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Politik

"Die Lage wird sich verschlechtern"

10. Dezember 2017

Gewalt, Zwangsprostitution, Genitalverstümmelung: Unzählige Frauen werden Opfer von Menschenrechtsverletzungen. Noch immer. "In den Krisengebieten wird es noch schwieriger", warnt Christa Stolle von Terre des Femmes.

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Libanesische Frauen demonstrieren vor einem Justizgebäude gegen sexualisierte Gewalt (2016)
Libanesische Frauen demonstrieren vor einem Justizgebäude gegen sexualisierte Gewalt (2016)Bild: Getty Images/AFP/P. Baz

Deutsche Welle: Frau Stolle, an diesem Sonntag ist der Internationale Tag der Menschenrechte. Sie sind Geschäftsführerin der Frauenrechtsorganisation "Terre des Femmes". Wie geht es den Frauen im zu Ende gehenden Jahr 2017?

Christa Stolle: In keinem Land der Welt sind wirklich 50 Prozent der Frauen in allen Jobs und 50 Prozent der Männer auch in Haushalt und Familie aktiv - obwohl das unser Ziel ist. Dennoch: In Europa haben Frauen schon sehr viele Rechte erkämpft. Und auch in Bezug auf sexualisierte Gewalt hat sich einiges verbessert. In Deutschland ist zum Beispiel das entsprechende Gesetz verschärft worden: "Nein" heißt jetzt auch "nein". Dass in Deutschland das Heiratsalter auf 18 Jahre hochgesetzt wurde, ist auch ein Vorbild für andere Länder, damit dort die Mädchen nicht so früh verheiratet werden und zur Schule gehen.

Das klingt erst mal positiv: Dennoch sind Frauen weltweit gesehen besonders häufig von Menschenrechtsverletzungen betroffen.

Ja. Die weibliche Genitalverstümmelung zum Beispiel ist leider in 26 afrikanischen Ländern noch Tradition. Mindestens zweihundert Millionen Frauen sind betroffen. Die Praktik hat enorme Auswirkungen auf die Gesundheit von Frauen, abgesehen davon dient sie auch der Kontrolle der Sexualität der Frau. Dagegen wehren wir uns gemeinsam mit afrikanischen Frauenorganisationen.

Christa Stolle, Bundesgeschäftsführerin Terre des Femmes
Christa StolleBild: Uwe Steinert

Von Gewalt im Namen der Ehre sind vor allem Frauen in muslimischen Ländern betroffen: Die Frauen sollen jungfräulich in die Ehe gehen, möglichst wenig in der Öffentlichkeit auftreten und sich nicht mit fremden Männern treffen. Wenn sie sich an diese Regeln nicht halten, müssen junge Frauen damit rechnen, von der Familie ausgestoßen und schlimmstenfalls sogar umgebracht zu werden. Das Problem der häuslichen und sexualisierten Gewalt haben wir überall auf der Welt. Auch in Deutschland ist jede vierte Frau von häuslicher Gewalt betroffen. Das ist eine wahnsinnige Einschränkung für das Leben von Frauen, die ja nicht nur körperlich, sondern auch seelisch misshandelt werden. Das ist eine Menschenrechtsverletzung, die noch viel stärker thematisiert werden muss.

Auch die gezielte Abtreibung weiblicher Föten gehört zu den geschlechtsspezifischen Menschenrechtsverletzungen. Jedes Jahr werden 1,5 Millionen weibliche Föten abgetrieben, weil die Eltern lieber einen Jungen wollen. Vor allem in Asien werden jetzt auch die Folgen spürbar: Denn in China und Indien fehlen sehr viele Frauen. Das führt wiederum zu Frauenhandel. Die Männer, die auf dem heimischen Partnermarkt keine Gattin gefunden haben, kaufen sich Frauen aus ärmeren Ländern, wie zum Beispiel aus Nepal. Das Thema Frauenhandel spielt auch bei der Prostitution eine große Rolle, auch in Europa. In Berlin kommen mittlerweile 90 Prozent der Prostituierten aus ärmeren Ländern Osteuropas - sicherlich nicht alle freiwillig.

Auf der Webseite von Terre des Femmes steht: Im eigenen Heim lebt es sich am gefährlichsten und das gilt auch für Deutschland. Was bedeutet das?

