Taliban in Afghanistan auf dem Vormarsch
5. Juni 2021In Afghanistan ist ein weiterer Bezirk an die militant-islamistischen Taliban gefallen. Doab in der Provinz Nuristan im Osten des Landes sei kampflos an die Islamisten übergeben worden, bestätigten lokale Behördenvertreter der Deutschen Presse-Agentur. Der Bezirk sei davor mindestens 20 Tage lang von den Taliban belagert worden, erklärte der Parlamentarier Ismail Atikan aus Nuristan. Die Soldaten dort hätten weder mit Munition noch mit Nahrung versorgt werden können. Unter Vermittlung der Ältesten im Bezirk sei der Abzug der Armee- und Polizeieinheiten sowie der Bezirksverwaltung vereinbart worden. Die Taliban hätten zugesagt, sie nicht anzugreifen.
Mit den Behördenvertretern von Doab verließen auch die Bezirksbehörden des Nachbarbezirks Mandol Doab. Diese waren dorthin übergesiedelt, nachdem Mandol bereits früher an die Taliban gefallen war. Der Parlamentarier warnte, auch der Bezirk Nurgram könne in naher Zukunft in der Hand der Islamisten sein. Er sei schwer belagert.
Aus der Provinz Badghis im Nordwesten des Landes wird ein Bombenanschlag gemeldet. Dabei wurden mindestens elf Zivilisten getötet, unter ihnen auch Kinder. Der am Straßenrand deponierte Sprengsatz habe einen Lieferwagen zerstört, in dem die Menschen saßen, teilte ein lokaler Behördenvertreter mit. Er machte die Taliban für den Angriff verantwortlich - auch wenn sich zunächst niemand dazu bekannte.
Seit Beginn des offiziellen Abzugs der US- und der anderen NATO-Truppen aus Afghanistan im Mai sind mindestens sieben Bezirke an die Taliban gefallen. Donnerstagnacht (Ortszeit) eroberten die Islamisten nach mehrtägigen Kämpfen Schenkai in der Provinz Sabul im Süden des Landes. Am Freitag geriet in der Provinz Urusgan, ebenfalls im Süden gelegen, der Bezirk Gisab unter Taliban-Kontrolle. In der Provinz Gasni im Südosten des Landes steht der Bezirk Deh Jak nach starkem militärischen Druck auf die Sicherheitskräfte kurz vor dem Fall. Auch im Bezirk Farsi in der Provinz Herat gibt es schwere Gefechte.
Pakistan befürchtet neuen Bürgerkrieg
Seit Beginn des Abzugs der alliierten Soldaten verstärken die Islamisten ihre Angriffe und weiten ihre Machtbefugnisse aus. Pakistan befürchtet einen neuen Bürgerkrieg im Nachbarland. Ministerpräsident Imran Khan sagte in Islamabad, seine Regierung bemühe sich um eine politische Lösung zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban. Allerdings werde es nicht einfach sein, da sich die Taliban wegen des Truppenabzugs als Sieger sähen. Sollte es zu einem neuen Bürgerkrieg in Afghanistan und einer Flüchtlingskrise kommen, würde auch Pakistan darunter leiden. Sein Land könnte zum Eingreifen gezwungen sein.
Die USA und die NATO wollen spätestens bis zum 11. September - dem 20. Jahrestag der Terroranschläge in den USA - sämtliche Truppen aus Afghanistan abgezogen haben. Die Regierung von US-Präsident Joe Biden hat bereits mehrere Militärstützpunkte an die heimischen Streitkräfte übergeben.
se/kle/jj (dpa, afp, rtr)