Syrer in Deutschland: Gehen oder bleiben?
11. Dezember 2024Die Nachricht vom Ende des Regimes von Baschar al-Assad in Syrien hat Politiker und Gesellschaft in Deutschland mitten im beginnenden Wahlkampf überrascht. Schnell waren Stimmen zu hören, die forderten, jetzt müssten Syrerinnen und Syrer, wenn möglich, schnell wieder in die Heimat zurückkehren, um den Druck beim heftig polarisierenden Thema Asyl und Migration zu verringern. Aber schon bald überwogen die nachdenklicheren Stimmen, die dafür plädieren, das Thema möglichst aus dem Wahlkampf für die wahrscheinliche Neuwahl des Bundestags am 23. Februar herauszuhalten.
In einer ersten Reaktion entschied das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, die Asylverfahren für Menschen aus Syrien auszusetzen. Die meisten dieser Anträge waren mit der Verfolgung durch das Assad-Regime begründet worden.
Buschmann: Gut Integrierte sollen bleiben können
Am Montag sagte der Generalsekretär der wirtschaftsnahen FDP, Marco Buschmann, im Fernsehsender RTL: "Wenn Menschen vor vielen Jahren hierhin gekommen sind, ein Teil vielleicht sogar schon die deutsche Staatsbürgerschaft erworben hat und von eigener Hände Arbeit leben kann, dann müssen die eine Perspektive haben zu bleiben."
Anders verhalte es sich mit Menschen, die von Transfereinkommen lebten, und das sei der größte Teil: "Die können natürlich nur so lange bei uns bleiben, wie die Rechtsgründe dafür vorliegen, und das war der Bürgerkrieg", so Buschmann. Der Liberale war bis zum Ende der sogenannten Ampel-Koalition von Sozialdemokraten, Grünen und FDP Anfang November noch Bundesjustizminister.
Spahn für schnelle Rückkehr
Ähnlich hatte sich zuvor schon Jens Spahn von Deutschlands derzeit größter Oppositionspartei CDU geäußert. Er sagte: "Ich würde in einem ersten Schritt sagen, wir machen ein Angebot. Wie wäre es, wenn die Bundesregierung sagt: Jeder, der zurückwill nach Syrien, für den chartern wir Maschinen, der bekommt ein Startgeld von 1000 Euro." Zugleich schlug Spahn vor, zusammen mit Österreich, der Türkei und Jordanien eine Konferenz zum Wiederaufbau Syriens und zur Rückkehr von Geflüchteten zu organisieren.
Zurückhaltender klingt da der Innenminister des Bundeslandes Bayern, Joachim Herrmann, von der CDU-Schwesterpartei CSU. Niemand werde auf die Idee kommen, Menschen, die in Deutschland selbstständig geworden seien, die einen guten Arbeitsplatz hätten, des Landes zu verweisen, sagte Herrmann dem Deutschlandfunk: "Diejenigen, die sich schon gut integriert haben, sind herzlich eingeladen hierzubleiben."
Die in Teilen rechtsextreme "Alternative für Deutschland" (AfD) schlägt die härtesten Töne an. Deren Kanzlerkandidatin Alice Weidel forderte auf ihrem Social-Media-Kanal: "Wer in Deutschland das freie Syrien feiert, bei dem liegt augenscheinlich kein Fluchtgrund mehr vor. Er sollte umgehend nach Syrien zurückkehren."
Die Bundestagsabgeordnete der Grünen, Lamya Kaddor, deren Eltern aus Syrien stammen, warnt im Gespräch mit der DW vor schnellen Schlüssen: "Die Bundesregierung sollte jetzt die Situation in Syrien mit großer Sachlichkeit beobachten. Und darauf achten, dass vor allem den Minderheiten Schutz gewährt wird."
