Taiwan und der Trump-Effekt
13. Dezember 2016Donald Trumps Ankündigung, Amerikas Ein-China-Politik zu überdenken, wird in Taiwan zwiespältig aufgenommen. (Diese Politik bedeutet de facto, dass die USA Pekings Alleinvertretungsanspruch für ganz China anerkennen und eine Unabhängigkeit Taiwans nicht unterstützen.) Trumps aufsehenerregendes Telefonat mit Präsidentin Tsai Ing-wen eine Woche zuvor hatten viele Taiwaner als geglückten Überraschungscoup bewertet, der Taiwans international isolierter Demokratie Anerkennung verschaffen würde. Zu Trumps jüngsten Äußerungen gab es von Tsai noch keine Stellungnahme. Das sieht nach Überraschung und Unsicherheit aus, über Trumps Absichten und darüber, wie China reagieren wird. Einige Beobachter fragen sich: Ist die normalerweise eher bedächtige Tsai über das Ziel hinausgeschossen?
Stabile Beziehungen zu Peking und Washington für Taiwan unabdingbar
Hinter der Fassade des Präsidentenpalastes in Taipeh bewertet man die Lage zuversichtlicher. Es überwiege die Genugtuung darüber, von der künftigen US-Regierung als Verbündeter wahrgenommen zu werden, sagt eine Quelle aus dem Präsidentenamt. Eine Gegenreaktion aus China habe man erwartet, die neue Zuspitzung von Trump nicht unbedingt, aber der sei nun mal völlig unberechenbar.
Zur Vorsicht mahnt Hsu Hsiang-tao, Experte für Chinapolitik an Taiwans Tunghai-Universität: "Der Anruf hat das Selbstbewusstsein der Taiwaner und ihr Vertrauen auf Amerikas Beistand gestärkt, aber auch die Kräfte in China, die aggressiver gegen Taiwan auftreten wollen."
Kleine Schritte statt abrupter Veränderung der "Ein-China-Politik"
Auch unter der eher chinakritischen Tsai braucht Taiwan stabile Beziehungen sowohl mit Washington als auch mit Peking. Das gilt auch, obwohl die Volksrepublik für Taiwan zugleich die größte militärische Bedrohung darstellt. "Frieden und Stabilität an der Straße von Taiwan sind im Interesse aller Beteiligten und auch der internationalen Gemeinschaft", teilte Taiwans für Chinapolitik zuständige Behörde am Montag mit. Eine Bewertung von Trumps Äußerungen vermied man auch hier.
Ob Trump als Präsident wirklich die Axt an die Grundlagen von Amerikas Chinapolitik legen würde, ob er mit seinen Interview-Äußerungen lediglich einen Versuchsballon startete oder das Spielfeld für künftige Verhandlungen abgesteckt hat, sorgt in Taiwan genauso für Kopfzerbrechen wie im Rest der Welt. "Natürlich wünscht Taiwan sich, dass Trump Amerikas Ein-China-Politik ändert", sagt Politologe Hsu. "Aber dabei geht es um viele kleine Schritte. Eine große abrupte Veränderung, das wird unmöglich sein."
Auf der Wunschliste Taiwans stehen etwa mehr Besuche von amerikanischen Spitzenpolitikern, verstärkte Militärkontakte, die Teilnahme an US-Manövern mit anderen asiatischen Staaten, und vor allem ein Freihandelsabkommen. Nachdem Trump die regionale Transpazifische Partnerschaft (die allerdings die VR China ausschloss) für tot erklärt hat, hofft Taiwan nun auf bilaterale Regelungen. Das betonte Präsidentin Tsai am Montag in Taipeh nach dem Treffen mit Matthew Matthews, einem für Handelsfragen zuständigen Spitzenbeamten des US-Außenministeriums.
Will Trump Taiwan verraten und verkaufen?
Für Stirnrunzeln sorgte Trumps Interview-Äußerung, ein Festhalten an der Ein-China-Politik sei nur sinnvoll, "wenn wir mit China einen Deal machen, der mit anderen Sachen zu tun hat, zum Beispiel mit Handel." Schon nach dem Tsai-Telefonat hatten Kritiker gemutmaßt, Trump habe gar kein wirkliches Interesse an Taiwan als Partner, er nutze es als gewiefter Geschäftsmann nur als Druckmittel in Verhandlungen mit China und lasse es zu gegebener Zeit fallen. Solche Befürchtungen habe Trump nun verstärkt, sagt J. Michael Cole, ein kanadischer Journalist und Taiwanforscher mit engen Verbindungen ins Regierungslager. "Diese Furcht, irgendwann im Stich gelassen zu werden, besteht in Taiwan schon seit langer Zeit."
Seit Washington 1979 die diplomatischen Beziehungen kappte, musste Taiwan seine Rolle im Beziehungsdreieck mit den USA und China fein austarieren - mit Erfolg: Es behauptete seine real existierende Eigenständigkeit, wandelte sich zur Demokratie und steht nach wie vor unter amerikanischem Schutz.
Doch dieser fragile Status quo, den mancher nun als Folge von Tsais Telefonat gefährdet sieht, war nie statisch. Seit der Jahrtausendwende bringt China sein wachsendes Gewicht geschickt zur Geltung und baut seinen Einfluss über Taiwan Schritt für Schritt aus. Dazu gehören neben wirtschaftlicher Verflechtung auch Spionage und ständiges militärisches Aufrüsten.
China mit begrenzten Druckmitteln
In seinen Kasten mit Druckmitteln hat China gleich nach Tsais Amtsantritt gegriffen, als es den Strom seiner Touristen nach Taiwan drosselte. Das Kalkül, dem Tourismussektor zu schaden, ging aber nur zum Teil auf. Weil beispielsweise mehr Japaner und Koreaner kamen, meldete Taiwan für 2016 gerade eine neue Rekordbesucherzahl.
Als Drohgebärde nach dem Trump-Tsai-Telefonat umrundeten chinesische Kampfflieger kürzlich mehrfach Taiwan, hielten sich dabei allerdings immer im internationalen Luftraum auf. Taiwanischen Geschäftsleuten, die Sympathien für Tsai erkennen lassen und Fabriken in China besitzen, machen die Behörden dort neuerdings das Leben besonders schwer.
Was wird China noch tun, um die Daumenschrauben anzuziehen? Obwohl die Volksrepublik Taiwans größter Handelspartner ist, seien die Möglichkeiten Pekings zur Druckausübung letztlich beschränkt, sagt die Quelle aus dem Präsidentenamt. So hätten viele taiwanische Unternehmen ihre Fabriken in den vergangenen Jahren aus China nach Vietnam verlagert. Dass China einige von Taiwans 22 verbliebenen diplomatischen Verbündeten abwirbt, sei möglich. "Damit hatten wir eigentlich sowieso schon längst gerechnet." Der Vatikan, als Taiwans letzter europäischer Verbündeter besonders symbolträchtig, soll etwa kurz vor einer Einigung mit China stehen und könnte demnächst die Seiten wechseln.
"Unter dem Status quo ist unser politischer Spielraum sowieso geschrumpft", so die Quelle. Mit ihrer Trump-Offensive habe Tsai eine Gelegenheit genutzt und ernte nun mehr Resonanz als erwartet. "Wenn Dir etwas Gutes passiert, dann hinterfragst Du es nicht. Du verhältst Dich ruhig, bis der Sturm vorbeigezogen ist. Und freust Dich hinterher, wenn zum Beispiel mehr US-Senatoren zu Besuch kommen."