Terror trifft türkische Tourismusbranche
11. August 2015Unter den beliebtesten Reisezielen belegte die Türkei mit 42 Millionen Besuchern im letzten Jahr den sechsten Platz. Die Einnahmen aus dem Tourismus lagen bei rund 30 Milliarden Dollar. Die jüngsten Terrorattacken nach dem Selbstmordanschlag in Suruc sorgen allerdings dafür, dass sich immer mehr Besucher um ihre Sicherheit sorgen. Seit den Militäroperationen gegen die Terrormiliz "Islamischer Staat" und die kurdische Arbeiterpartei PKK sind die Einnahmen im Tourismussektor eingebrochen - nach Zahlen des Türkischen Statistischen Instituts (TUIK) um 13,8 Prozent im ersten Halbjahr im Vergleich zum Vorjahreszeitraum.
Reisehinweise für die Türkei
Der Rückgang des Tourismus begann im letzten Jahr, als die Europäische Union (EU) wegen der Ukraine-Krise Sanktionen gegen Russland verhängte. Normalerweise besuchen jedes Jahr rund 4,5 Millionen Russen die Türkei. Als Resultat der mit den Sanktionen verbundenen wirtschaftlichen Probleme kamen plötzlich 30 Prozent weniger. Bürgerkriege in Nachbarländern wie dem Irak und in Syrien sorgen ebenfalls für leere Hotels in der Türkei. Operationen des türkischen Militärs gegen die PKK und den "Islamischen Staat" gefährden besonders die Sicherheit im Osten der Türkei. Die Ressorts an der Ägäis und an der Mittelmeerküste sind die Leidtragenden. Nach dem tödlichen Anschlag von Suruc haben neun Länder – darunter Deutschland und Russland – Reisehinweise für die Türkei herausgegeben und warnen ihre Bürger besonders davor in die Grenzregionen des Landes zu reisen. Sieben weitere Länder – Neuseeland, Australien, Italien, Großbritannien, Polen, Irland und Kanada – raten ihren Bürgern vom Besuch osttürkischer Städte ab. Einige empfehlen, öffentliche Verkehrsmittel in den Metropolen des Landes zu meiden.
"Wir versuchen zu beweisen, dass die Türkei sicher ist"
2015 könnte ein verlorenes Jahr für die türkische Tourismusbranche werden. Die Regierung ist allerdings unwillig, dieses negative Bild zu kommentieren. Der Vizeminister für Kultur und Tourismus, Abdurrahman Arıcı, sagte der Nachrichtenagentur Anadolu, dass es Kräfte gäbe, die versuchten, der Türkei den Ruf eines "gefährlichen Landes" anzuhängen. Um das zu verhindern, habe das Ministerium in ganz Europa Ausstellungen organisiert. Dem Minister zufolge half das, 200.000 zusätzliche Touristen aus Deutschland anzuziehen.
Andere Tourismusvertreter sind allerdings besorgt. Cem Polatoglu, Chef einer Reiseveranstalterplattform, sagt gegenüber der Deutschen Welle, dass der türkische Tourismus auf die Konsequenzen der russischen Wirtschaftskrise vorbereitet war – aber die unerwarteten Terroranschläge seien ein ernstes Problem für die Branche. Viele Touristen würden die Osttürkei wegen der PKK-Anschläge und der Militäroperationen der Regierung meiden. Polatoglu rechnet nicht damit, dass sich die Lage in absehbarer Zeit bessert. Er glaubt, dass die wachsende Anzahl der Flüchtlinge in Touristenstädten wie Bodrum die Probleme des türkischen Tourismus noch verstärkt.
Niedrigere Preise
Auch Izmir verliert Besucher wegen der Flüchtlingskrise. Mehmet Isler, Präsident von Aegean Touristic Enterprises, sagt: "Diese humanitäre Tragödie bringt Hunderttausende an unsere Küsten, die versuchen, nach Europa zu fliehen. Alle Parks und Gärten in Izmir sind voll mit diesen Menschen." Isler zufolge sind im Moment rund 130.000 syrische Flüchtlinge in Izmir. "Es macht uns traurig eine solche Tragödie mitzuerleben. Das ist eine sehr schlechte Sache für den Tourismus während der Hauptsaison und der Izmir International Fair", sagt er.
Seiner Meinung nach hat auch die zunehmende Islamophobie in Europa Einfluss auf die türkische Tourismusbranche. "Unsere Wettbewerber versuchen mehr Besucher anzuziehen, indem sie unsere derzeitige Situation ausnutzen. Damit wir zumindest nicht allzu viele Gäste verlieren, haben wir die Preise um 25 Prozent gesenkt. Hätten wir das nicht getan, würde die Zahl der Touristen, die in die Türkei kommen, noch stärker sinken", sagt Isler. Er schätzt, dass die türkische Tourismusbranche in diesem Jahr mehr als 5 Milliarden Dollar weniger verdient. Um weitere Verluste zu verhindern, sagt Isler, sei ein Notfallplan der Regierung nötig. Ansonsten werde die Situation 2016 noch schlimmer, wenn sich das Bild der Türkei in Europa nicht verbessere. Dass die Türkei nach den letzten Wahlen noch immer keine neue Regierung hat, macht die Situation noch schwieriger.