufsicht NHTSA und nicht zuletzt auch dem Autohersteller selbst dürften an einer gewissenhaften Aufarbeitung des Unfalls und seiner Umstände gelegen sein.
Das sei "eine Katastrophe und ein Horrorszenario" für die Autobranche, klagt der Duisburger Uni-Professor Ferdinand Dudenhöffer. Und auch Willi Diez vom Nürtinger Institut für Automobilwirtschaft sieht einen Rückschlag für die Branche: "Das wird die Skepsis bezüglich der Sicherheit in einem breiteren Publikum verstärken."
"Sicherheit gewährleistet"
Dabei hat Tesla stets betont, sein "Autopilot"-System sei eine neue Technologie in der sogenannten Beta-Phase, die standardmäßig abgestellt sei und erst bewusst aktiviert werden müsse. Fahrer würden beim Einsatz des Programms ausdrücklich aufgefordert, die Hände niemals vom Steuer zu nehmen und die Kontrolle und Verantwortung über das Fahrzeug zu behalten.
Das Unternehmen des Tech-Milliardärs Elon Musk verweist darauf, dass seine Wagen bereits über 130 Millionen Meilen (rund 210 Millionen Kilometer) mit eingeschalteter "Autopilot"-Funktion gefahren seien. Im regulären US-Straßenverkehr gebe es einen Todesfall pro 94 Millionen gefahrene Meilen. Deshalb, findet der Fahrzeugtechnik-Professor Hermann Winner von der Technischen Universität Darmstadt, könne Tesla "zurecht reklamieren, dass die Sicherheit als gewährleistet angesehen werden kann".
Verantwortungslos?
Noch - und das ist auch der Stand der Technik - liegt die Verantwortung ausschließlich beim Fahrer. Der verunglückte US-Bürger hatte zuvor noch Videos von seinen "Autopilot"-Fahrten ins Netz gestellt. Auf einem war zu sehen, wie das System einem Lastwagen auswich, der überraschend vor dem Tesla die Spur wechselte, und so eine wahrscheinliche Kollision vermied.
Es gibt aber auch Videos, in denen die Fahrer sich bei eingeschaltetem "Autopilot" mit anderen Sachen beschäftigen. Einer kletterte sogar auf den Rücksitz und filmte den leeren Fahrersitz während einer Autobahn-Fahrt. Um so etwas zu vermeiden, kontrolliert das System regelmäßig, ob der Fahrer die Hände am Steuer hat. Wenn nicht, ertönen akustische Alarmsignale und das Auto bremst ab.
Warum die Deutschen zögern
Auf deutschen Straßen sind teilautomatisierte Funktionen bereits im Einsatz, etwa Einparkhilfen oder Stauassistenten. Dass ein Fahrsystem hingegen die komplette Wegstrecke übernimmt, ist noch Zukunftsmusik. Und die deutschen Hersteller scheuen den Einbau solch umfassender Autopilot-Funktionen, weil sie allerhöchste Sicherheit gewährleisten wollen. Dadurch seien Daimler, BMW und VW im Vergleich zu internationaler Konkurrenz bei automatisierten Fahrfunktionen hinten dran, sagt Experte Diez. "Das wird ihnen häufig zum Vorwurf gemacht, aber jetzt zeigt sich, dass diese Vorsicht überaus positiv ist."