Tag der Trauer in Le Vernet
26. März 2015Le Vernet heißt der winzige Ort unterhalb des Tête de l'Estrop - des fast 3000 Meter hohen Berggipfels, hinter dem der Unglücks-Airbus von Germanwings abstürzte. Er bietet an diesem Tag sein strahlendes Gesicht und zeigt sich schneebedeckt vor blauem Himmel wie auf einer Urlaubspostkarte. Auf der abgewandten Südseite aber sind die Hänge hier schwarz und düster, von gefährlich rutschigem Geröll bedeckt. Max Tranchard ist einer der örtlichen Bergführer, die am nach dem Absturz von Flug 4U9525 mit den Gendarmen als erste an die Unglücksstelle vorgedrungen waren: "Es ist ein schrecklicher Anblick da oben, die eine Seite des steilen Abhanges ist mit den völlig zerschmetterten Teilen des riesigen Flugzeuges bedeckt. Und wenn man es sieht, dann sagt man sich, da liegen auch noch 150 Menschen." Aber davon sei aus der Distanz nichts zu sehen.
Er könne nicht mehr gut schlafen, seit er an der Unglücksstelle war, die Vorstellung verfolge ihn. Vor seiner Pensionierung war Tranchard Koordinator der Helikopterstaffel für die Bergrettung. Er habe auch schon Kollegen durch einen Unfall verloren, immer wieder würden Menschen in den Bergen sterben - aber so eine ganze Passagiermaschine mit einer Schulklasse an Bord, einer Frau mit einem Baby und so vielen Menschen, das sei noch etwas ganz anderes.
Vermutlich ist das auch der Grund, warum die örtlichen Behörden sich entschlossen, eine Fahrt über Pisten auf ein höher gelegenes Plateau abzusagen. Mit ihr wollte man die Familien ursprünglich noch näher an den Ort des Geschehens bringen, damit sie einen Blick darauf werfen können. Die offizielle Begründung hieß, es sei zu gefährlich - möglicherweise aber haben auch Psychologen davor gewarnt.
Mitteilung über Unglücksursache schockte die Bevölkerung
Der Co-Pilot steuerte die Maschine wohl absichtlich in das Bergmassiv: Die vorläufige Aufklärung über die Ursache des Absturzes am Mittag durch die Staatsanwaltschaft in Marseille dürfte den seelischen Zustand der Angehörigen noch fragiler gemacht haben. "Wenn man glaubt, es war ein Unfall und sozusagen einfach ein Schicksalsschlag", sagt Max Tranchard, "dann kann man das vielleicht irgendwann verarbeiten. Aber wenn es gewollt war, wenn einer dann 149 andere mitgerissen hat, dann ist das unfassbar, das kann man einfach nicht verstehen."
Auch der spanische Sanitäter Tony Sanchez ist der gleichen Auffassung: "Dieses Wissen macht es für die Familien noch einmal viel schlimmer." Im Prinzip sei es für sie ein wichtiger Schritt beim Trauern, an den Ort des Unglücks zu kommen, und sich an dieser Stelle zu verabschieden, sagt er, aber die Nachricht dieses Tages aus Marseille ändere vieles. Er ist nach Le Vernet gekommen, um die spanischen Angehörigen zu betreuen, einer von einigen hundert Helfern in der ganzen Region. "In erster Linie ist unsere Aufgabe den Menschen beizustehen, ihnen Wasser zu geben, wenn sie Durst haben, eine Decke, wenn ihnen kalt ist."
Schutz der Trauernden vor der Presse
Am Rand des Dorfes ist in einer kleinen Freizeitanlage ein Raum als Gedenkstätte eingerichtet, am Mittwoch hatte schon Bundeskanzlerin Angela Merkel mit ihrem spanischen Kollegen Rajoy und Frankreichs Präsident Hollande dort einen Kranz niedergelegt. Am Mittag traf weiterer Blumenschmuck ein, dort konnten die Familien sich später zu stillem Gedenken zurückziehen. Schon am Morgen war der Ort hermetisch abgeriegelt worden. "Keine Presse" erklärten die allgegenwärtigen Gendarmen. Sie hatten ihre blauen Kastenwagen zu einer Art Sichtschutz aufgestellt, um den Kamerateams auf der nahen Wiese den Blick zu versperren. Gitter und reichlich Polizeischutz machten es den rund hundert wartenden Journalisten unmöglich, ihre Mikrofone den Trauernden entgegen zu recken. Als am Nachmittag dann sieben Busse mit rund 350 Familienmitgliedern eintrafen, blieb der Ablauf der kleinen Gedenkzeremonie vor der Öffentlichkeit verborgen. Die Gemeinde will hier auch ein Denkmal für die Absturzopfer errichten, ein Ort der Erinnerung, an den die Angehörigen vielleicht auch später noch zurückkommen können.
Gottesdienst neben dem Labor der Gerichtsmedizin
Am Abend dann, ebenfalls unter strengen Sicherheitsvorkehrungen, kamen die Familien der Opfer zu einem Gottesdienst im größeren Nachbarort Seyne-les-Alpes zusammen, der zum Zentrum der Bergungsarbeiten geworden ist. Hier starten jeden Tag die Hubschrauber zu ihren zehn-Stunden-Schichten in das Bergmassiv, um die Überreste aus der Schlucht zu holen. Hinter ihrem Landeplatz auf einer großen Wiese am Dorfrand hat die Gemeinde das Jugendzentrum geräumt. Dort befindet sich in einer Halle das provisorische Labor der Gerichtmediziner. Sie versuchen die Toten zu identifizieren - eine schwierige Arbeit wegen des Zustandes der menschlichen Überreste, die vom Berg gebracht werden. Zwei große Kühllastwagen sind daneben geparkt, ein Anblick, der auch den Familien nicht erspart bleibt.
Ganz in der Nähe der Raum, der für den Gottesdienst hergerichtet ist. Hier liegt auch das Kondolenzbuch aus, in das sich auch Angela Merkel, Francois Hollande und Mariano Rajoy eingetragen hatten. Zwei Pfarrerinnen aus der Region sind gekommen, um den Trauernden Beistand zu leisten. "Ich denke, es ist sehr wichtig, dass wir etwas anbieten und dass wir unsere Solidarität zeigen", sagt Silvia Klumpp aus Avignon. Die Familien müssten selbst entscheiden, wie viel sie wirklich vor Ort sehen wollten und was für sie wichtig sei, aber sie bräuchten dabei Begleitung. Und die werden sie vor allem in Seyne an diesem Abend gebraucht haben: Denn die Gerichtsmediziner wollen dort von Familienangehörigen der Opfer die DNA-Proben nehmen, die sie zur Identifizierung brauchen. Noch einmal ein besonders belastender Moment für die Menschen, die hierher gekommen sind, um Abschied zu nehmen.