"FIFA ist unter Infantino vorangekommen"
3. Juni 2019An diesem Mittwoch tagt in Paris der 69. Kongress des Fußball-Weltverbands FIFA. Wichtigster Tagesordnungspunkt ist die Präsidentschaftswahl, die allerdings längst entschieden ist: Gianni Infantino stellt sich ohne Gegenkandidaten für weitere vier Jahre zur Wahl. Der 49-Jährige war Ende Februar 2016 zum Nachfolger des gestürzten FIFA-Chefs Joseph Blatter gewählt worden. Infantio wird von vielen der 211 Mitgliedsverbände erheblich weniger kritisch gesehen als beispielsweise in Deutschland. In Afrika, Südamerika und Asien kann der Schweizer, der die WM 2026 auf 48 Mannschaften aufgestockt hat, auf große Unterstützung bauen. Im DW-Interview zieht Sylvia Schenk von "Transparency International" Bilanz der ersten gut drei Jahre unter Infantino.
DW: Ist es aus Ihrer Sicht ein gutes oder ein schlechtes Zeichen, dass es bei der Wahl des FIFA-Präsidenten keinen Gegenkandidaten zu Amtsinhaber Gianni Infantino gibt?
Sylvia Schenk: Das ist eigentlich die übliche Situation in internationalen und oft auch nationalen Sportverbänden, dass es keine Gegenkandidaten gibt. Aus Sicht der FIFA-Mitglieder gibt es offensichtlich keinen großen Anlass zu Kritik an Infantino. Und so traut sich wohl auch niemand, gegen ihn anzutreten.
Bei seiner ersten Wahl vor drei Jahren hat Infantino gesagt: "Wir werden das Image der FIFA wiederherstellen." Hat er das aus Ihrer Sicht geschafft?
Allenfalls in Teilbereichen. Es gibt immer noch viel Unruhe. Um Image wiederherzustellen, braucht es auch sehr viele detaillierte Maßnahmen und auch entsprechende Symbole. Ich selbst sitze ja im Menschenrechts-Beirat der FIFA. Dort hat sich einiges getan. Das wird inzwischen auch von vielen Nichtregierungsorganisationen anerkannt. Im Bereich Interessenkonflikte/Transparenz fehlt noch einiges.
Was konkret?
Zum Beispiel die Transparenz von Entscheidungen und wie sie vorbereitet werden. Es gab die Diskussion um einen 25-Milliarden-Dollar-Deal [für FIFA-Rechte an einer weltweiten Nations League und einer aufgestockten Klub-WM - Anm. d. Red], wo niemand genau wusste, was dahinter steckte. Da hat sich Infantino nicht in die Karten schauen lassen und versucht, es durchzusetzen. Man sieht allerdings, dass im FIFA-Council inzwischen andere Sitten herrschen. Blatter hätte es einfach gemacht, das geht bei Infantino jetzt nicht mehr. Das ist ein gutes Zeichen für die FIFA, aber die fehlende Transparenz war zu kritisieren.
Es gab auch Diskussionen um eine Begegnung Infantinos mit einem Schweizer Staatsanwalt. Hier fehlte es ebenfalls an Transparenz, was besprochen wurde. Es ging dabei auch um die Zuständigket: Wenn es um rechtliche Fragen geht, sollte nicht Infantino persönlich mit Staatsanwälten reden, sondern seine Rechtsabteilung. Das sind Beispiele dafür, dass es mit der Transparenz und der inneren Führung noch nicht so klappt, wie man es sich bei der FIFA wünschen sollte.
Die FIFA macht jetzt die viel kritisierte Streichung des Begriffs Korruption aus dem Ethikcode wieder rückgängig. Werten Sie das als gutes Zeichen?
Das ist ziemlich albern. Korruption gibt es auch im deutschen Strafrecht nicht als Begriff. Die Presse hat sich darauf gestürzt: "Um Gottes Willen, sie streichen den Begriff Korruption aus dem Ethikcode!" Die einzelnen Tatbestände sind ja nicht gestrichen, sondern sogar übermäßig verschärft worden, indem Mindeststrafen eingeführt wurden. Es kann aber durchaus auch leichtere Fälle geben. Wenn dann sehr hohe Mindeststrafen angesetzt werden, sehe ich das als menschenrechtliches Problem, wie damit unter Umständen umgegangen wird. Die Streichung des Begriffs Korruption war ein Nichts, die Wiedereinführung ist eine Reaktion auf die Kritik der Medien. Beides hat keine Auswirkung.
Wie sieht es aus Ihrer Sicht mit der Aufarbeitung der FIFA-Korruptionsskandale aus?
Welchen meinen Sie denn? Es werden doch immer wieder Personen bestraft, da findet etliches statt.
Nehmen wir zum Beispiel den Skandal um das WM-Sommermärchen 2006.
