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Das Konflikt-Feld

Mathias Bölinger4. Februar 2016

Der Berliner Senat plant, auf dem Tempelhofer Feld eine Flüchtlingsunterkunft zu bauen. Warum der Widerstand dagegen groß ist, lässt sich nur verstehen, wenn man die Vorgeschichte kennt.

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Urban-Gardening-Installation auf dem Tempelhofer Feld (Bild: DW)
Urban-Gardening in Schuhen - auf dem Tempelhofer Feld leben Menschen ihre Kreativität ausBild: DW/M. Bölinger

Der Hund Holly zittert. Eiskalt pfeift der Wind über die freie Fläche. Auf dem Tempelhofer Feld kämpfen sich ein paar dick verpackte Spaziergänger durch die Kälte, zwei Männer halten einen Drachen an der kurzen Leine, der sich in den Böen aufbäumt. Es ist einer der Wintertage, an denen es kaum einen ungemütlicheren Ort in Berlin gibt als das Tempelhofer Feld.

"Es geht", sagt Margarete Heitmüller in den Wind hinein, "hier um mehr als dieses Areal. Es geht um die Frage, in was für einer Stadt wir leben wollen." Sie steht am Eingang zu dem ehemaligen Flugfeld. Ihren Hund hält sie an der Leine. Ein paar Meter weiter stehen in einem Regal alte Schuhe, aus denen Grashalme wachsen – im Frühjahr und Sommer bepflanzen Anwohner hier Holzkisten und selbstgebaute Installationen.

Ein Standort mit Vorgeschichte

Ganz in der Ferne, am anderen Ende des Feldes, sieht man das alte Flughafengebäude, das seit einigen Monaten Flüchtlinge beherbergt und das jetzt die Kontroverse um das Tempelhofer Feld neu aufleben lässt. 2000 Flüchtlinge leben im Moment in den ehemaligen Flugzeughangars auf engstem Raum. Pläne des Senats sehen vor, die Notunterkunft um provisorische Bauten zu erweitern, um so bis zu 7.000 Flüchtlinge unterzubringen. Was für den Senat eine Notmaßnahme ist, um den zehntausenden Flüchtlingen, die in den vergangenen Monaten nach Berlin gekommen sind, ein Dach über dem Kopf zu bieten, ist für Heitmüller ein "Frontalangriff auf die Demokratie". Sie gehört zu den Initiatoren des Volksbegehrens gegen die Bebauung des ehemaligen Flugfeldes.

Tempelhof war der älteste und kleinste der drei Berliner Flughäfen, bevor er 2008 still gelegt wurde. Und der zentralste. Gerade einmal 4 Kilometer sind es von hier zum Brandenburger Tor - eine attraktive Innenstadtlage. Nachdem der Flugbetrieb eingestellt wurde, öffnete die Stadt das Feld für Besucher, die auf den asphaltierten Landebahnen Rollschuh liefen und Fahrrad fuhren. Später, so plante es der Senat, sollten an den Rändern des Areals Wohnungen und eine neue Landesbibliothek gebaut werden, während der Großteil als Park erhalten bleiben sollte. Doch eine Bürgerinitiative setzte ein Volksbegehren gegen die Pläne durch und gewann. 2012 stimmten die Berliner für den Erhalt des gesamten Feldes als Park. Seitdem gibt es ein Gesetz, das die Bebauung des Feldes verbietet.

Plakate gegen die geplante Unterkunft (Bild: DW)
Plakate gegen die geplante UnterkunftBild: DW/M. Bölinger

Die Pläne für die Flüchtlingsunterbringung haben den Streit nun hitziger denn je wieder aufleben lassen. "Ich wünsche mir weniger Wut und mehr Mitgefühl", rief Andreas Geisel, Senator für Stadtentwicklung, bei der Vorstellung seiner Pläne den Gegnern zu. Es klingt ein bisschen als rücke er sie in die Nähe jener "besorgten Bürger", die aus Fremdenangst an vielen Orten der Republik gegen die Unterbringung von Flüchtlingen in ihrer Nachbarschaft protestieren. Die Gegner sind nicht weniger zimperlich und nennen die Unterbringungspläne der Senatsverwaltung "Lagerpolitik", was nicht weniger düstere Assoziationen weckt.

