Regierung bestätigt: Kundus gefallen
28. September 2015"Die Stadt Kundus ist unglücklicherweise an die Taliban gefallen", so der Kommentar aus dem Innenministerium in Kabul. Am Ende des Tages musste auch die afghanische Regierung die schwere Niederlage eingestehen. Die Radikalislamisten hatten von drei Seiten angegriffen und nach und nach weite Teile der nordafghanischen Provinzhauptstadt erobert. "Sie haben ihre weiße Flagge im Stadtzentrum gehisst", meldete der Vizegouverneur der Provinz Kundus, Hamdullah Daneschi.
Polizeisprecher Sajed Sarwar Hussaini hatte zunächst gesagt, der Palast und das Polizei-Hauptquartier seien weiterhin in der Hand der afghanischen Sicherheitskräfte. Aber: "Vier von fünf Polizeidistrikten in der Stadt sind jetzt unter Taliban-Kontrolle" Die Islamisten hätten mehrere Regierungsgebäude sowie ein Krankenhaus und ein Gericht besetzt. Lokale Medien berichteten zudem, die Vereinten Nationen hätten ihr Personal aus Kundus abgezogen. Das UN-Gebäude sei danach von den Taliban geplündert worden.
Zweiter Versuch, Kundus einzunehmen
Provinzratsmitglied Aminullah Ajuddin sagte, die Taliban hätten das Provinz-Gefängnis in ihre Gewalt gebracht und hunderte Gefangene befreit. "Ihnen allen wurde erlaubt, nach Hause zu gehen. Alle früheren Taliban-Kämpfer im Gefängnis schlossen sich dem Kampf gegen die Sicherheitskräfte an." Die Taliban riefen Zivilisten dazu auf, bis zum Ende der Kämpfe in ihren Häusern zu bleiben. Angaben zu Opfern lagen zunächst nicht vor.
Taliban-Sprecher Sabiullah Mudschahid teilte über den Kurznachrichtendienst Twitter mit, in dem eingenommenen Krankenhaus suchten Kämpfer nach "verwundeten feindlichen Soldaten". Einige Polizisten seien gefangen genommen worden. Die Taliban hätten Fahrzeuge und Waffen erobert und setzten ihren Vormarsch fort.
DW-Redakteurin Waslat Hasrat-Nazimi schrieb bei Twitter, dass die Taliban in den sozialen Netzwerken ihren Sieg in Kundus feierten und auch ankündigten, die Scharia dort einzuführen.
Erst im Juni hatten afghanische Streitkräfte einen Angriff der Taliban auf Kundus abgewehrt. Der Einmarsch in eine Provinzhauptstadt ist für die Islamisten ein Meilenstein in ihrem seit fast 14 Jahren anhaltenden Aufstand.
Die Gewalt in Afghanistan hat in den vergangenen Jahren wieder zugenommen. Seit dem Ende des NATO-Kampfeinsatzs im Dezember 2014 sind deutlich weniger ausländische Soldaten im Land, deren Auftrag die Ausbildung und Beratung der afghanischen Sicherheitskräfte ist.
Von der Leyen stellt Truppenabzug bis Ende 2016 infrage
In der Provinz Kundus stand bis vor dem Abzug der Truppen vor zwei Jahren ein Feldlager der Bundeswehr. Als der Einsatz 2003 begann, war Kundus noch eine der sichersten Regionen im Land. Doch im Laufe der Jahre verschlechterte sich die Lage in der strategisch wichtigen Provinz erheblich. Nirgendwo in Afghanistan fielen mehr deutsche Soldaten als in Kundus und der Nachbarprovinz Baghlan. Die Bundeswehr unterhält weiterhin ein Feldlager mit 600 deutschen Soldaten in der rund 150 Kilometern Luftlinie entfernten nordafghanischen Provinzhauptstadt Masar-i-Scharif - was den bedrängten Menschen in Kundus aber wenig nützt.
Nach aktuellen Plänen der NATO sollen alle ausländischen Truppen das Land bis Ende 2016 verlassen. Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen warnte jedoch vor einem voreiligen Abzug der Bundeswehr. "Ich sehe ein wachsendes Bewusstsein dafür, dass der Abzug aus Afghanistan mit Besonnenheit und Augenmaß gestaltet werden muss", sagte die Ministerin den Zeitungen der Funke-Mediengruppe.
Die NATO wolle im Herbst noch einmal analysieren, inwieweit die afghanische Regierung die Situation im Land beherrsche. "Davon hängt es ab, ob die Verbündeten länger in Afghanistan bleiben müssen oder nicht."
Ba/SC (rtr, afp, ap)