Deutschlands Regierung müsse auch noch einige Tage abwarten, bis eine seriöse Einschätzung möglich sei, so Kaddor. "Wie sieht die neue Machtverteilung aus? Wie baut man Kontakt auf zur HTS, die von Deutschland ja noch als Terrororganisation eingestuft wird?", fragt die Grünenpolitikerin.
Scholz und Baerbock abwartend
Auch Deutschlands derzeitige Minderheitsregierung von Sozialdemokraten und Grünen hält sich mit Forderungen erst einmal zurück: Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) nannte den Sturz Assads in einer ersten Reaktion am Wochenende eine gute Nachricht. Er fügte hinzu, Assad habe "sein eigenes Volk auf brutale Weise unterdrückt, unzählige Leben auf dem Gewissen und zahlreiche Menschen zur Flucht aus Syrien getrieben".
Zu Wochenbeginn wurde bekannt, dass der Kanzler mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron über die Lage in Syrien telefoniert hat. Beide sind demnach bereit, mit den neuen Machthabern in Damaskus zusammenzuarbeiten.
Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) sprach von einem "ersten großen Aufatmen" für Millionen Syrer. Aber das Land dürfe nun nicht in die Hände "anderer Radikaler fallen - egal in welchem Gewand".
Ebenso abwartend zeigte sich der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages, Michael Roth (SPD): Er warnte auf seinem Social-Media-Kanal davor, eine "blutige säkulare Diktatur" durch eine religiös-fundamentalistische zu ersetzen.
Fast eine Million Menschen aus Syrien in Deutschland
Ende Oktober lebten rund 974.000 Menschen syrischer Herkunft in Deutschland. Das gab das Bundesinnenministerium in Berlin bekannt. Damit ist die deutsche Community der Syrerinnen und Syrer die größte außerhalb des arabischen Raums.
Lediglich rund 5090 von ihnen sind anerkannte Asylbewerber. Rund 321.000 Menschen genießen Schutz nach der Genfer Flüchtlingskonvention, weil sie etwa einer bedrohten Religionsgemeinschaft angehören. Weitere etwa 330.000 Menschen erhalten mittlerweile einen "subsidiären Schutz" - sie haben also weder einen Flüchtlingsschutz noch eine Asylberechtigung.
Viele sind auch im Zuge von Zusammenführungen von Familien nach Deutschland gekommen. Zum Vergleich: 2011, zu Beginn des syrischen Bürgerkrieges, lebten gerade einmal rund 35.000 Syrer in Deutschland.
Gesundheitsexperten: Syrer dringend gebraucht
Wie viele von diesen Menschen jetzt sofort und ernsthaft eine Rückkehr nach Syrien erwägen, ist weitgehend unklar. "Spontan geht das ja gar nicht", sagt Lamya Kaddor. Man könne an die türkisch-syrische Grenze fahren. "Aber es ist äußerst unwahrscheinlich, dass man reinkommt."
Bei denen, die erst seit zwei oder drei Jahren in Deutschland hier sind, sei die Bereitschaft zur Rückkehr höher, so die Einschätzung der Grünen-Abgeordneten. "Aber gerade habe ich in Duisburg Jugendliche zwischen 16 und 20 Jahren gesehen, die gar keine Erinnerung an Syrien mehr haben."
Krankenhäuser brauchen die Menschen aus Syrien
Auch sind viele Syrerinnen und Syrer mittlerweile etwa in den Pflege- und in Gesundheitsberufen in Deutschland kaum noch verzichtbar. So sagte der Vorsitzende der Deutschen Krankenhausgesellschaft, Gerald Gaß, dem Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" in einer ersten Reaktion: "Wir können verstehen, dass viele von ihnen in ihre Heimat zurückkehren möchten und dort auch dringend gebraucht werden."
Aber, so Gaß weiter: Gerade in kleineren Städten spielten Menschen aus Syrien in den Krankenhäusern mittlerweile eine große Rolle: "Verlassen sie in größerer Zahl Deutschland, wird dies in der Personaldecke in großer Zahl spürbar sein."