Reaktionen auf die Brüsseler Terrorangriffe
23. März 2016Nach dem Schock über die Terroranschläge am Brüsseler Flughafen und im EU-Regierungsviertel kommt in Deutschland eine Debatte um die innere Sicherheit in Gang. Wie groß ist die Gefahr von Terroranschlägen in Deutschland? Und wie kann man mehr Sicherheit schaffen? EU-Migrationskommissar Dimitris Avramopoulos kündigte am Mittwoch an, dass die EU-Innenminister "binnen Tagen" zu einer Sondersitzung zusammenkommen würden – um über die Konsequenzen aus den Anschlägen zu beraten. Bundesinnenminister Thomas de Maizière gab einen ersten Impuls am gestrigen Abend gegenüber der ARD. In der Sendung "Tagesthemen" forderte er, die Brüsseler Attacken als Weckruf für einen verstärkten Datenaustausch europäischer Sicherheitsbehörden zu verstehen. Eine lange geforderte, aber nie realisierte Verknüpfung vorhandener "Datentöpfe" in Europa sei notwendig, um dem internationalen Terrorismus mitten in Europa die Stirn bieten zu können. "Datenschutz ist schön, aber in Krisenzeiten wie diesen hat die Sicherheit Vorrang", so der Minister kämpferisch.
Maas: Art zu leben nicht kaputtmachen lassen
Bundesjustizminister Heiko Maas von der mitregierenden SPD rief in den Zeitungen der Funke-Mediengruppe die Bürger dazu auf, angesichts des Terrors nicht vor Angst zu erstarren. "Wir werden uns die Art, wie wir leben, von keiner Mörderbande kaputt machen lassen", sagte der SPD-Politiker. Thorsten Schäfer-Gümbel, stellvertretender SPD-Bundesvorsitzender, hatte am Morgen gegenüber dem Deutschlandfunk davor gewarnt, reflexartig über eine Verschärfung von Gesetzen zu spekulieren."Die meisten Bundesländer haben im letzten Jahr schon deutlich aufgesattelt, sowohl bei Polizei als auch bei den Landesämtern für Verfassungsschutz", so Schäfer-Gümbel. Tatsächlich wurden im Krisenjahr 2015 in Europa, wie auch in Deutschland, bereits zahlreiche Sicherheitsgesetze als Reaktion auf die Anschläge von Paris verschärft. In Deutschland wurde die Vorratsdatenspeicherung zur besseren Terrorbekämpfung ausgebaut, eine Verlängerung der Anti-Terrorgesetze wurde auf den Weg gebracht. Und auf EU-Ebene wurde ein besserer Austausch von Fluggastdaten vereinbart.
Dennoch sieht Wolfgang Bosbach, CDU-Innenpolitiker im Bundestag, dringenden Handlungsbedarf. Die Bundesländer müssten deutlich mehr Geld in die chronisch unterfinanzierten Sicherheitsbehörden stecken, so der Politiker ebenfalls im Deutschlandfunk. Ziel sei es, gut aufgestellte deutsche Polizeien mit europäischen Partnern nach dem Modell des gemeinsamen Terrorabwehrzentrums in Berlin-Treptow zu vernetzen, so Bosbach: "Wie wir dort die Sicherheitsbehörden des Bundes und der Länder koordinieren, das muss auch auf europäischer Ebene geschehen." Bosbach wünscht sich eine einheitliche Definition des Begriffs "Gefährder" in allen EU-Staaten. Und er unterstrich die Forderung, des Innenministers, Datenschutzregeln zu lockern. Es gebe in Europa sicherheitsrelevante Daten im VISA-Informationssystem sowie im Schengen-Informationssystem, auf die Sicherheitsbehörden aus Datenschutzgründen nicht gemeinsam zugreifen könnten. "Diese Daten stecken in einem großen Silo, und diese Silos stehen nebeneinander. Wichtig wäre allerdings eine Gesamtschau." Hier habe die europäische Zusammenarbeit bislang versagt.
Kriminalpolizei: "Intelligente Kontrollen"
Für André Schulz, Präsident beim Bund deutscher Kriminalbeamter, steht es Deutschland nicht zu, mit dem erhobenen Zeigefinger auf Versäumnisse anderer EU-Staaten oder der EU-Bürokratie zu zeigen. Auch in Deutschland scheitere die Polizeiarbeit allzu oft an den Egoismen zwischen den einzelnen Bundesländern. "Landesgrenzen sind oftmals weiter Informationsgrenzen", sagte Schulz gegenüber dem Deutschlandfunk. Als Gewerkschafter wies er insbesondere auch auf die verfehlte Personalpolitik bei den Sicherheitsbehörden hin. Viele Polizei-Behörden hätten in den vergangenen Jahren massiv Personal abgebaut. Das räche sich jetzt, so Schulz: "Man versucht, Personal einzustellen, aber bekommt teilweise gar nicht mehr das Personal, was man benötigt und auch die Ausbildungsstellen der Polizei kommen an ihre Kapazitätsgrenzen." Als konkrete Antwort auf die unvermindert hohe Gefahr von Terroranschlägen in Deutschland forderte Schulz die Einführung "intelligenter Kontrollen" an den deutschen Grenzen. Wie hoch die Gefahr sei, könne aber auch er nicht konkretisieren. "Wir haben ja durchaus die Möglichkeit der sogenannten Schleierfahndung, also Maßnahmen, an den Grenzen, wo Spezialisten sich den Personenverkehr anschauen und dann gezielt kontrollieren". Dies könne ein Weg sein, um geschlossene Grenzen zu vermeiden.
Innenminister: Keine konkreten Deutschlandbezüge
In Bezug auf die Gefährdungslage in Deutschland hatte der Innenminister am gestrigen Abend wiederholt, diese sei "unverändert hoch". Die Sicherheitsbehörden würden jedoch alles in ihrer Macht stehende tun, um Anschläge zu verhindern. Ein sichtbares Zeichen setzte die Bundespolizei bereits wenige Stunden nach den Anschlägen. Die Präsenz von Polizisten an Flughäfen, Bahnhöfen und sicherheitskritischen Gebäuden wurde deutlich ausgeweitet. Grenzkontrollen an Übergängen zu den Benelux-Staaten und Frankreich wurden verstärkt - und nach dem Prinzip der Schleierfahndung Sichtkontrollen durchgeführt. Ein Sprecher des Innenministeriums sprach am Mittwoch davon, dass sich derzeit rund 450 "Gefährder" in Deutschland aufhalten sollen. CDU-Politiker Bosbach verschärfte, auch mit Blick auf die Einreise von zigtausenden Flüchtlingen ohne Papiere in den vergangenen Monaten, die Tonlage. "Wir sollten niemand ins Land lassen mit völlig ungeklärter Identität und Nationalität". Dass dies kein Rezept gegen terroristische "Gefährder" darstellt, die als Staatsbürger bereits im Land leben, gestand allerdings auch er ein.