Schwache Säkulare
29. November 2013Ein neues Demonstrationsgesetz hat in Ägypten den nach wie vor geringen Einfluss säkularer, demokratisch orientierter Kräfte offengelegt. Gegen den Widerstand von Menschenrechtsorganisationen sowie Gruppierungen aus dem linken und liberalen Lager erließ die Übergangsregierung in Kairo diese Woche ein Gesetz, das die Rechte auf friedlichen Protest beschneidet. Auch wurden die Bedingungen gelockert, unter denen die Sicherheitskräfte Gewalt gegen Demonstranten anwenden dürfen.
Für Arafa Ramadan, Aktivist und ehemaliges Mitglied der liberalen Gerechtigkeitspartei, ist es unverständlich, dass eine auf dem Papier säkulare Regierung ein derart repressives Gesetz erlässt: "Nicht alle Parteien, die nach dem 25. Januar 2011 gegründet wurden, repräsentieren die Revolution. Viele von ihnen verfolgen schlechte Ziele und unterstützen sogar eine Militärherrschaft." Dass die derzeitige Regierung selbst nur dank spontanen Massenprotesten an die Macht gelangt sei, mache deren Vorgehen umso unglaubwürdiger.
An der Seite der Militärs
Noch vor wenigen Monaten waren viele Revolutionsaktivisten deutlich optimistischer. Nach landesweiten Protesten stürzte die Armee am 3. Juli den frei gewählten, aber zunehmend autoritär agierenden Präsidenten Mohammed Mursi. Die islamistische Muslimbruderschaft, aus der Mursi stammte, wurde für illegal erklärt. Das kurze Intermezzo der Islamisten-Herrschaft war beendet, die Bühne frei für die säkularen Kräfte. So die Theorie. Stattdessen hat bislang vor allem die alte Garde aus Armee, Innenministerium, Geheimdienst und Teilen des Justizapparates von den politischen Umbrüchen profitiert. Möglich gemacht haben dies gerade auch die säkularen Parteien, die nun in der Regierung vertreten sind.
Anstatt die Grundlagen für einen Zivilstaat zu schaffen, stellten sich viele dieser Parteien unkritisch an die Seite der Militärführung um Armeechef Abdel Fattah al-Sisi, beklagt Hussein Gohar, internationaler Sekretär der sozialdemokratischen Partei Ägyptens. Diese hatte als eine der wenigen politischen Gruppierungen zuletzt immer wieder das brutale Vorgehen der Sicherheitskräfte gegen islamistische Demonstranten sowie die harten Urteile der Richter kritisiert. Erst am Mittwoch (27.11.2013) verurteilte ein Gericht in Alexandria 21 Frauen, darunter sieben Minderjährige, zu je elf Jahren Haft. Sie hatten im Oktober für eine Wiedereinsetzung Mursis demonstriert. Gohar erklärt: "Andere Parteien unterstützen Sisi und sehen ihn als Retter. Zum größten Teil haben sich die Parteien nicht von der Gewalt distanziert. Sollte die Lage eskalieren, wird man ihnen das vorwerfen."
Basisarbeit vernachlässigt
Obwohl liberale und linke Politiker im Kabinett um den sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Hasim al-Beblawi nominell den Ton angeben, haben deren Parteien Mühe, sich zu profilieren. Fragt man Passanten in Kairo, wem sie bei den für Frühling 2014 angesetzten Parlamentswahlen ihre Stimme geben werden, erntet man oft nur ein Schulterzucken. Dass die säkularen Parteien auch fast drei Jahre nach der Revolution noch immer so wenig Wiedererkennungswert haben, liegt auch daran, dass sie die Basisarbeit sträflich vernachlässigt haben. Ihre führenden Köpfe tingeln häufig nur zwischen Parteibüro und TV-Studio hin- und her. Direkten Kontakt mit den Bürgern, besonders außerhalb Kairos, suchen sie seltener.
Hussein Gohar fordert, dass die säkularen Kräfte umdenken müssen, beklagt zugleich aber auch die schwierige finanzielle Situation vieler Parteien: "Um die Leute an der Basis zu erreichen, braucht es viel Geld und eine ruhigere Atmosphäre. Beides haben wir bisher nicht gehabt." Der Sozialdemokrat gibt auch zu bedenken, dass die meisten der säkularen Parteien noch sehr jung und unerfahren seien. Die chaotische Übergangsphase der vergangenen Monate habe verhindert, dass diese eine klare politische Strategie entwickelten. Die Parteien müssten einen Weg finden, die von den Islamisten hinterlassene Lücke zu füllen, ohne dabei wie die Muslimbruderschaft Stimmen mit Esspaketen und medizinischer Hilfe zu erkaufen.
Interne Machtkämpfe
Zusätzlich zur angespannten Finanzlage und der fehlenden Erfahrung schwächen sich Ägyptens Säkulare aber immer wieder selbst durch interne Rangeleien und Machtkämpfe. Mehrere Parteien der Nationalen Rettungsfront, dem größten Bündnis säkularer Parteien, mussten zuletzt Massenaustritte hinnehmen. Auch die Jugend-Protestgruppe Tamarrod (Rebellion), die mit ihrer Unterschriftensammlung maßgeblich zum Sturz Mursis beitrug, droht auseinanderzubrechen. Teile der Basis haben sich von der offiziellen Führung losgesagt. Sie klagen über intransparent gefällte Entscheidungen, einen diktatorischen Führungsstil und ein Anbiedern an die derzeitigen Machthaber.
Aktivist Arafa Ramadan kann mit ähnlichen Geschichten aus seiner Erfahrung als Mitglied der Gerechtigkeitspartei aufwarten. Drei Monate nach der Revolution von prominenten Revolutionären gegründet, legte die Partei einen vielbeachteten Start hin. Doch schon nach kurzer Zeit hatten sich die Gründungsmitglieder heillos zerstritten. Ramadan erzählt: "Was ich aus meiner eigenen Erfahrung sagen kann, ist, dass auch innerhalb der Partei nur um die Macht gefeilscht wird. Wer wird Präsident, wer wird sein Stellvertreter, wer wird Generalsekretär?" Für viele Ägypter existiere die Gerechtigkeitspartei heute nur noch auf dem Papier.