Türkei: Lockdown soll Urlaubssaison retten
28. April 2021Endlich flacht die Kurve ab: Lag die tägliche Zahl der Neuinfektionen in der Türkei in der vergangenen Woche noch bei über 60.000, wurden heute nur noch 43.300 Menschen registriert, die sich mit dem Virus infiziert haben. Die türkische Regierung will die Zahlen weiter senken: Präsident Recep Tayyip Erdogan hatte Anfang der Woche einen "umfassenden Lockdown" angekündigt, der ab Donnerstag (29.04.) in Kraft tritt.
Bis zum 17. Mai müssen alle Betriebe schließen, darunter auch Restaurants und Cafés. Bürger dürfen ihre Wohnungen nur noch aus triftigen Gründen verlassen, etwa zum Einkaufen. Reisen zwischen Städten sind nur mit Genehmigung möglich.
Touristen seien von der Maßnahmen allerdings ausgenommen, sagte Tourismusminister Mehmet Nuri Ersoy. Auch blieben Museen und wichtige archäologische Stätten geöffnet. "Sie sind sowohl offen als auch noch viel angenehmer. In gewisser Hinsicht ist es in der Türkei von Vorteil, Tourist zu sein", sagte Ersoy.
Die Regierung hofft, mit dem Lockdown die diesjährige Tourismussaison noch retten zu können. Für viele Gäste aus Europa und Russland ist die Türkei ein beliebtes Urlaubsziele. Sie spülen normalerweise viel Geld in die Kassen und beleben die kriselnde Wirtschaft. Die Infektionszahlen sollen rechtzeitig zur Hauptsaison auf ein Minimum reduziert werden, damit sich das Fiasko des Vorjahres nicht wiederholt.
Im vergangenen Jahr hatte die Pandemie den Ferienanlagen und Hotels am Mittelmeer und an der Ägäis schwer zugesetzt: Viele Touristen blieben wegen der weltweiten Reisebeschränkungen zu Hause. Nach Angaben des türkischen Statistikamts (TUIK) kamen 15,9 Millionen Touristen weniger, ein Rückgang von fast 70 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Die Gesamteinnahmen aus dem Tourismus gingen um 65 Prozent zurück, ein Verlust von umgerechnet 8,3 Milliarden Euro. 320.000 Beschäftigte der türkischen Tourismusbranche haben 2020 ihren Job verloren.
Schwindende Hoffnungen
Die Touristenhochburg Antalya wurde besonders von der Pandemie getroffen: Nur drei Millionen Touristen kamen 2020 in die Region, normalerweise sind es 15 Millionen. In den ersten drei Monaten dieses Jahres habe es dagegen gar nicht so schlecht ausgesehen, sagt Kemal Sahin, Vorsitzender des Tourismusunternehmens Sahinler, das in Antalya mehrere Hotels betreibt.
Dann aber seien die Infektionszahlen wieder gestiegen und Russland habe seine Flüge in die Türkei eingestellt. "Es wird nicht zur ersehnten Belebung kommen. Denn aufgrund der hohen Infektionszahlen bleiben die Flüge aus Russland bis zum ersten Juni eingestellt", so Sahin zur DW. "Wenn die russischen Touristen wegbleiben, wird alles zusammenbrechen."
Auch der Vorsitzende der Ägäischen Vereinigung für Tourismusunternehmen (ETIK), Mehmet Isler, war zu Frühlingsbeginn noch hoffnungsvoll. "Wir sind Anfang März noch von 30 Millionen Touristen für dieses Jahr ausgegangen.(...) Aber dann haben im März überall im Land Parteikongresse stattgefunden. Daher sind die Infektionszahlen wieder in die Höhe geschossen, anschließend wurden die Corona-Maßnahmen verschärft", so Isler zur DW. "Unsere Erwartungen und Ziele glichen plötzlich einer Sanduhr."
Impfprobleme
Ungefähr sieben Millionen russische und fünf Millionen deutsche Touristen reisten im Jahr 2019 in die Türkei. Aufgrund der Pandemie waren es letztes Jahr deutlich weniger. Auch dieses Jahr werde es nicht viel besser laufen, befürchtet Unternehmer Sahin. Sowohl in Russland als auch in Deutschland seien Probleme beim Corona-Impfprozess aufgetreten. "Diese Komplikationen haben unsere Pläne für das ganze Jahr ruiniert. Wir hoffen aber, dass sich der Tourismus im Juni wieder belebt und es keine weiteren Rückschläge gibt."
Lockdown das geringere Übel
Erdogans "umfassender Lockdown" wird in den nächsten Wochen den türkischen Tourismus zum Erliegen bringen. Dennoch unterstützen viele Reiseveranstalter diesen Schritt. Sie hoffen, dass die Infektionszahlen dadurch so weit fallen, dass ihre Branche bald wieder zum Alltag zurückkehren kann.
Der Lockdown sei zwar "eine korrekte, aber eine verspätete Entscheidung", kritisiert Kemal Sahin. "Wenn wir früher damit angefangen hätten, könnten wir die Saison auch früher beginnen."
Branchenvertreter Mehmet Isler kommt zu einer ähnlichen Einschätzung: "Wir müssen die Pandemie-Maßnahmen jetzt so ernst wie möglich nehmen und den Touristen vermitteln, dass die Türkei ein sicheres Land ist. Andernfalls werden wir 2021 weit hinter unseren Zielen zurückbleiben."
Aus dem Türkischen adaptiert von Daniel Derya Bellut.