Syrischer Bürgerkrieg bedroht Libanon
5. August 2014Der Krieg in Syrien überspringt immer öfter die Grenze zum Libanon: Seit dem vergangenen Wochenende lieferten sich aus Syrien eingesickerte Kämpfer der sunnitischen Terrorgruppen "Al Nusra Front" und "Islamischer Staat" ("IS", ehemalig "ISIS") schwere Gefechte mit dem libanesischen Militär. Über drei Tage erstreckten sich die Kämpfe rund um die Ortschaft Arsal in der Nähe der syrischen Grenze. Dabei starben 14 Soldaten, über 80 wurden verletzt. Zugleich wurden rund 50 Dschihadisten getötet. Die Kämpfe sind die bislang heftigsten in dem Gebiet, in dem es bereits seit Monaten immer wieder zu Zusammenstößen zwischen sunnitischen Kämpfern und Milizionären der schiitischen Hisbollah kommt. Eine zwischenzeitlich angekündigte 24-stündige Waffenruhe scheiterte.
Anlässlich der jüngsten Kämpfe erklärte der libanesische Ministerpräsident Tammam Salam, sein Land setze in der Abwehr des Terrors ganz auf militärische Stärke. Eine politische Lösung werde es nicht geben, teilte er mit. "Die einzige Lösung ist der Abzug der Radikalen aus Arsal und der Gegend." Zu diesem Zweck hat der Libanon Frankreich gebeten, bereits zugesagte Waffenlieferungen unmittelbar auf den Weg zu bringen. "Die Schlacht erfordert Ausrüstungsgegenstände, Material und Technologie, die wir nicht haben", erklärte der libanesische Armeechef Jean Kahwaji. "Darum müssen wir die Lieferungen beschleunigen."
Mit dem kompromisslosen Kurs hofft Salam zu verhindern, dass der syrische Bürgerkrieg endgültig auf den Libanon überspringt. Doch genau das ist das Ziel der aus Syrien einsickernden Dschihadisten. Durch Angriffe auf die im Grenzgebiet zu Syrien lebende schiitische Bevölkerung hoffen sie, diese zu Gewalttaten gegen ihre sunnitischen Landsleute zu provozieren. Auch durch die Kämpfe gegen das libanesische Militär hoffen die sunnitischen Terroristen, die Solidarität der libanesischen Sunniten zu erlangen. Diese, so der Plan, soll dann umschlagen in konfessionelle Gewalt.
Der Traum vom grenzüberschreitenden "Kalifat"
Durch die zwischen den beiden konfessionellen Gruppen entfachte Gewalt haben die Dschihadisten ihr erstes Ziel erreicht: den libanesischen Staat zu schwächen. Ein durch konfessionelle Gewalt oder Bürgerkrieg erschütterter Staat hat kaum mehr die Mittel, sich gegen den Vormarsch der Dschihadisten zu wehren. Genau diese Erfahrung haben die Kämpfer des "Islamischen Staates" und der "Al Nusra-Front" auch in Syrien und im Irak gemacht. Dort haben sie sich die Macht über weite Landesteile erkämpft. Hunderttausende Syrer und Iraker sind vor ihnen auf der Flucht. Sie wollen nicht in dem "Kalifat" leben, dass die Terroristen auf beiden Seiten der syrisch-irakischen Grenze errichtet haben. Mit dieser Taktik hoffen sie nun auch im Libanon die Grundlagen jenes islamischen Staates zu legen, auf den sie sich schon in ihrem Namen ("IS" – "Islamischer Staat") beziehen.
Mit ihrer Taktik machen sich die Terroristen die konfessionellen Besonderheiten der Region zunutze. Denn die Grenze zwischen Syrien und dem Libanon entspringt keinen kulturellen oder konfessionellen Unterschieden. Sie wurde von den Kolonialmächten gemäß dem 1916 vereinbarten Sykes-Picot-Abkommen gezogen. Ohne Rücksicht auf die Bevölkerung zu nehmen, markierte die neue Grenze allein die Einflusssphären der beiden Kolonialmächte Frankreich und Großbritannien. "Ein Volk, zwei Länder" umreißt seitdem ein geflügeltes Wort die Situation im Grenzgebiet. Der Ort Arsal, schreibt die libanesische Tageszeitung "As-safir", sei das erste Opfer dieser verfahrenen Situation geworden.
Konfessionelle Bindungen über Staatsgrenzen hinweg
Denn der Krieg in Syrien lässt auch die Libanesen nicht kalt. Die Sunniten tendieren eher dazu, mit den Gegnern des Assad-Regimes zu sympathisieren. Diese rekrutieren sich zwar nicht nur, aber zu großen Teilen aus Sunniten. Die libanesischen Schiiten hingegen tendieren eher zum Assad-Regime, dessen Mitglieder überwiegend zur schiitischen Gruppierung der Alawiten gehören. Die konfessionellen Solidaritäten setzen sich über die Staatsgrenzen hinweg, die religiöse Identität konkurriert mit der nationalen.
Bei Ausbruch des Krieges in Syrien hatte die libanesische Regierung sich um strikte Neutralität bemüht. Sie hoffte, Staat und Gesellschaft des Libanon hätten nach dem Bürgerkrieg 1975-1990 eine hinreichend starke Identität entwickelt, zu der sich alle Libanesen, ganz unabhängig von ihrer Konfession, bekennen würden. Tatsächlich hielten sich die Libanesen zu Beginn des Kriegs in Syrien auch zurück.
Die Rolle der Hisbollah
Als das Assad-Regime dann aber in Bedrängnis geriet, sprang ihm die schiitische, vom Iran finanzierte Hisbollah-Miliz zur Seite. Tausende ihrer Mitglieder kämpfen an der Seite von Assads Truppen gegen die Aufständischen.
Damit zogen sie Schritt für Schritt auch den Libanon in den Krieg hinein. Sunnitische Dschihadisten feuerten Raketen auf libanesisches Staatsgebiet, in grenznahen Ortschaften des Libanons kam es zu Ausschreitungen zwischen Sunniten und Schiiten. Der Terror rückte in Form von Attentaten mit Autobomben sogar bis Beirut vor.
Nun kommt es darauf an, ein weiteres Vordringen des Terrors auf libanesisches Terrain zu verhindern. In einer Gesellschaft, die wie der Libanon über weite Bevölkerungsgruppen konfessionell stark aufgeheizt ist, ist das ein schwieriges Unterfangen. Derzeit gehe es um nichts Geringeres als darum, den libanesischen Staat vor Auseinanderfall oder Zusammenbruch zu bewahren, schreibt die Zeitung Al-safir. Sie sieht den Libanon vor der größten Bewährungsprobe seit dem Ende des Bürgerkriegs 1990.