Südkorea debattiert Atombewaffnung
14. September 2016
Eine Abgeordnetengruppe innerhalb der regierenden Saenuri-Partei ging am Montag nach einer Sondersitzung im Parlament an die Öffentlichkeit. "Um den Frieden zu wahren, müssen wir alle Maßnahmen prüfen, die zur Abwehr der Provokationen Nordkoreas geeignet sind, darunter auch Atomwaffen zur Selbstverteidigung", sagte der langjährige Saenuri-Abgeordnete Won Yoo-chul der Zeitung "Joong Ang". Mit dem fünften Test in der vergangenen Woche sei Nordkoreas atomares Arsenal zu einer konkreten Bedrohung für die südkoreanische Bevölkerung geworden, so Won Yoo-chul weiter. Der Abgeordnete sagte, dass die koreanische Halbinsel auf eine "nukleare Krise" zusteuere. Dies zeige sich darin, das Nordkorea trotz internationaler Sanktionen und Verurteilungen sowohl seinen Vorrat an Atomsprengköpfen ausbaue, als auch die entsprechenden Trägersysteme weiterentwickle. 31 Mitglieder der Saenuri-Fraktion im südkoreanischen Parlament unterzeichneten eine Erklärung mit der genannten Aufforderung an die Regierung.
Auch aus der Zivilgesellschaft werden Stimmen laut, die die bisherige Linie des Dialogs mit Nordkorea für gescheitert halten. "Jetzt haben wir den fünften Atomtest erlebt. Und was haben unsere Regierungen bisher erreicht? Sie haben bewiesen, dass sie den Norden nicht an der Entwicklung von Atomwaffen hindern können", meint etwa Kim Bum-soo von der konservativen Nichtregierungsorganisation "Save North&Next Korea". Jetzt sei es an der Zeit, dass sich Seoul ernsthafte Gedanken über die Entwicklung eigener Atomwaffen machen sollte, erklärte Kim gegenüber der DW. Alternativ sei denkbar, dass die Atomwaffen der US-Streitkräfte, die in den 90er Jahren aus Südkorea abgezogen wurden, wieder im Land stationiert werden.
Park: "Atomwaffenfreie koreanische Halbinsel als Ziel"
Wenige Tage vor der Erklärung der Saenuri-Abgeordneten hatten einige Politiker bereits den Vorschlag gemacht , dass Südkorea sich um die Entwicklung eigener Atom-U-Boote kümmern müsse, um der nordkoreanischen Bedrohung durch U-Boot-gestützte ballistische Raketen zu begegnen. Nordkorea hatte am 24. August erneut einen Test eines solchen Systems durchgeführt. Eine Rakete ist nach südkoreanischen Angaben dabei von einem getauchten U-Boot aus abgefeuert worden und in etwa zehn Kilometer Höhe explodiert.
Südkoreas Präsidentin Park Geun-hye hat sich nach dem jüngsten nordkoreanischen Atomtest bislang nicht zur Frage einer südkoreanischen Atombewaffnung geäußert. Nach der vorangegangenen unterirdischen Explosion vom Januar allerdings hatte sie einer atomaren Aufrüstung eine klare Absage erteilt. "Wir haben gegenüber der internationalen Gemeinschaft Versprechen gemacht. Mit der Entwicklung eigener Atomwaffen würden wir diese Versprechen brechen. Auf der koreanischen Halbinsel sollte es keine Atomwaffen geben", sagte Park seinerzeit.
Südkoreanische Bevölkerung ablehnend
Auch der Politologe Stephen Nagy von der International Christian University in Tokio sieht keine Bereitschaft in der südkoreanischen Bevölkerung für die Stationierung von Atomwaffen. "Ich glaube nicht, dass dieser Vorschlag auf nennenswerte Zustimmung stoßen wird, denn die Leute sind sich der potentiellen Folgen eines möglichen Atomkriegs auf der Halbinsel bewusst", sagte Nagy der DW. Die Südkoreaner seien bislang sehr zufrieden mit dem Arrangement, wonach sie die nationale Verteidigung an die USA übertragen haben. Hinzu komme die ablehnende Haltung Pekings und Tokios gegenüber einer Aufrüstung Südkoreas mit Atomwaffen. "Insbesondere Peking wäre in höchstem Maße besorgt, dass Japan dem südkoreanischen Beispiel folgen könnte. Die Folge wäre ein ausgewachsener Rüstungswettlauf in der Region."
Angesichts der Tatsache, dass die bisherigen internationalen Bemühungen zur Eindämmung des nordkoreanischen Atomprogramms nicht gefruchtet haben, ist es für Nagy nur normal, dass man sich in Südkorea Gedanken über andere Wege macht. Dazu gehörten auch diejenigen, die für eine Annäherung Seouls an Pjöngjang und für die Beendigung der Sanktionen plädieren. Kritiker dieser Position sagen aber, dass die einstmalige "Sonnenscheinpolitik" Südkoreas genau diesen Ansatz verfolgt und nichts erreicht habe. Auch Stephen Nagy kennt nicht die ideale Lösung. Er weiß nur eins: "Nordkorea ist ein Meister der Politik am Rande des Abgrunds und versteht es, durch die Demonstration seiner Offensiv-Fähigkeiten das Maximum an Konzessionen von der internationalen Gemeinschaft herauszuholen."