Szenen einer Fraktions-Ehe
16. September 2016Wer die Stimmung ein bisschen aufmischen will, geht auf Facebook. Ruprecht Polenz hat es vor kurzem gemacht. "CDU-Geschäftsstelle sucht Büro-Immobilie in München", hat er geschrieben. "Vorzugsweise in der Nähe des Bayerischen Landtags", ergänzte der frühere Generalsekretär der CDU. Einbruch ins Revier der CSU? War natürlich alles Quatsch. Aber es kommt auf die Wirkung an.
Wohl noch nie in der langen gemeinsamen Geschichte lagen sich die beiden Christen-Parteien so in den Haaren wie derzeit - und das schon seit einem Jahr. Entlang der Flüchtlingsfrage verläuft die Argumentationsfront: Zwischen "Wir schaffen das" (Merkel) und "Wir ändern das" (Tenor der CSU).
Deshalb beschäftigt der Gedanke an eine Aufkündigung der Fraktionsgemeinschaft der beiden Parteien gerade die Fantasie. Soll die CSU, die nur in Bayern zur Wahl steht, demnächst bundesweit antreten? Oder: Soll die CDU, die in Bayern politisch abstinent ist, Einzug in das größte Flächenland halten? Pläne wie diese gab es schon einmal.
Der Geist, der aus Kreuth kam
Der Parteienforscher Oskar Niedermayer spricht von einer der größten Krisen, die die beiden Parteien jemals hatten. Das sieht auch Markus Söder so, der bayerische Finanzminister und potentielle Seehofer-Nachfolger. Und das ein Jahr vor den Bundestagswahlen.
Nichts scheint mehr ausgeschlossen. Ein eigenständiger CSU-Wahlkampf, samt eigenem Programm und Kanzlerkandidaten? Alles möglich. Laut Infratest-Umfrage finden 45 Prozent der Befragten eine bundesweit wählbare CSU gut. So konfrontativ standen sich CDU und CSU zuletzt vor 40 Jahren gegenüber.
Es war der 19. November 1976 und die Nachricht schlug ein wie eine Bombe: Die CSU beschloss auf einer Klausurtagung in Wildbad Kreuth das Ende der Fraktionsgemeinschaft mit der CDU. Es war die große Zeit des Franz Josef Strauß. Der Parteichef der CSU lieferte sich über Jahre teils erbitterte Duelle mit Helmut Kohl, dem Vorsitzenden der CDU.
Beide litten unter dem Verlust der Macht im Bund. Beide hielten sich für den jeweils besseren Kanzler-Herausforderer. Seit 1969 regierten Sozialdemokraten das Land - erst Willy Brandt, dann Helmut Schmidt. Nur eine Woche nach dem legendären Trennungsbeschluss legte der Bayer nach und bezeichnete Kohl in einer heimlich mitgeschnittenen Rede als "total unfähig" und schickte noch gleich die Prophezeiung hinterher: "Der Mann wird nie Kanzler". Womit er gründlich falsch lag.
Drei Wochen tobte der Kampf der Unionsschwestern. Am 12. Dezember nahm die CSU offiziell die Entscheidung zurück. Was sie sich reichlich vergolden ließ. Die besondere Eigenständigkeit der Christsozialen innerhalb der Bundestagsfraktion wurde gestärkt und in wichtigen politischen Fragen steht der kleineren Partei aus Bayern seitdem ein Vetorecht zu.
Letztlich ging es damals um die Machtfrage. Die Union hatte - mit Helmut Kohl als Spitzenkandidat - die Bundestagswahl 1976 verloren. Der Frust darüber war besonders bei der CSU zu spüren. Strauß, nicht Kohl, durfte 1980 Schmidt herausfordern - doch auch er verlor.
Wenn die CDU nach Bayern geht
Was hat die CSU damals zum Einlenken bewegt? Helmut Kohl hatte nach dem Trennungsbeschluss der kleineren Schwester gedroht, mit seiner CDU politisch in Bayern einzumarschieren. Das zeigte Wirkung.
Ein CDU-Landesverband hätte, so die Berechnungen, der CSU großen Schaden im eigenen Revier zugefügt. Vor allem in den Großstädten und in den protestantischen Regionen Frankens hätte die CSU Federn lassen müssen. Ein Nachteil, der mit zusätzlichen Stimmen für eine bundesweit auftretende CSU nicht zu kompensieren gewesen wäre. Und das gilt auch heute wieder.
Umgekehrt weiß die CDU, was sie an der kleineren Schwester aus Bayern bundespolitisch hat. Denn sie profitiert von der Stärke der CSU im südlichsten Bundesland. Keine andere Partei hat so häufig mit absoluter Mehrheit regiert wie die Christsozialen in Bayern. Ein politisches Pfund, das der Union bei Bundestagswahlen nicht nur einmal zum Erfolg verhalf. Sie band und bindet die Rechtskonservativen an die Union - zumindest in Bayern.
Rechts von der Union: die AfD
Genau diese Erkenntnis sorgt nun unter neuen politischen Vorzeichen für Unruhe in den Unionsreihen - vor allem auf Seiten der CSU. Mit der AfD ist eine Partei auf Erfolgskurs, die eindeutig rechts von den Unionsparteien steht.
Die alte Strauß-Formel, dass rechts von der Union nur noch die Wand zu sein habe, gilt derzeit nicht mehr. Das ist einer der Gründe, warum die CSU in der Flüchtlingspolitik anders auftritt als die Kanzlerin. Merkel verprelle mit ihrer Politik der offenen Grenzen klassisches Wählerpotential am rechten Rand, so der Vorwurf aus München.
Tatsächlich verliert die Union seit Monaten Wähler an die AfD. Umgekehrt genießt CSU-Chef Horst Seehofer unter AfD-Anhängern ein deutlich größeres Vertrauen als die AfD-Vorsitzende Frauke Petry. Dennoch will die Kanzlerin von einer Obergrenze für Flüchtlinge nichts wissen, die Seehofer seit fast einem Jahr ultimativ fordert. Der CSU-Chef will maximal 200.000 Flüchtlinge pro Jahr ins Land lassen. Doch das deutsche Asylrecht ist ein individuelles. Sicher ein Grund, warum die Kanzlerin eine Begrenzung für Flüchtlinge ablehnt. Die Unionsschwestern bleiben zerstritten, aber zusammen - bis auf weiteres.