Syrien: Möglicher Kriegsverbrecher bei Olympischen Spielen?
10. Juli 2024Im vergangenen August postete ein syrischer Mann auf Facebook ein Bild von sich. Es zeigte ihn leicht unbeholfen und ohne Lächeln vor dem Pariser Eiffelturm. Doch das Foto blieb nicht lange ein privater Schnappschuss: Bald wiesen einige Journalisten und Aktivisten der syrischen Opposition darauf hin, dass Omar al-Aroub, so der Name des Mannes auf dem Foto, ein berüchtigter Funktionär des autoritären Regimes von Baschar al-Assad in Syrien ist.
Al-Aroub ist bekannt als ranghohes Mitglied der so genannten Baath-Brigaden, einer mit der Assad-Regierung verbundenen Miliz. Davor war er Anführer der Nationalen Union syrischer Studenten (NUSS). Diese ist dem Assad-Regime ebenfalls verbunden und trug dazu bei, dass der Aufstand in Syrien brutal niedergeschlagen wurde.
Al-Aroub ist aber auch Leiter des nationalen Paralympischen Komitees Syriens. Im Sommer 2023 - zu jener Zeit entstand das Foto - befand er sich zu einem Vorbereitungstreffen in der französischen Hauptstadt.
Schwere Anschuldigungen
Im Rahmen einer Untersuchung über mutmaßliche von der NUSS begangene Kriegsverbrechen wurde die in London ansässige Aktivistengruppe Syrian British Consortium (SBC) kürzlich
auch auf al-Aroub aufmerksam. In der Mitte Juni veröffentlichten Studie gehe es um "systematisches Vorgehen gegen Universitätsstudenten, einschließlich Verhaftungen und Folter auf dem Campus", sagt Yasmine Nahlawi, eine leitende SBC-Forscherin und -Aktivistin, im DW-Interview.
"Al-Aroub hat Studenten rekrutiert, die über Demonstranten informieren und sich an der gewaltsamen Niederschlagung der Proteste beteiligen sollten. Wir wissen, dass er sie mit Schlagstöcken bewaffnete. Berichten zufolge teilte er auch Schusswaffen an sie aus", so Nahlawi.
"Laut Zeugenaussagen soll er ein höchstmögliches Maß an Gewaltanwendung angeordnet haben, fast bis zum Tod. Er ordnete an, regimekritische Studenten aus den Fenstern von Studentenwohnheimen zu werfen oder männlichen Demonstranten so heftig auf ihr Geschlechtsteil zu schlagen, dass sie unfruchtbar wurden", so Nahlawi.
Nun befürchten Nahlawi und ihre Kollegen, al-Aroub könne erneut nach Europa zurückkehren, um an den Ende Juli beginnenden Olympischen Spielen in Paris oder an den Paralympics in Paris Ende August teilzunehmen.
Mit Hilfe der in London ansässigen Organisation The Syria Campaign haben sie eine Petition gestartet, die die Organisatoren auffordert, al-Aroub von den Olympischen Spielen in Paris auszuschließen.
Da gegen ihn allerdings bisher kein Haftbefehl vorliegt, war al-Aroub bereits bei den Olympischen Spielen 2020 in Tokio präsent.
Unklare Zuständigkeiten
Bei den Olympischen Spielen in Paris werden nach jetzigem Stand voraussichtlich drei Personen aus Syrien. Die Zahl der syrischen Teilnehmer bei den Paralympischen Spielen ist derzeit noch unbekannt.
Die Aktivisten hätten grundsätzlich kein Problem mit den Sportlern aus Syrien, betont Nahlawi. Sie stören sich vielmehr daran, wie die syrische Regierung die Sportler dazu missbrauche, ihr Image aufzupolieren.
Derzeit halten sich offenbar weder das Internationale Olympische Komitee (IOC) noch das Internationale Paralympische Komitee (IPC) für den Fall al-Aroub zuständig. "Für solche Anschuldigungen gibt es viele andere Organisationen, einschließlich des Internationalen Strafgerichtshofs, die sie viel besser untersuchen und ihren Wahrheitsgehalt beurteilen können", heißt es seitens des IPC in einer per E-Mail an die DW gesendeten Erklärung.
Ein weiterer Sprecher von Paris 2024 sagte, aus Sicherheits- und Datenschutzgründen könne man nicht darüber informieren, ob al-Aroub einen so genannten Paralympics-Ausweis besitze. Sämtliche Anträge müssten aber von den zuständigen Regierungsbehörden genehmigt werden.
Eine diplomatische Quelle in der französischen Regierung teilte der DW mit, die Bewerbungen für die Paralympischen Spiele würden derzeit bearbeitet. Dabei würden sie auch den üblichen "administrativen Sicherheitsuntersuchungen" unterzogen. Allein auf Grundlage seiner Rolle bei den Olympischen Spielen genieße al-Aroub aber keine diplomatische Immunität.
Es wäre schwierig, al-Aroub einfach in Paris zu verhaften. Zwar gibt es einige rechtliche Möglichkeiten - Frankreich kann grundsätzlich durchaus Personen festnehmen, die im Ausland gefoltert haben sollen -, doch hinsichtlich der Frage, wie dieses Gesetz im Einzelfall anzuwenden sei, gibt es Grenzen.
Syrisches Dementi
Weder der Protest noch die offensichtliche Zurückhaltung der Olympia-Organisatoren seien überraschend, sagt Adam Scharpf, Politologe an der Universität Kopenhagen. Scharpf forscht derzeit zur Frage, wie Autokraten den Sport für ihre Zwecke nutzen.
Im Hinblick auf den Fall Syrien vermutet Scharpf ein Problem: "Die Vorwürfe gegen al-Aroub scheinen sich unter anderem auf seine Beteiligung an den Baath-Brigaden zu beziehen", so Scharpf. Aber genau wie die NUSS hatten diese keine offiziellen Verbindungen zum Assad-Regime."
"Solche Gruppen werden von Regierungen ganz bewusst eingesetzt, denn auf diese Weise können sie sich später von der von ihnen angeordneten Gewalt distanzieren. Es geht darum, Vorwürfe plausibel bestreiten zu können", so Scharpf. "Die undurchsichtige Verbindung macht es natürlich schwierig, Personen zu identifizieren und zu bestrafen, die mit einer solchen Gruppe in Verbindung stehen. Außerdem können Organisationen wie das IOC so ihre Unwissenheit beteuern."
In einer E-Mail an die DW wies das Syrische Paralympische Komitee die Anschuldigungen gegen al-Aroub zurück: Diese seien politisch motiviert. Offen blieb in dem Schreiben, ob er wieder nach Paris reisen wird.
Aus dem Englischen adaptiert von Kersten Knipp.