Terror von Rechts - mitten in Berlin?
6. April 2018Nein, mit Sicherheit kann Ferat Kocak nicht sagen, was genau ihn am frühen Morgen Anfang Februar aus den Schlaf gerissen hat: Vielleicht war es das Bersten der Scheiben seines Wagens. Oder aber der rötlich-helle Schein der Flammen, die bereits an der Wand des Hauses leckten, in dem Kocak und seine Eltern schliefen.
Aber wenn er nicht aufgewacht wäre, da ist er sich sicher, wäre er vielleicht gar nicht mehr hier. Denn es hätte nicht mehr viel gefehlt und nicht nur sein Auto, sondern auch das Haus wäre verbrannt.
Kocak, ein eloquenter Mann, dessen Eltern aus der Türkei stammen, stürzte zum Fenster und sah, dass das Auto im Carport neben dem Haus, wie er sagt, "extrem brannte". Ab dem Moment habe er nur noch funktioniert, sagt er und erzählt, wie er nach seinen Eltern schrie, damit sie aufwachten und dann nach draußen rannte, um das Feuer zu löschen.
"Ich wusste sofort, dass das ein rechter Anschlag war", sagt er und nickt entschlossen: Das wusste er sofort.
Serie von Brandanschlägen
Kocak, der im Marketingbereich für eine private Universität in Berlin arbeitet und sich für die Linke in der Lokalpolitik engagiert, ist sich deshalb so sicher, weil der Brandanschlag nur der vorerst letzte in einer Reihe von vielen in den vergangenen Monaten im Berliner Bezirk Neukölln.
In derselben Nacht brannte außerdem das Auto eines Mannes, der einen linken Bücherladen in Neukölln betreibt.
Angriff auf Multikulti?
In den hippen Bars, Cafés und Restaurants von Neukölln bilden Studenten, Alteingesessene, Zugezogene aus der ganzen Welt und Deutsche, deren Eltern aus der Türkei und dem Nahen Osten kommen, den Mix, den viele gerne "Multikulti" nennen.
Während es immer mehr Touristen nach Neukölln zieht, sind andere weniger angetan von dem bunten Neukölln: Seit 2016 brennen immer wieder Autos von Menschen, die sich gegen Rechts oder für Flüchtlinge engagieren, Scheiben werden eingeworfen und Drohungen an die Wände ihrer Häuser geschmiert: "ROTE DRECKSAU" oder "DU LINKE RATTE" sind nur einige der Beispiele der Beschimpfungen, die auf Fotos zu sehen sind, die der DW vorliegen.
Nach Angaben von ReachOut, einer NGO, die Opfer von Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus berät und unterstützt, gab es 2016 in Neukölln 38 Anschläge und Übergriffe, 2017 insgesamt 36. Anfang März hat die Bezirksverordnetenversammlung die Polizei aufgefordert, die Anschläge als "Terror" einzustufen.
Aber auch ohne die Einstufung als solche ist die Botschaft der Anschläge klar: Allen, die sich gegen Rechts, für Flüchtlinge und ein buntes Neukölln engagieren, Angst und Schrecken einzujagen.
Menschen wie Ferat Kocak, der, so erzählt er es in seinem Büro, gar nicht überrascht war, als es ihn traf: "Als die Anschlagswelle kam, dachte ich: Wann bin ich dran?" Denn Kocak engagiert sich in der Lokalpolitik und hat auch bei einem Mobilisierungstreffen von Linken Kräften in Neukölln mitgemacht. Auf Facebook veröffentlicht er Posts, die öffentlich einsehbar sind, in denen er mahnt: "Nazis aus den Köpfen."
Wer steckt hinter den Anschlägen?
Wer mit Opfern und Aktivisten redet, stößt schnell auf zwei Namen aus dem Umfeld der NPD Neukölln. Denn die Täter, so sind sich alle einig, würden sich bestens in Neukölln auskennen, spähten ihre Opfer aus und wüssten, wer sich auf der Lokalebene engagiert.
Die rechtsextreme NPD mit ihrem traditionell gewaltbereiten Flügel hat bei den letzten Wahlen die Fünfprozenthürde und damit den Einzug ins Parlament verfehlt. Der Vorstoß, die Partei zu verbieten, scheiterte Anfang 2017 vor dem Bundesverfassungsgericht. Die Richter bescheinigten der Partei zwar verfassungsfeindliche Ziele, begründeten ihr Urteil aber damit, dass es ihr am "Potenzial", die Demokratie tatsächlich zu beseitigen, fehle. Soll heißen: Die Partei sei zu unbedeutend, um verboten zu werden. Eine "Grundtendenz" zur Durchsetzung ihrer Ziele mit Gewalt könne der NPD nicht nachgewiesen werden - auch wenn es Einschüchterungen und Bedrohungen gebe.
