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Syriens Gegenpremier

Thomas Seibert19. März 2013

Nach langem Ringen hat sich die syrische Opposition bei einem Treffen in Istanbul auf einen Übergangspremier geeinigt. Er soll in den von den Aufständischen kontrollierten Gebieten des Landes ein "neues Syrien" aufbauen.

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Premierminister der syrischen Opposition Ghassan Hitto (REUTERS/Osman Orsal)
Premierminister der syrischen Opposition Ghassan HittoBild: Reuters

Hektische Beratungen hinter verschlossenen Türen, langwierige Verhandlungen in kleinen Grüppchen und eine Einigung am frühen Morgen: In der Nacht zum Dienstag (19.03.2013) wählten in Istanbul einige Dutzend Vertreter des syrischen Oppositionsverbandes SNC den Computerfachmann Ghassan Hitto (50) zum Chef einer Übergangsregierung. Er erhielt 35 von 49 Stimmen und wurde am Nachmittag nach der Nachtsitzung von der Oppositionsversammlung begeistert begrüßt.

Hitto, der mehrere Jahrzehnte in den USA lebte und arbeitete, hat eine schwierige Aufgabe vor sich. In Teilen von Nord- und Ost-Syrien, die der Kontrolle Assads entglitten sind, soll er eine neue Verwaltung aufbauen und damit den Machtwechsel in Damaskus vorbereiten. "Er hat wirklich eine ganze Menge zu tun", sagte der frühere syrische Landwirtschaftsminister Assad Asseq Mustafa, der Hitto im Rennen um den Spitzenposten unterlag, der Deutschen Welle.

Ghassan Hitto in Istanbul (REUTERS/Osman Orsal)
Ghassan Hitto (r) ist der Übergangsministerpräsident der syrischen OppositionBild: picture-alliance/ ZUMA Press

Syrischer Premier mit US-Pass

Ob Hitto die Aufgaben auch bewältigen kann, wurde am Rande der Istanbuler Versammlung von einigen bezweifelt. Nach Angaben von Delegierten versuchte eine Gruppe von SNC-Mitgliedern, die Abstimmung über Hitto in letzter Minute noch zu verschieben, andere verließen das Treffen vor dem Votum. Denn Hitto hat noch nie eine Verwaltung geleitet, schon gar nicht unter Bürgerkriegsbedingungen. Auch militärische Erfahrung hat er keine - dennoch soll er ab sofort als politischer Befehlshaber die bewaffneten Rebellengruppen in Syrien anführen.

Auch die Tatsache, dass der in Damaskus geborene Hitto lange in den USA lebte, einen US-Pass besitzt und erst im vergangenen Jahr seinen Managerposten in Texas aufgab, um sich ganz dem Kampf gegen Assad zu widmen, stieß internen Kritikern sauer auf. "Einige hatten damit Probleme", berichtete ein Delegierter. Am Ende setzte sich der als frommer Muslim beschriebene Hitto dank der Unterstützung der mächtigen Muslimbruderschaft durch. Als "sehr guten Schritt" lobte Faruk Tayfur, ein führendes Mitglied der Muslimbrüder, die Wahl Hittos im Gespräch mit Journalisten.

SNC-Führung will Wogen glätten

Halit Hoca, der SNC-Vertreter in der Türkei, spielte den internen Dissens herunter. Zum ersten Mal in der neueren syrischen Geschichte habe in Istanbul eine demokratische Wahl stattgefunden, sagte Hoca der Deutschen Welle. Die Kritiker Hittos hätten lediglich eine "demokratische Reaktion" an den Tag gelegt. Hittos Mannschaft werde aus sehr erfahrenen Mitgliedern mit viel direkter Syrien-Erfahrung bestehen, sagte er.

Das wird auch nötig sein, denn Hitto selbst ist in Syrien weitgehend unbekannt. SNC-Vertreter betonten zwar, dass er auch während seiner langen Zeit in den USA regelmäßig nach Syrien gereist sei und dass Teile seiner Familie nach wie vor im Land seien - Hittos Sohn Obaida kämpft bei den Rebellen in Syrien. Doch einige Delegierten äußerten Bedenken angesichts von Hittos Erfahrungsdefiziten.

Bewaffneter Mensch in Homs (REUTERS/Yazan Homsy)
Hitto soll die Ordnung in den von Aufständischen kontrollierten Gebieten herstellenBild: Reuters

Bemühungen um Bild der Einigkeit

Nach außen wird Hitto trotz der internen Kritik vor allem die Aufgabe haben, das Bild einer heillos zerstrittenen Opposition zu verbessern. In den vergangenen Monaten waren mehrere Versuche zur Bildung einer Übergangsregierung gescheitert. Zuletzt war das Istanbuler Treffen zweimal verschoben worden.

Hitto ist sich der Zweifel an der Opposition im westlichen und arabischen Ausland ganz offenbar bewusst. In seiner Antrittsrede forderte er mehr Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft, nahm aber auch demonstrativ gegen Extremismus Stellung: Alle Syrer seien gleich, unabhängig von ihrer Religion, ihrer Volkszugehörigkeit, ihres Geschlechts und ihrer regionalen Herkunft, betonte er. Nun wird er in den "befreiten Gebieten" beweisen müssen, dass er diese Prinzipien auch umsetzen kann.