Die Kandidatin
23. April 2007Im aktuellen französischen Wahlkampf um das Amt des Staatspräsidenten sorgt ein Kandidat fast täglich für Schlagzeilen. Pardon - es handelt sich um eine Kandidatin: Ségolène Royal, Spitzenpolitikerin bei der sozialistischen Partei. Sie wirkt viel jünger als sie ist, Anfang Fünfzig, ist Mutter von vier Kindern, gibt sich sehr charmant und weiblich. Und ackert unermüdlich, um als erste Frau das höchste Amt zu erringen. Eine kleine Revolution wäre das in einem Land, in dem gerade mal zwölf Prozent der Parlamentsabgeordneten weiblich sind.
Bei ihren Landsleuten ist Royal seit Jahren ziemlich beliebt, obgleich sie lange Zeit politisch keine nennenswerte Rolle spielte. Ihre heutigen Wahlchancen erklärt Liliane Delwasse, Autorin eines kürzlich erschienenen Werks mit dem Titel "Wenn Frauen die Macht ergreifen", so: "Die Franzosen haben die Nase voll von den Herren Politikern, sie haben Lust auf einen Wechsel." Ségolène Royal biete etwas Neues. Sie habe sich in 25 Jahren in der Politik ein Image aufgebaut, so Delwasse, "ein Image, in dem es um Neuheit geht, um eine frische Brise, um Nähe zur Zivilgesellschaft".
Autoritär wie die Männer
Mit vielen - manche kritisieren: mit allen - Mitteln setzt Madame Royal im Wahlkampf ihre Weiblichkeit ein. Zweifelsohne sind jugendlich wirkende, flotte Frauen in hohen politischen Ämtern weltweit noch die Ausnahme. Doch Liliane Delwasse warnt vor allzu großen Erwartungen. Seit zwei Jahren sei Ségolène Royal nun Präsidentin der Region Poitou-Charente und unterscheide sich in der Amtsführung nicht von den Männern. Mehr Ausgleich, mehr Konsens - Fehlanzeige. Delwasse: "Sie übt ihre Macht mit einer autoritären Haltung aus, wie es sich viele Männer gar nicht trauen würden. Ich glaube, dass es letztendlich keine grundlegenden Unterschiede zwischen Politikerinnen und Politikern gibt."
Anlässlich der Fußball-Weltmeisterschaft in Deutschland hat Ségolène Royal der deutschen Kanzlerin Angela Merkel einen Brief geschickt und hart kritisiert, dass in der Bundesrepublik die Prostitution offiziell erlaubt ist. Im vergangenen Herbst besuchte sie eine Zufluchtsstätte für geschlagene Frauen in der Nähe von Paris und versprach: Sollte sie Präsidentin werden, wäre ihr erstes Gesetz dem Kampf gegen Gewalt an Frauen gewidmet. In ihrem 100-Punkte-Wahlprogramm taucht dieses Thema nun jedoch erst an 53. Stelle auf.
Kritik von Feministinnen
Als eingeschworene Feministin lasse sich die Sozialistin kaum bezeichnen, kommentiert Francoise Laurant, die Präsidentin der französischen Familienberatungsorganisation: "Wenn eine Frau sagt: Ich werde die Frauenrechte verteidigen, ohne zu erklären, wie sie das genau machen will, ist das für die Leute zwar glaubwürdig. Aber es kommt nicht zu einer wahren Debatte zum Thema." Die Feministinnen hoffen, so Laurant, auf ein großes Ministerium für die Gleichstellung der Geschlechter.
Dass Frauen in der Politik heute eine größere Rolle spielen, verdanken sie vielfach Gesetzen oder parteiinternen Auflagen, die zur Verteilung von Mandaten auf beide Geschlechter zwingen. Bisher haben sich weltweit 77 Staaten die Gleichverteilung als Ziel vorgegeben.
Politiker zeigen sich seltener als Machos
Auch in Frankreich ist seit dem Jahr 2000 ein Paritätsgesetz in Kraft. Seither setzt bei den Politikern im Land, traditionell eher als Machos bekannt, ein Umdenken ein, stellt Anne Hidalgo fest. Sie ist die rechte Hand des Pariser Bürgermeisters und beobachtet einen Rückgang offen vorgetragener sexistischer Bemerkungen: "Vielleicht machen sie hinter meinem Rücken weiter, aber ich kriege davon nicht mehr so viel mit wie früher."
Bis die zweite Hälfte der Menschheit politisch zu ihren Rechten kommt, die eigentlich selbstverständlich sind, wird noch einige Zeit vergehen. Liliane Delwasse jedenfalls ist optimistisch. In den Vereinigten Staaten werde der nächste Präsident wohl eine Präsidentin sein: Ob Hillary Clinton, Condoleezza Rice oder jemand anderes. "Stellen Sie sich das mal vor, dass der mächtigste Mensch der Welt eine Frau wäre. Was für eine Revolution." Die amerikanische Politik würde das zwar vielleicht nicht verändern, so Delwasse: "Aber es würde das Bild ändern, das die Welt von den Frauen hat."