Taliban lösen Frauen-Protest in Kabul mit Warnschüssen auf
13. August 2022Ein Korrespondent der Nachrichtenagentur AFP berichtet aus Kabul, dass Taliban-Kämpfer den Protestzug gestoppt hätten. Sie hätten Warnschüsse abgegeben, um die rund 40 Demonstrantinnen zu vertreiben, die vor dem Bildungsministerium in der afghanischen Hauptstadt "Brot, Arbeit und Freiheit" skandierten. Einige Frauen, die in nahe gelegene Geschäfte flüchteten, wurden von Taliban-Mitgliedern gejagt und mit Gewehrkolben geschlagen. Auch Journalisten, die über die erste Frauen-Demonstration seit Monaten berichten wollten, wurden nach Angaben des AFP-Reporters geschlagen.
Die Demonstrantinnen beklagten die anhaltende Diskriminierung von Frauen und forderten das Recht auf Arbeit und politische Teilnahme. Sie trugen ein Transparent mit der Aufschrift "Der 15. August ist ein schwarzer Tag" - am Montag jährt sich die Machtübernahme durch die Taliban zum ersten Mal. Bisher hat kein Land die De-facto-Regierung der Taliban anerkannt. Wirtschaftlich ist Afghanistan auf Talfahrt, ein großer Teil der Bevölkerung hungert.
Die Taliban hatten damals zwar eine gemäßigtere Form der islamistischen Herrschaft versprochen als jene, die sie zwischen 1996 und 2001 in Afghanistan praktiziert hatten. Doch wurden in den vergangenen zwölf Monaten unter anderem die Frauenrechte wieder massiv beschnitten. Zehntausende Mädchen sind wurden von weiterführenden Schulen ausgeschlossen. Frauen dürfen auch nicht mehr in Regierungsämtern arbeiten. In den Parks der Hauptstadt wurden getrennte Besuchstage für Männer und Frauen eingeführt. Im Mai ordnete Taliban-Chef Hibatullah Achundsada zudem an, dass sich Frauen in der Öffentlichkeit vollständig verhüllen müssen.
UNICEF beklagt Benachteiligung von Mädchen
Zwei Tage vor dem Jahrestag der Machtübernahme der Taliban kritisierte die Hilfsorganisation UNICEF vor allem die Politik der radikalislamischen Taliban, Mädchen gezielt von Bildung abzuschneiden. Gerade sie dürfe die internationale Gemeinschaft nicht im Stich lassen, schreibt der Geschäftsführer von UNICEF Deutschland, Christian Schneider, in einem Beitrag für den "Kölner Stadt-Anzeiger". "Wenn der Alltag so unbarmherzig ist wie an diesem Jahrestag, dann ist das Recht auf Bildung besonders wichtig", betonte er. Der Preis für Nichtstun wäre "unermesslich".
UNICEF beklagte zugleich eine massive Unterfinanzierung der humanitären Hilfe für die Bevölkerung. Das Hilfswerk könnte deutlich mehr Hilfe in allen Teilen des Landes leisten, betonte Geschäftsführer Schneider. Allerdings sei im laufenden Jahr bisher nur ein Drittel der benötigten Mittel bereitgestellt worden. "Während die Welt zu Recht erneut nach Afghanistan schaut, müssen die Regierungen das Datum zum Anlass nehmen, die Hilfe endlich auszuweiten." Schneider bezeichnete die Nahrungsmittelversorgung in Afghanistan als katastrophal. "Über eine Million Kinder sind lebensgefährlich mangelernährt", erklärte er. "Acht von zehn Menschen werden auch heute verschmutztes Wasser trinken. Die Kinder zahlen den höchsten Preis in dieser nicht endenden humanitären Katastrophe."
"Der Journalismus in Afghanistan blutet aus"
Fast ein Jahr nach der Machtübernahme der militanten Taliban beklagt die Organisation Reporter ohne Grenzen das Ende vieler Medien in Afghanistan. Zahlreiche Medien hätten ihre Arbeit eingestellt, Hunderte Journalisten und Journalistinnen ihre Jobs verloren, teilte die Organisation mit. "Der Journalismus in Afghanistan blutet aus", kritisierte Geschäftsführer Christian Mihr. "Die Taliban haben zahlreiche Gesetze erlassen, die die Pressefreiheit einschränken und die Verfolgung und Einschüchterung von Medien sowie Journalistinnen und Journalisten begünstigen."
Ein gutes Drittel der rund 550 Medien, die bis Mitte August 2021 am Hindukusch aktiv gewesen seien, sei eingestellt worden, teilte die Organisation mit. Die Zahl der Journalistinnen und Journalisten, die in den Medien arbeiteten, sei um mehr als die Hälfte auf rund 4750 gesunken. Frauen seien besonders betroffen: Drei Viertel der Journalistinnen hätten ihren Job verloren oder ihn aus Angst vor den Taliban aufgegeben. In elf von 34 afghanischen Provinzen würden gar keine Journalistinnen mehr arbeiten.
Die Taliban hätten die Arbeit erheblich erschwert, hieß es weiter. Es sei zu zunehmender Zensur und Selbstzensur sowie einer Welle von willkürlichen Festnahmen von Medienschaffenden gekommen. Seit der Machtübernahme seien mindestens 80 Medienschaffende für unterschiedlich lange Zeiträume und teils "auf sehr brutale Weise" festgenommen worden. Auf einer "Rangliste der Freiheit" steht Afghanistan heute auf Platz 156 von 180 Staaten.
kle/se (afp, dpae, epd, kna)