Laut Bundesfamilienministerium sind 2015 fast 130.000 Menschen Opfer von Mord, Totschlag, Körperverletzung, Vergewaltigung, sexueller Nötigung, Bedrohung und Stalking in Partnerschaften geworden. Fast immer - in 82 Prozent der Fälle - waren die Opfer weiblich. Dazu kommt eine hohe Dunkelziffer. Allein schon an diesen Zahlen sehen wir, dass wir ein unglaublich großes Problem haben, das wir angehen müssen. 

Haben die Menschenrechtsverletzungen an Frauen in Deutschland denn zugenommen?

Die Statistiken besagen, dass sexualisierte Gewalt zugenommen hat. Wir wissen allerdings nicht, ob die Gewalt wirklich zunimmt oder sich einfach mehr Frauen wehren und zur Polizei gehen. Wir haben inzwischen ein gutes Helfersystem, das den Frauen zur Seite steht, sie auch vor Gericht begleitet. Das kann natürlich auch dazu führen, dass sich mehr Frauen trauen, aus einer gewalttätigen Beziehung auszubrechen. Nichtsdestotrotz müssen wir noch viel tun: Die Frauenhäuser sind voll, die Beratungsstellen überlastet.

Vergewaltigte Frauen in der DR Kongo
Vergewaltigte Frauen in der DR Kongo: Vor allem in Kriegs- und Krisengebieten nimmt die Gewalt zu Bild: Imago/ZUMA Press

Auch bei der weiblichen Genitalverstümmelung sind die Zahlen gestiegen. Das hängt mit der Zuwanderung aus Ländern zusammen, in denen das praktiziert wird. Wir befürchten, dass noch mehr Mädchen aus afrikanischen Communitys in den Ferien in ihr Herkunftsland gebracht werden könnten und dort verstümmelt werden. Wir haben aber noch keinen Fall in Deutschland, wo wir nachweisen können, dass es hier gemacht wurde.

Auch die Zwangsverheiratung ist gestiegen, vor allem die Zahl der Frühverheirateten. Die Frage ist: Wie geht man mit diesen minderjährigen Ehefrauen um? Sind Mann oder Frau unter 16 Jahre, wird die Ehe in Deutschland nicht anerkannt. Zwischen 16 und 18 Jahren wird die Ehe aufgehoben - das heißt, die minderjährigen Ehefrauen werden bei uns als unbegleitete Minderjährige behandelt und kommen in die Obhut des Jugendamtes und nicht in die Obhut des Ehemannes. Das begrüßen wir sehr.

Wie wird sich - nach Ihrer Einschätzung - die Lage der Frauen 2018 verändern?

Es gibt sicherlich Regionen, wo sie sich verbessern wird, zum Beispiel in China. Immer mehr Frauen sind am wirtschaftlichen und politischen Leben beteiligt und haben wirklich einen Riesensprung gemacht. Das betrifft natürlich nur die bürgerliche Schicht in den Städten. Ganz generell, denke ich, wird sich die Lage der Frauen aber verschlechtern. In den muslimischen Ländern Nordafrikas wird es weiter Rückschritte geben. Beispiel Algerien: Dort dürfen Frauen oftmals nicht mehr ohne Kopftuch auf die Straße und nicht mehr zur Arbeit gehen. Die Bildungschancen von Mädchen haben sich rapide verschlechtert. In den Kriegs- und Krisengebieten wie zum Beispiel Syrien, Irak oder Jemen wird es für Frauen vermutlich noch schwieriger. In Kriegszeiten verschlechtert sich immer die Lage der Frau: Sie wird Opfer sexualisierter Gewalt, muss zu Hause bleiben. Ihr Job wird gekündigt, weil dann eben Männer die wenigen Jobs, die es noch gibt, haben sollen. 

Christa Stolle ist seit 1990 Bundesgeschäftsführerin von Terre des Femmes und Trägerin des Bundesverdienstkreuzes. Die Organisation, die 1981 in Hamburg gegründet wurde, setzt sich weltweit für Frauen ein.

Das Gespräch führte Stephanie Höppner.

Stephanie Höppner Autorin und Redakteurin für Politik und Gesellschaft