Regierungstruppen greifen Krankenhäuser an
27. Juni 2018Nach heftigen Luftangriffen auf Rebellengebiete im Südwesten Syriens sind Aktivisten zufolge mehrere Feldkrankenhäuser so stark beschädigt worden, dass sie den Betrieb einstellen mussten. Die Kliniken liegen in Orten östlich von Deraa unweit der Grenze zu Jordanien. Wie die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte meldete, seien in der Region fünf Kliniken wegen der Angriffe außer Betrieb. Ein sechstes Krankenhaus habe aus Angst vor Bombardierungen die Arbeit eingestellt. Eine regierungstreue Miliz verbreitete das Bild einer zerstörten Klinik, die von ihr mittlerweile eingenommen wurde.
Die Region um die Stadt Daraa sei mehr als 80 Mal aus der Luft bombardiert worden, meldeten Aktivisten. Sie machten dafür die syrische und die russische Luftwaffe verantwortlich. Ein Sprecher der medizinischen Nothilfe-Gruppe UOSSM sagte, außerdem sei ein Zivilschutzzentrum getroffen und beschädigt worden. Bei den Bombardements wurden nach Angaben der Beobachtungsstelle acht Zivilisten getötet. Die syrische Regierung hat bisher stets dementiert, medizinische Einrichtungen angegriffen zu haben.
Offensive gegen Rebellen
Angesichts der Bombardements zeigten sich Hilfsorganisationen höchst alarmiert und riefen zu einem Ende der Kämpfe auf. Regierungstreue Einheiten versuchen seit rund einer Woche verstärkt, die Kontrolle über das Gebiet an der Grenze zu Jordanien zu gewinnen. Am Montag begann die Armee nach Angaben syrischer Staatsmedien eine Offensive, um die Verbindung zwischen der teilweise von Rebellen kontrollieren Stadt Daraa und dem Nachbarland zu kappen. Seitdem seien etwa 47 Zivilisten getötet worden, teilte die Beobachtungsstelle mit.
Die zwischen Regierungstruppen und Rebellen geteilte Stadt steht im Zentrum der Kämpfe. Laut einem Bericht des staatlichen Fernsehens haben Aufständische die Stromversorgung Deraas gekappt. In der Region sind nach UN-Angaben rund 50.000 Zivilisten auf der Flucht vor der Gewalt. Wie Aktivisten berichteten, flohen viele Menschen in Richtung der israelischen Grenze. Die Flüchtlinge wüssten, dass die Jets Gebiete in der Nähe der von Israel besetzten Golanhöhe nicht bombardieren würden, erklärte ein Aktivist aus Daraa.
Der Südwesten ist neben der Provinz Idlib an der Grenze zur Türkei eine von zwei verbliebenen Rebellenhochburgen in Syrien. Russland ist in dem mehr als sieben Jahre dauernden Bürgerkrieg ein Verbündeter der Regierung. Moskau, die USA und Jordanien hatten sich vor rund einem Jahr auf eine sogenannte Deeskalationszone für Daraa geeinigt.
Moskau dementiert
Das russische Verteidigungsministerium dementierte Medienberichte, Russland habe sich aus dem Abkommen zurückgezogen. "Das entspricht nicht der Wahrheit", hieß es in einer Mitteilung in Moskau. Jordanien hat die Grenze geschlossen und will keine weiteren Flüchtlinge aufnehmen. Das Kinderhilfswerk UNICEF erklärte, in den vergangenen drei Tagen seien nach Schätzungen 20.000 Kinder vertrieben worden. "Der Horror kennt in Syrien keine Grenzen", warnte UNICEF. Die Hilfsorganisation Norwegian Refugee Council (NRC) rief die internationale Gemeinschaft auf, Jordanien bei der Aufnahme neuer Flüchtlinge zu unterstützen.
Daraa gehörte zu den ersten Städten Syriens, in denen es 2011 zu Protesten gegen die Regierung von Präsident Baschar al-Assad kam. Regierungstruppen hatten im Frühjahr die lang umkämpfte Region Ost-Ghuta nahe der Hauptstadt Damaskus nach wochenlangen Kämpfen und Bombardierungen unter Kontrolle gebracht. Der UN-Menschenrechtsrat beklagte dort zahlreiche Angriffe auf Kliniken. Diese gehörten im Syrienkonflikt zu einer verheerenden Kriegsstrategie. Regierungstreue Kräfte griffen die Gesundheitsinfrastruktur systematisch an.
sam/ww (dpa, rtr)