Tarotboom am Telefon
19. August 2004Granada in Spanien, zehn Uhr morgens. Kartenlegerin Anita Fontana hat ihre beiden Kinder zur Schule gebracht. Jetzt ist sie Zuhause im Büro und berät den ersten Anrufer. Er will wissen, ob er bald eine Frau findet. Ein paar Minuten Geduld, dann folgt die viertelstündige Beratung. Das sind etwa 16 Euro mehr auf der Telefonrechnung. Den Karten nach braucht sich der Mann keine Sorgen zu machen. Er wird seine Frau finden, wenn er am gesellschaftlichen Leben teilnimmt, prophezeit Anita Fontana.
Glück in der Liebe?
Anita Fontana könnte ihren Job auch von einem anderen Ort aus machen - hauptsache sie hat ein Telefon und ihre Karten. Erst seit wenigen Wochen lebt sie in Granada. Ursprünglich kommt sie aus Argentinien. Dort hat sie Informatik studiert - und keinen Job gefunden. Auch ihr Mann Miguel war arbeitslos. Andrea und Miguel zogen nach Spanien, wo sie einen mehrwöchigen Tarotkarten-Lehrgang absolvierten. "In Argentinien hatten wir gehört, dass die Menschen in Spanien sehr stark an die Karten glauben. Und tatsächlich, das Geschäft läuft bestens." Immerhin haben die Fontanas inzwischen zehn Angestellte - demnächst werden sie sich ein eigenes Haus bauen.
Anitas Mann hat schon in Argentinien die Karten gelegt, aber dort waren die Menschen immer weniger bereit, Geld auszugeben. "Es ist witzig, in Spanien interessiert die Menschen ganz andere Dinge als bei uns", sagt Miguel. Die Argentinier fragen nach ihrer beruflichen Zukunft, was die Spanier interessiert, ist die Liebe.
Kaffeesatz vor der Kamera
Auch in Deutschland boomt die Esoterik. Und Geschäftsleute entdecken immer mehr Möglichkeiten, diesen Trend weiter zu vermarkten: Astro-TV, Kaffesatz-Lesen vor laufender Kamera, Numerologie-Beratung. Im Internet bietet die Firma "Questico" esoterische Beratung aller Art. Eine Beraterin namens "Blonder Engel" verspricht "präzises Wahrsagen, dank ererbter Fähigkeiten", Monika M. bietet "liebevolles Wahrsagen" und Adelina "Zigeuner-Tarot mit Zeitangabe."
"Wir arbeiten ähnlich wie ebay", erklärt Sylvius Bardt, einer der Questico-Gründer, im Gespräch mit DW-WORLD. So genannte Experten würden die Onlineseiten als eine Art Marktplatz nutzen. Sie würden vom Kunden angerufen, der dann die Beratung bewertete. Wer viele schlechte Bewertungen habe, werde in der Regel nicht wieder angerufen. Kunden, die mit der esoterischen Beratung ganz und gar nicht zufrieden sind, bekämen ihr Geld zurück - etwa 1,70 Euro pro Minute.
Verunsicherung und Abhängigkeit
"Das Bedürfnis der Menschen, mehr über ihre Zukunft zu erfahren, war schon immer groß. Aber in Zeiten politischer und wirtschaftlicher Verunsicherung wird es noch größer", erklärt Sabine Riede von der Informations- und Beratungsstelle des Vereins Sekten-Info Essen. Zur Zeit herrsche wieder so eine Verunsicherung. Es sei kein Problem, sich ab und zu die Karten legen zu lassen, es dürfe nur keine Abhängigkeit entstehen, so Riede.
"Es gibt Anbieter, die Menschen bewusst abhängig von ihren Zukunftsprognosen machen", sagt Riede. Nicht alle Anbieter sähen in der Wahrsagerei nur ein lukratives Geschäft, viele glaubten selbst felsenfest an die Zukunftsvorhersagen und wollten anderen Menschen helfen, erklärt die Expertin.
Tägliche Prophezeiung
Sylvius Bardt von "Questico" hat sich selbst allerdings noch nie die Karten lesen lassen. "Das würde ich auch nie tun. Wir müssen schließlich objektiv bei der Sache bleiben", sagt er. Anita Fontana, die Tarotkarten-Expertin aus Granada, lässt sich jeden Tag von ihrem Mann die Karten lesen. "Dass ich beruflichen Erfolg haben werden, hat er mir vor einigen Jahren schon prophezeit. Er hat doch Recht gehabt."