Terror überschattet Nigerias Weltwirtschaftsforum
7. Mai 2014Nigerias Regierung hatte sich alles so schön vorgestellt: Als Gastgeber des afrikanischen Weltwirtschaftsforums (WEF) wollte sich das Land als führende Wirtschaftsmacht Afrikas präsentieren. Zu dem Treffen in Anlehnung an das jährliche Weltwirtschaftsforum im schweizerischen Davos reisen von Mittwoch (07.05.2014) bis Freitag mehr als tausend hochrangige Delegierte aus aller Welt in Nigerias Hauptstadt Abuja. Darunter auch kein geringerer als Chinas Premierminister Li Keqiang.
Nigeria ist der weltweit achtgrößte Erdöl-Exporteur, der Mobilfunkmarkt und die Baubranche boomen. Nach neuesten Berechnungen hat das westafrikanische Land sogar Südafrika als größte afrikanische Volkswirtschaft überholt und gilt mit seinen 168 Millionen Einwohnern als attraktiver Markt für ausländische Investoren.
Anschläge, Entführungen, Tote
Doch vor dem "afrikanischen Davos" macht Nigeria nicht mit glänzenden Wirtschaftsdaten, sondern mit Gewalt und Terror Schlagzeilen. Das islamistische Terrornetzwerk Boko Haram überzieht den muslimisch dominierten Nordosten des Landes mit einer Welle der Gewalt, die inzwischen auch die Hauptstadt erreicht hat.
In Abuja herrscht Angst, seit bei zwei Anschlägen innerhalb von drei Wochen rund 90 Menschen starben. Beide Attentate fanden unweit von einander statt, der letzte am vergangenen Donnerstag (01.05.2014). Hinzu kommen Entführungen: Vor drei Wochen wurden mehr als 200 Schülerinnen aus ihrer Schule verschleppt. Anfang der Woche wurden offenbar erneut mehrere Mädchen entführt.
Schulen bleiben geschlossen, Firmen machen Urlaub
Um während des Business-Treffens die Sicherheit zu gewährleisten, wird Abuja nun zwei Tage lang fast vollständig abgeriegelt. Das Aufgebot an Sicherheitskräften sei das größte, das je bei einem internationalen Treffen eingesetzt wurde, versichern die Behörden. Staatliche Schulen bleiben geschlossen, ebenso die meisten Behörden. Firmen wird geraten, die Mitarbeiter zwei Tage in Urlaub zu schicken. "Ich glaube, das ist das beste, was die Regierung nun machen kann", sagt eine Passantin, die weitere Anschläge fürchtet, einem DW-Reporter in Abuja.
Nigerias Präsident Goodluck Jonathan allerdings will bei diesen Sicherheitsvorkehrungen keinen Zusammenhang mit der Gewalt der vergangenen Wochen erkennen. "Dass wir viele Institutionen in diesen zwei Tagen schließen, ist ein ganz normaler Vorgang - das tun andere Länder auch", sagt er im Gespräch mit der DW. "In dem kleinen Städtchen Davos verlassen die meisten Bewohner während des Weltwirtschaftsforums sogar die Stadt", so der Präsident.
Präsident Jonathan ist froh
Trotz der Sicherheitskrise gibt sich Nigerias Präsident entspannt. Selbst dass seine Behörden mehr als drei Wochen nach der Entführung der Schulmädchen im nordöstlichen Chibok keinerlei Spur haben, bringt ihn nicht aus der Ruhe. "Eine Sache ist wirklich gut und macht mich sehr froh, nämlich dass sie unversehrt sind - also weder verletzt oder tot", sagte er am Sonntag (04.05.2014) in seiner ersten öffentlichen Äußerung überhaupt zu dem Vorfall.
In den Ohren der Angehörigen klingt das wie Hohn. Viele der Mädchen, die am 15. April von Boko Haram-Kämpfern entführt wurden, sollen inzwischen über die Grenze nach Kamerun und Tschad zu verbündeten Milizen gebracht und mit Kämpfern verheiratet worden sein. 53 der Mädchen konnten laut Polizeiabgaben fliehen, 276 sind weiterhin in der Gewalt der Terroristen.
Familien fühlen sich von Regierung im Stich gelassen
Gana Mustapha macht das fassungslos. Der Vater bangt seit Wochen um seine 14-jährige Tochter Awa, die sich in den Händen der Entführer befindet - wie weitere acht Mädchen aus seiner Großfamilie. Dass Präsident Jonathan seine Ankündigung wahr macht und "alles tut, um die Mädchen zu befreien", nimmt ihm Mustapha nicht mehr ab. "Da steckt viel Politik dahinter, denn die Regierung hat das schon unzählige Male angekündigt", sagt der Vater im Gespräch mit der DW. Seine Stimme überschlägt sich fast vor Verzweiflung.
"Wir in Chibok sehen keinerlei Maßnahmen seitens der Regierung. Ihr ist die Bevölkerung egal. Wir wissen nicht mehr, was wir machen sollen, denn die Regierung beschützt uns nicht", sagt Gana Mustapha. Vergeblich habe er mit anderen Angehörigen die Mädchen im Wald gesucht. "Wir beten, damit die Entführer Gnade mit den Mädchen haben." Der Vater schluckt und fährt fort: "Wir hoffen, dass sie sie nicht umbringen."
Weltweit gingen in den vergangenen Tagen Menschen auf die Straße, um ihre Solidarität mit den Angehörigen zu demonstrieren - auch in Nigeria. "Manche sagen, dass wir hier protestieren. Aber das tun wir nicht", sagt Sambido Hosaya, Vorsitzender der Organisation Chibok in Not. "Wir betteln und weinen, dass Nigeria uns hilft. Ich als Bürger möchte meinen Ärger darüber zeigen, dass die Regierung nichts tut."
Boko Haram bekennt sich zur Entführung
Doch diese Botschaften der Verzweiflung scheinen nicht zu den Adressaten durchzudringen. Jonathans Frau, Nigerias First Lady, soll nach Angaben von Angehörigen den protestierenden Familien vorgeworfen haben, die Entführung gemeinsam mit Boko Haram fingiert zu haben, um Schande über den Präsidenten und dessen Regierung zu bringen.
Gewissheit gibt es in diesem Punkt inzwischen. In einem Video bekannte sich Boko Haram zur Entführung. "Ich habe eure Mädchen entführt", sagt der politische Anführer Abubakar Shekau in der Aufnahme, die der Nachrichtenagentur AFP zugespielt wurde. "Die Schülerinnen werden als Sklavinnen bei uns bleiben", droht der Terroristenchef. Unklar ist, ob das Video bereits vor der Verschleppung einiger Schülerinnen nach Kamerun und Tschad aufgenommen worden war.