Terror-Prävention im Libanon
6. Mai 2015"Wir werden dich, deine Schwester und deine ganze Familie töten", drohte ein Häftling. Doch auch solche Einschüchterungsversuche hielten Maya Yamout nicht davon ab, weiterzuarbeiten - im berüchtigten Block B des Hochsicherheitsgefängnisses Roumieh bei Beirut. Dort sitzen 160 Terrorverdächtige ein. Maya Yamout und ihre Schwester Nancy wollten herausfinden, warum sich die Männer dem "Islamischen Staat" oder anderen Terrororganisationen angeschlossen hatten. Zwei Jahre lang besuchten die beiden jungen Frauen fast täglich das Gefängnis, um mit den Insassen wissenschaftliche Interviews zu führen. Die zunächst schwierigste Aufgabe: das Vertrauen der Gefangenen zu gewinnen.
Im Libanon rekrutieren radikal-islamistische Gruppen bei weitem nicht so viele Kämpfer wie im Irak oder Syrien. Dennoch kommen auch Libanesen im heiligen Krieg des selbsternannten Kalifen Abu Bakr al-Baghdadi ums Leben, wie der ehemalige Jurastudent Alaa al-Hosni, der in Kobani fiel. Sein Tod war ein großer Schock, aber nicht die einzige besorgniserregende Nachricht für den Libanon: In der Hafenstadt Tripoli kam es im vergangenen Jahr zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen radikalen Islamisten und der libanesischen Armee. Keimzellen des Terrors entstehen dort vor allem im konservativen Viertel Bab al-Tabbaneh, wo radikal-sunnitische Scheichs ihren verzerrten, unbarmherzigen Islam predigen. Die Zahl ihrer Anhänger ist zwar noch gering, für Maya und Nancy dennoch alarmierend.
Gehirnwäsche im Gefängnis
Da auch im Gefängnis rekrutiert wird, entschieden die Schwestern, Häftlinge zu befragen. "In Roumieh verpassen die Terroristen jungen Männern eine Gehirnwäsche", behauptet Maya. Sie erzählt von ihrer Begegnung mit einem Insassen, der aus ärmlichen Verhältnissen in Tripoli käme. Für eine warme Mahlzeit hätte er mit 16 Jahren Sprengstoff im Auftrag eines radikalen Scheichs ausliefern sollen. Dabei wurde er geschnappt und kam später nach Roumieh, wo er acht Jahre ohne Gerichtsverhandlung einsaß. "Als er endlich frei gelassen wurde, rief er mich an und sagte, dass er sich nun dem IS in Syrien anschließen würde", fährt Maya fort. Für die Radikalisierung im Gefängnis macht sie vor allem das libanesische Justizsystem verantwortlich, in dem Gerichtsverhandlungen für Terrorverdächtige zu lange aufgeschoben würden. So bliebe radikal-islamistischen Hardlinern im Gefängnis viel Zeit, andere Insassen für ihre Zwecke zu instrumentalisieren.
Es war ein schwieriger Weg bis die beiden jungen Frauen das Vertrauen von insgesamt 20 Terrorverdächtigen gewannen. Zuerst mussten Maya und Nancy den sogenannten Emir von ihrer Forschungsarbeit überzeugen. Einen Emir gibt es immer. Er ist der Anführer der Häftlinge in Block B, der von seinen Mitinsassen als eine Art Interessenvertreter gewählt wird. Der aktuelle Emir ist unter dem Decknamen Abu Walid bekannt, stammt aus dem Südlibanon und gehört al-Kaida an. Nach einem längeren Gespräch gab er den Schwestern schließlich grünes Licht, mit den Inhaftierten in seinem Block zu sprechen.
Wenn die Vaterfigur fehlt
Mayas und Nancys Ziel war es, herauszufinden, was junge Menschen in die Arme der radikalen Islamisten treibt. Ein Muster wiederholte sich immer wieder: "Den meisten der 20 Befragten fehlte eine Vaterfigur, zu der sie aufblicken konnten. Denn entweder war der Vater verstorben oder misshandelte sie als Kinder", erklärt Nancy. Vor allem im Teenageralter wären solche Jugendliche leicht zu manipulieren. Genau dann, wenn sie nach Identität und Anerkennung suchen, die sie schließlich bei einem radikal-islamistischen Anführer fänden.
Maya und Nancy therapieren Jugendliche zwischen elf und 16 Jahre in Workshops an libanesischen Schulen. Die meisten von ihnen kommen aus Syrien und haben dort viel Gewalt gesehen oder nicht selten am eigenen Leib erfahren. "Die Terroristen, die wir in Roumieh interviewten, waren als Kinder auch ständig mit Gewalt konfrontiert. Ihre Erfahrungen vergleichen wir mit denen der Jugendlichen im Workshop. Durch diese Gegenüberstellung können wir sehen, bei wem überhaupt ein Radikalisierungsrisiko besteht", sagt Nancy. Mit deren Familien entwickeln die Schwestern dann eine Art Fahrplan für die Zukunft, in dem vor allem der Berufswunsch der Jugendlichen berücksichtigt und gefördert wird. Ihre Organisation nennt sich "Rescue me!" - zu Deutsch: "Rette mich!". Der Name ist Programm und die Schwestern sind mit ihrem persönlichen Anti-Terror-Kampf offenbar erfolgreich.
Unterfinanzierter Anti-Terror-Kampf
In einem ihrer Workshops therapierten sie einen Jungen, der scheinbar kurz davor stand, in ein IS-Kindertrainingslager zu kommen. Von ihm erfuhr Maya, wie der IS Kinder zu Kampfmaschinen ausbildet: "Ein IS-Kämpfer gab ihm ein Gewehr. Er befahl: 'Schieß auf einen Stein!' Der Junge drückte ab. Danach sollte er eine Katze töten. Die nächste Stufe wäre dann, auf einen leblosen Körper zu schießen und, zum Schluss der Ausbildung, jemanden zu ermorden." Im Gespräch mit dem Jungen fanden die Schwestern heraus, dass er gerne Journalist werden wollte. Deshalb gaben sie ihm die Möglichkeit ein Journalismus-Seminar zu besuchen und das Thema IS war damit vom Tisch gewesen. "Wir haben ihn davon abgehalten, unschuldige Menschen zu töten. Das war mehr wert als alles Geld der Welt", sagt Maya und strahlt übers ganze Gesicht.
Mit "Rescue me!" wollen sie noch weit mehr Menschen helfen, doch das scheiterte bisher an der Finanzierung. "Wir brauchen Unterstützung. Wir sind bereit, uns für den Kampf gegen den Terror weltweit stark zu machen", sagt Nancy. Um zu zeigen, wie ernst ihnen das ist, ruft Maya ein Foto auf ihrem Smartphone auf. Darauf ist ein junger Mann zu sehen, mit Vollbart und Kalaschnikow - ein Märtyrer des IS. Während sie es betrachtet, zittern ihre Hände: "Ich und meine Schwester machen diese Arbeit, weil sich Freunde von uns solchen Gruppen angeschlossen haben. Wir wollen weitermachen, denn wir haben genug Tränen gesehen."