Deutschland soll "irgendwo deutsch bleiben"
In dem etwas düsteren Büro der NPD in Berlin reicht Sebastian Schmidtke eine Dose Apfelschorle, Marke NPD, mit dem Schriftzug "…natürlich deutsch!" Schmidtke, den man auf ersten Blick eher bei der FPD als der NPD vermuten würde, erklärt, dass die Rollladen meist geschlossen seien, aufgrund der vielen Angriffe von "Linksextremisten" auf das Haus, vor dem eine NPD-Fahne über der dicken Eingangstür baumelt.
Schmidtke, der ehemalige Landeschef der NPD Berlin, der sich für die Partei vor die Kameras stellt, ist ausgesprochen höflich, redegewandt und geübt darin, jegliche Vorwürfe von Gewalt abzubügeln. Ein Mann, der weiß, was er in die Mikrofone sagen darf und muss, damit ihm und seiner Partei kein Strick daraus gedreht werden kann.
Nein, die "Zusammensetzung" Neuköllns gefalle ihm nicht so gut, er spricht von der "Überfremdung" mancher Berliner Bezirke. Deutschland, so sagt er es, solle schon "irgendwo deutsch bleiben", um gleich hinterher zu schieben, dass die NPD aber natürlich nichts gegen den Besitzer eines Dönerladens habe. Oh nein, nur die "kriminellen Ausländer", müssten abgeschoben werden, Gewalt sei natürlich keine Option für seine Partei.
Ausschließen aber, dass jemand aus dem Umfeld der Partei an den Anschlägen beteiligt ist, will er aber nicht: "Ich kann nicht für 5000 Leute meine Hände ins Feuer legen." Sollte aber jemand eine "extreme Gewalttat" verüben, müsse man darüber nachdenken, denjenigen aus der Partei auszuschließen. Nein, bislang habe man zwar noch niemanden ausgeschlossen, gibt Schmidtke dann zu, der selbst 2013 angeklagt wurde wegen Gewalt gegen eine Gegendemonstrantin - das Verfahren wurde gegen eine Geldstrafe eingestellt. In den vergangenen Jahren haben andere im Vorstand der Partei Strafen für schwere Körperverletzung und Volksverhetzung bekommen.
Im Februar, kurz nach dem Brandanschlag auf Kocaks Auto, hat das Landeskriminalamt Berlin die Häuser zweier Verdächtiger durchsucht. Die Ermittlungen dauern an. Seitdem haben laut ReachOut die Anschläge allerdings aufgehört.
"Wichtiger ist, dass du nicht im Kopf daran kaputt gehst"
Aber viele befürchten, dass es sich nur um eine kurze Pause handelt. Schon 2011 und 2012 gab es eine rechte Anschlagswelle in Berlin, der eine relativ ruhige Phase folgte, nachdem ein NPD-Mitglied, dessen Namen auch jetzt immer wieder fällt, eine Gefängnisstrafe antrat. Kurz nachdem dieser 2016 entlassen wurde, brannten wieder Autos in Neukölln.
In den Gesprächen mit Opfern und Aktivisten fällt auch immer wieder der Name Burak Bektas, ein 22-Jähriger, der vor sechs Jahren auf offener Straße erschossen, manche sagen regelrecht hingerichtet wurde. Bislang hat die Polizei keinen Täter ermitteln können, und obwohl es keine direkte Verbindung zu der Anschlagsserie gibt, ziehen Betroffene den Mord doch immer wieder als Beweis heran, dass man die rechtsextreme Szene in Berlin nicht unterschätzen dürfe.
So auch Ferat Kocak: Die Neuköllner-Täter seien zu sehr vielem, vielleicht zu allem fähig, glaubt er. "Wer um drei Uhr morgens einen Brand direkt an einem Wohnhaus legt, der hat im Prinzip mit berücksichtigt, dass auch das Haus brennt."
Seit dem Anschlag schläft er schlecht, lässt das Fenster offen und schreckt bei jedem noch so kleinen Geräusch hoch. Dann, sagt er, rennt er wieder zum Fenster und guckt, ob nicht wieder die Flammen die Nacht erhellen.
Vor Kurzem habe sein Vater ihn beiseite genommen und ihm gesagt: "Was sollen die denn machen? Dann setzen die halt noch ein Auto in Brand. Das ist doch eh alles versichert. Viel wichtiger ist, dass du nicht im Kopf daran kaputt gehst."
Natürlich habe sein Vater Recht, sagt Kocak. Aber es sei eben nicht so einfach, die Angst zu vergessen.