Teilerfolge für Johnson und seine Gegner
6. September 2019Nachdem der High Court in London, die untergeordnete Instanz, eine Klage gegen die von Premierminister Boris Johnson angeordnete fünfwöchige Zwangspause des britischen Parlaments zurückgewiesen hat, ist nun der Supreme Court am Zuge. Das Gericht ließ ausdrücklich eine Berufung am höchsten britischen Gericht zu. Dort soll es am 17. September weitergehen.
In einer höchst umstrittenen Entscheidung hatte Regierungschef Johnson die traditionelle Parlamentspause im September bis zum 14. Oktober verlängert. Damit bleibt den Abgeordneten kaum Zeit, um einen ungeregelten EU-Austritt am 31. Oktober noch per Gesetz zu verhindern.
Brexit-Gegnerin und Klägerin Miller zieht vor den High Court
Die Gegner des Premierministers sehen in der Sitzungsunterbrechung ein unzulässiges politisches Manöver Johnsons, um seinen harten Brexit-Kurs, der auf einen No-Deal-Brexit zusteuert, durchzudrücken. Geklagt hatten unter anderem die Geschäftsfrau und Aktivistin Gina Miller und Ex-Premierminister John Major. Miller bezeichnete das Urteil des High Courts als "sehr enttäuschend" und kündigte an, dass sie sich auf jeden Fall an das höchste Gericht in Großbritannien wenden werde. "Heute vertreten wir alle. Wir vertreten die künftigen Generationen", sagte die 54-Jährige. "Meine Anwälte und ich werden unseren Kampf für Demokratie nicht aufgeben", sagte sie vor dem Gerichtsgebäude.
Miller ist keine Unbekannte im Kampf gegen den EU-Austritt: Sie hatte mit einer Klage beim obersten Gericht in Großbritannien Anfang 2017 erreicht, dass das Parlament beim Brexit stärker einbezogen wird. Wegen ihrer Initiative war sie mehrfach bedroht worden.
Punktsieg für Johnson-Gegner im Oberhaus
Im politischen Machtkampf zwischen Premier und Parlament in London können die Gegner eines No-Deal-Brexit einen weiteren Etappensieg für sich vermelden. Trotz anfänglich heftigen Widerstands hat das Gesetz gegen einen ungeregelten EU-Austritt im House of Lords die letzte parlamentarische Hürde genommen. Das Oberhaus verabschiedete das Gesetz. Nun fehlt nur noch die Unterschrift von Königin Elizabeth II., damit es in Kraft treten kann.
Der Gesetzentwurf hatte am Mittwoch gegen den Willen von Premierminister Johnson alle drei Lesungen im Unterhaus passiert. Das Gesetz verpflichtet Johnson, in Brüssel eine Verschiebung des für Ende Oktober geplanten EU-Austritts um drei Monate zu beantragen, falls es bis zum 19. Oktober keine Einigung mit der EU auf ein Austrittsabkommen geben sollte. Johnson beteuerte am Donnerstag, er würde lieber "tot im Graben liegen" als eine Brexit-Verschiebung zu beantragen.
Gegenwind für Johnson auch aus Schottland
Vor einem Besuch des Premierministers in Schottland hat die dortige Regierungschefin Nicola Sturgeon ihre Pläne für ein neues Unabhängigkeitsreferendum 2020 bekräftigt. Sie strebe "schon nächstes Jahr" ein neues Referendum an, sagte Sturgeon. "Ich denke, und die Umfragen zeigen das auch, dass die Schotten unabhängig sein wollen", fügte die Chefin der Schottischen Nationalpartei (SNP) hinzu. Es sei seit Jahren "höchst frustrierend, dass über Schottlands Schicksal ohne unsere Kontrolle bestimmt" werde, sagte Sturgeon. "Es ist viel besser, selber die Kontrolle zu haben, und die kommt mit der Unabhängigkeit".
#PleaseLeaveMyTown
Nach den jüngsten Niederlagen im Parlament verlässt Johnson jetzt offenbar auch das Glück bei öffentlichen Auftritten. Bei einem Besuch am Donnerstag im nordenglischen Yorkshire geht er mit einer Reporterin der BBC für ein Interview durch die Fußgängerzone des Städtchens Morley. Er begegnet einem älteren, lächelnden Herrn und schüttelt dessen Hand. Der sagt nur: "Please leave my town" (Bitte verlassen Sie meine Stadt). Der Premier ist überrumpelt und antwortet: "Das werde ich sehr bald." Der Mann klopft ihm noch kumpelhaft auf die Schulter. Johnson-Gegner feiern ihn in den sozialen Netzwerken als Held: Der Hashtag #PleaseLeaveMyTown geht um.
qu/se (dpa, afp, rtr, SZ)