Syriens Schätze in Gefahr
24. August 2012Eines steht fest: Dominik Bonatz wäre jetzt lieber in Tell Fecheriye im Nordosten Syriens an der Grenze zur Türkei. Stattdessen sitzt der Leiter des Instituts für Vorderasiatische Archäologie mitten in der Ausgrabungssaison in seinem Büro in der Freien Universität Berlin. Insgesamt 60 Mitarbeiter hatte sein Team, mit dem er fünf Sommer lang auf einem der größten und bedeutendsten Ruinenhügel der Region gearbeitet hat. Seit 2011 ist es für ihn und seine Kollegen zu gefährlich, dorthin zurückzukehren. Dabei hätten die Ausgrabungen, die von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) finanziert werden, zu Bonatz "Lebenswerk" werden sollen, also noch viele Jahre andauern können.
Angst vor Verwüstung
In der späten Bronzezeit, also 1500-1100 vor Christus, war der Ort die Hauptstadt eines Königreichs. Doch welches Königreichs, das wollten die Archäologen herausfinden. Neben Schriften, die die zentrale Rolle von Tell Fecheriye belegten, fanden die Forscher Überreste von Verwaltungsgebäuden. So könnte es sich bei Tell Fecheriye um die bis dato nicht identifizierte Hauptstadt der Mittani-Herrscher handeln. "Die Entdeckung des Königspalastes stand kurz bevor", sagt Bonatz. Nun fürchtet er Schlimmstes. "Einige archäologische Ausgrabungen in der Nähe der Krisenherde wie Tell Afis oder Palmyra wurden zerstört oder geplündert. "Panzer haben die Kulturschichten verwüstet, anderswo wurden Schätze geraubt", erzählt Bonatz im Gespräch mit der Deutschen Welle. Noch blieb Tell Fecheriye verschont. Doch nur ein einziger syrischer Wächter sichert die Grabungsstelle, einem Überfall wäre er machtlos ausgeliefert.
Knotenpunkt der Kulturen
Der vorderasiatische Staat hat für die Altertumsforschung eine zentrale Bedeutung. Im Volksmund gilt Syrien sogar als die Wiege der Zivilisation, weil dort das erste Alphabet, noch vor dem griechischen, gefunden wurde. Das hält Jan-Waalke Meyer indes für "überzogen". Der Professor für Archäologie an der Universität Frankfurt am Main schätzt Syrien insbeonsders als Schnittstelle unterschiedlicher kultureller Einflüsse: "Menschen aus Ägypten, Anatolien, dem östlichen Mittelmeer und Südmesopotamien haben sich in Syrien getroffen. Diese typisch syrische Gemengelage hat die Grundlage auch für die europäische Kultur gebildet", so Meyer. Seit 15 Jahren gräbt er in Tel Chuera an der syrisch-türkischen Grenze. Der Name Tell Chuera ist für die Fachwelt verbunden mit Max Freiherr von Oppenheim (1860-1946), einem der ersten Entdecker und Erforscher altorientalischer Kulturen in Syrien. Auf seinen Forschungsreisen ist er bereits Anfang des vergangenen Jahrhunderts auf den Ruinenhügel Tell Chuera gestoßen und hat als erster dessen historisch bedeutsame Rolle erkannt.
Isolation durch den Krieg
Die nächstgroße Stadt Rakka liegt 120 Kilometer von Tell Chuera entfernt. Trotz der Abgeschiedenheit droht Gefahr: "Es gibt nirgendwo mehr Ruhe in Syrien. Auch die Landbevölkerung ist direkt oder indirekt vom Krieg betroffen. Zum einen durch den drohenden Terror, aber auch weil die Lebensmittelpreise dreimal so hoch sind und der Diesel knapp wird, so dass die Bewässerungsanlagen nicht mehr funktionieren." Wöchentlich telefoniert Jan-Waalke Meyer mit syrischen Kollegen und dem Wächter, der auf die Ausgrabungen aufpasst. Einmal musste dieser sich bereits gegen Eindringlinge zur Wehr setzen. Seit dem Angriff lebt er mit seiner Familie in Angst.
Keine guten Prognosen für Syrien
Fünf archäologische Institute deutscher Universitäten haben bis zu Beginn des Krieges in Syrien geforscht. Auch das Deutsche Archäologische Institut (DAI), das seit 30 Jahren eine Außenstelle in Damaskus unterhält, musste seine Feldforschungen aussetzen. Die Grabungsleiterin Karin Bartl, die seit mehreren Jahren unter anderem den neolithischen Fundplatz Shir untersucht, ist mit ihrem Institut nach Aman ins benachbarte Jordanien umgesiedelt. "Da die mittelsyrischen Städte Homs und Hama seit Beginn der Unruhen im Fokus des Geschehens lagen, mussten die Arbeiten eingestellt werden. Seit Mai 2011 ist das Institut vor Ort für den Publikumsverkehr geschlossen", heißt es aus dem DAI.
Jahrelange Forschung in Gefahr
Für den Fall einer mutwilligen Verwüstung der Denkmäler in Tell Fecheriye sähe Dominik Bonatz von der FU Berlin seine jahrelange Forschung am Ende. "Es hätte keinen Sinn, die Arbeit danach weiterzuführen", sagt er. Mit einer baldigen Rückkehr nach Syrien rechnet er nicht. "Die Situation wird noch lange instabil bleiben." Auch die Prognosen von Jan-Waalke Meyer von der Universität Frankfurt am Main sind düster. Für ihn ist kein Ende der Gewalt in Sicht. "Ich sehe keine friedliche Lösung für das Land. Auch eine neue Regierungsbildung wird zu keiner sofortigen Ruhe führen." Einige seiner Kollegen hätten Syrien als Grabungsort bereits für immer verlassen und sich auf die Suche nach neuen Projekten begeben. "Ich bin noch in Warteposition", sagt Dominik Bonatz. Zumindest Tell Feheriye möchte er auf keinen Fall aufgeben.