Telefonieren gegen die Corona-Einsamkeit
22. April 2020"Ellen, leihst du mir dein Öhrchen?" Mit diesen Worten beginnen häufig die Gespräche zwischen Ellen Ladnorg und Susanna Henkel. Beide Frauen leben in Berlin, ihr Austausch findet aber meist über das Telefon statt. Susanna Henkel ist lungenkrank und pflegt ihren Mann, seitdem er vor neun Jahren einen Schlaganfall erlitt. Ihre Wohnung verlässt sie nur, um Lebensmittel einzukaufen. Ellen Ladnorg ist ihr "Licht im Dunkeln", wie sie in einem Telefonat mit der Deutschen Welle sagt. Vor allem jetzt, da das Coronavirus grassiert, sprechen die Frauen jeden Abend um 18 Uhr miteinander. Ellen Ladnorg möchte sichergehen, dass es ihrer Telefon-Freundin gut geht.
Zusammengeführt hat die beiden Berlinerinnen vor fünf Jahren der Malteser Hilfsdienst. Ladnorg arbeitete bereits viele Jahre ehrenamtlich für die Malteser. Gemeinsam mit Mitstreitern gründete sie das Programm "Redezeit", bei dem Menschen ehrenamtlich telefonieren, um ihrem Gesprächspartner Trost zu spenden und Einsamkeit zu lindern.
Die 69-jährige Susanna Henkel las davon in der Zeitung und meldete sich an. Seither telefonieren sie und Ladnorg zwei- bis dreimal die Woche. "Je nachdem, wie groß die Probleme sind, sprechen wir auch mal eine Stunde miteinander. Manchmal sind es aber auch nur fünf Minuten. Dann sagen wir nur: Hallo! Und erzählen uns, wie es uns geht", sagt Ladnorg der DW.
Mit der Aufgabe kommt die Verantwortung
Die 73-Jährige hat eine feste Stimme und einen offenen Blick. Sie ist sich ihrer Verantwortung bewusst. "Wir haben immer mal wieder Ehrenamtliche, die sich erst viel melden und dann nichts mehr von sich hören lassen. Das ist das Schlimmste für die älteren Menschen. Sie zweifeln dann an sich und denken, dass sie etwas falsch gemacht haben", sagt Ladnorg. Sie und Henkel seien sich schnell vertraut gewesen, obwohl sie sich nur am Telefon kennengelernt hätten. "Wissen Sie", sagt Ladnorg, "Sie müssen an die Dinge mit dem Herzen rangehen. Hören, was der andere zu sagen hat."
Für Susanna Henkel bedeuten die allwöchentlichen Gespräche Kontinuität und sind ein Fenster in die Außenwelt. Mehrfach bricht ihr im Gespräch mit der DW die Stimme, wenn sie von den Belastungen ihres Lebens erzählt. Manchmal fällt ihr ihr gleichaltriger Mann Klaus unsanft aus dem Hintergrund ins Wort. "Der Schlaganfall verändert eine Person", sagt sie fast entschuldigend. Eigentlich ist Klaus Henkel dreimal pro Woche in der Tagespflege. Aber wegen des Coronavirus geht das nicht mehr. Seit vier Wochen sei ihr Mann nicht mehr vor der Tür gewesen. "Ich bin schon sehr angeschlagen", sagt Henkel. Sie fügt, etwas zuversichtlicher, hinzu: "Aber wenn Ellen anruft, freuen wir uns. Ich vermisse es, wenn wir mal nicht sprechen."
Lichtblick für die Zeit nach Corona
Wenn Ellen Ladnorg mal nicht telefonieren konnte, weil sie verreist war, hat sie immer vorher Bescheid gesagt. Und sie hat Postkarten aus der Ferne geschickt. Wenn sie mit Freunden essen ging, fragte Susanna Henkel sie, wie es geschmeckt hat und in welchem Restaurant sie waren.
"Meine Telefonate und die Karten sind ein bisschen ihre Verbindung nach draußen", sagt Ladnorg. "Susanna hat auch kein Internet." Den Kontakt empfindet Ladnorg nie als Belastung: "Meine Belohnung ist das Lächeln durchs Telefon".
Das erste Mal getroffen, ganz ohne Telefon, haben sich die Frauen nach drei Jahren. Grund dafür war ein Notfall. Henkel war gestürzt und Ladnorg brachte ihr Kosmetika und Wechselkleidung ins Krankenhaus. Später sind sie zusammen mit Henkels Mann ein Eis essen gegangen. Manchmal verlässt Susanna Henkel jetzt in der Corona-Krise der Mut. Dann muntert sie Ellen Ladnorg auf und erinnert sie an den Ausflug in die Eisdiele nach ihrem Krankenhausbesuch: "Wenn das alles vorbei ist, machen wir das wieder. Dann gehen du, ich und der Klaus das größte Eis essen, das es gibt."