Misstrauen gegen den Senat

Heitmüller hat sich inzwischen zu einer Tasse Ingwertee in ein Café im nahegelegenen Schillerkiez zurückgezogen. Oliver Klar und Christoph Witt, zwei weitere Initiatoren des Volksbegehrens sind dazugekommen. Zu Treffen mit der Presse kommen grundsätzlich mehrere Mitglieder der Initiative, erklären sie. Als basisdemokratische Initiative lege man Wert darauf, dass nicht nur eine Person für die Gruppe spricht. Es ist vor allem das alternative Milieu der umliegenden Stadtteile, das gegen die Bebauung des Feldes protestierte. Attraktive Eigentumswohnungen, so war einer der Vorwürfe damals, würden die Wohnungspreise in den umliegenden Vierteln weiter ansteigen lassen. Auf eine Flüchtlingsunterkunft trifft das sicher nicht zu. Doch die Initiatoren befürchten, dass sich hinter den Plänen für das Flüchtlingsheim in Wirklichkeit der Versuch verbirgt, die Bebauung doch noch durch die Hintertür durchzusetzen. "Es geht um das Tempelhofer Feld und nicht um die Flüchtlinge", ist Christoph Witt überzeugt.

Sascha Langenbach reagiert ein wenig genervt auf Fragen nach dem Tempelhofer Feld. "Dann sagen Sie mir doch, wo wir die Flüchtlinge unterbringen sollen", gibt er zurück, wenn man ihn nach der Kritik an den Plänen fragt. Langenbach ist Sprecher der Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales. Für ihn ist die Erweiterung der Flüchtlingsunterkunft in Tempelhof zwingend. Routiniert rattert er die Zahlen herunter. 55.000 Flüchtlinge sind im vergangenen Jahr nach Berlin gekommen. Allein im Januar 2016 waren es erneut 7.000. Sie alle müssen untergebracht werden – und das schnell. "Wir haben eine Notsituation", betont er.

Die Aktivisten Christoph Witt, Oliver Klar, Margarete Heitmüller (Bild: DW)
Die Aktivisten Christoph Witt, Oliver Klar, Margarete Heitmüller ( v.l.n.r.)Bild: DW/M. Bölinger

Langenbach hat in diesen Tagen ganz sicher keinen einfachen Job. Als Sprecher der Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales vertritt er eine Behörde, die seit dem Beginn der Flüchtlingskrise massiv in der Kritik steht. Ihr untersteht die berüchtigte Behörde Lageso, die für die Registrierung und Erstversorgung der Flüchtlinge zuständig ist. Die langen Schlangen vor ihrer Tür sind zum Symbol für Behördenversagen in der Flüchtlingskrise geworden. Noch immer sind in der Stadt einige Turnhallen belegt. Eine zusätzliche Unterkunft für 7.000 Menschen verspricht da Entlastung.

Zwei Quadratmeter pro Flüchtling

Doch die Kritik kommt nicht nur von den Verteidigern des Freizeitareals. Bereits jetzt wohnen in den Hangaren des alten Flughafens mehr als 2.000 Menschen auf engstem Raum. "Diese Unterkunft ist nicht menschenwürdig herrichtbar", sagt Katharina Mühlbeyer vom Flüchtlingsrat Berlin. Insbesondere der Geräuschpegel in der Unterkunft sei kaum zu ertragen, schildert die Linken-Politikerin Irmgard Wurdack, die dort ehrenamtlich deutsch unterrichtet. "Der Stressfaktor ist echt krass".

In den ehemaligen Hangaren wurden Zelte aufgebaut und Parzellen mit Messewänden voneinander abgetrennt. Eine solche Einheit hat 25 Quadratmeter, 6 Doppelstockbetten stehen darin. Pro Person stehen also zwei Quadratmeter zur Verfügung. Als Toiletten stehen Dixi-Klos vor dem Gebäude zur Verfügung. Dass die Neubauten vor dem Gebäude Entlastung bringen, glauben die beiden Flüchtlingsaktivistinnen nicht. Was an Plänen für die provisorischen Gebäude bisher bekannt ist, unterschreitet ebenfalls die gesetzlichen Standards für Gemeinschaftsunterkünfte. Flüchtlingsaktivisten und Feldverteidiger haben eine Allianz gebildet und protestieren gemeinsam gegen die Pläne.

In der vergangenen Woche hat das Abgeordnetenhaus die Änderung des Gesetzes beschlossen. Ursprünglich hatte der Senat gleich mehrere Flächen zur Bebauung freigeben wollen - vorsorglich. Davon ist jetzt nicht mehr viel übrig geblieben. Lediglich ein schmales Areal rund um die alten Hangare darf jetzt bebaut werden. Die Kritiker sind trotzdem nicht besänftigt. "Es gibt ein grundsätzliches Misstrauen gegen den Senat", sagt der Tempelhof-Aktivist Oliver Klar in dem Café am Schillerkiez.

Flüchtlingsunterkunft Tempelhof Berlin (Bild: AFP)
Eng an eng stehen die Betten in der UnterkunftBild: Getty Images/AFP/T. Schwarz

Draußen auf dem Feld hat sich der Himmel inzwischen zugezogen. Noch immer rüttelt der kalte Wind an den hölzernen Urban-Gardening-Installationen - ganz so als wolle er die Emotionen abkühlen.