Da kann die FIFA relativ wenig machen. Wir haben den Freshfield-Untersuchungsbericht des DFB gehabt. Die Staatsanwaltschaft ist noch dran, aber wie es aussieht, scheint es keine weiteren Möglichkeiten zu geben, Fakten aufzuklären. Ich sehe nicht, was die FIFA da noch machen könnte. Es ist ja ewig her.
Sie haben das 25 Milliarden-Dollar-Paket an ein Konsortium für alle FIFA-Rechte an einer weltweiten Nations League und an einer aufgeblähten Klub-WM erwähnt. Halten Sie den Vorwurf an Infantino für berechtigt, dass es ihm einzig um die Kommerzialisierung des Fußballs gehe?
Ich finde ihn nicht berechtigt. Auch in anderen Sportarten wird heftig um Vermarktungs- und Sponsorenanteile gerungen, auch um Anteile an Fernsehzeiten. So soll es z.B. im Schwimmen kommerzielle Wettbewerbe geben. Neue internationale Ligen sollen entstehen, etwa im Basketball oder Handball. Es ist also ganz viel in Bewegung, was die Finanzierung des internationalen, teilweise auch nationalen Sports betrifft. Jede Sportart kämpft um ihren Anteil an dem Kuchen. Natürlich ist damit auch der Fußball gefordert. Die UEFA denkt darüber nach, die Champions League anders zu strukturieren. Die Klubvereinigung ECA diskutiert darüber, ob sie einen zusätzlichen Wettbewerb einfordern soll. Und auch die FIFA dreht an diesem Rad.
Es ist Infantinos Aufgabe, die Interessen der FIFA in dieser Diskussion wahrzunehmen. Ich hätte mir, wie gesagt, dabei mehr Transparenz gewünscht. Nach meiner Einschätzung wird aber kaum ein Weg an einer weiteren Kommerzialisierung vorbei führen. Die Frage ist doch, wohin die Gelder anschließend fließen. Die FIFA investiert zurzeit zum Beispiel sehr viel in den Frauenfußball, was ich für wichtig halte.
Eine der ersten Personalentscheidungen Infantinos war die Berufung einer Frau zur FIFA-Generalsekretärin: Fatma Samoura aus dem Senegal. Haben Sie das Gefühl, dass die FIFA und damit der Weltfußball unter Infantino generell offener für Frauen geworden ist?
Es hat sich in dem Bereich eine Menge getan, teilweise auch schon vor der Amtsübernahme Infantinos. Die FIFA sagt, dass sie sowohl Mädchen und Frauen im aktiven Sport fördern will, als auch in allen Ebenen der Administration und Führung im Fußball. Auch bei der FIFA haben Frauen weitere Positionen ergriffen. Da ist die FIFA weiter als der DFB, das muss man ganz ehrlich sagen.
Stichwort DFB. Der Verband gehörte in letzter Zeit häufiger zu den Kritikern Infantinos. So richtig Opposition macht er aber nicht. Müsste der DFB aus Ihrer Sicht klarer Kante zeigen?
Der DFB muss sich erst einmal selbst sortieren und überlegen, wie er seine Struktur für die Zukunft gestaltet, mit welchem Führungspersonal er in die nächsten Jahre geht und welche Personen er in die internationalen Gremien schickt. Im Augenblick ist er ja völlig draußen. Opposition alleine macht wenig Sinn. Der DFB müsste sich mit anderen Verbänden zusammentun. Die wichtigsten Gegenpositionen zur FIFA vertritt aus meiner Sicht derzeit die UEFA, die unter dem Präsidenten Aleksander Ceferin eine gute Politik macht. Es wäre wünschenswert, wenn sich der DFB dort beteiligt, sobald er wieder richtig aufgestellt ist.
Manche sagen, unter Infantino sei es bei der FIFA noch schlimmer geworden, als es unter Joseph Blatter gewesen sei. Aus Ihren Antworten höre ich heraus, dass Sie eher eine positive Gesamtbilanz der ersten Jahre unter Infantino ziehen würden.
Die FIFA entwickelt sich voran, in manchen Bereichen mehr - wie z.B. bei den Menschenrechten -, in anderen noch nicht ausreichend, Stichwort Transparenz oder Umgang mit Interessenkonflikten. Infantino hat Fehler gemacht, keine Frage. Aber er hat eben auch diese Entwicklung mit betrieben. Allerdings sind auch einige Strukturen so verändert worden, dass Dinge gar nicht mehr so passieren können wie unter Blatter. Die FIFA als Institution ist auf jeden Fall vorangekommen.
Seit 2006 arbeitet Sylvia Schenk für „Transparency International Deutschland". Von 2007 bis 2010 war sie Vorsitzende der Nichtregierungsorganisation, die sich den Kampf gegen Korruption auf die Fahne geschrieben hat. Seit 2014 leitet die 66 Jahre alte Juristin die "Arbeitsgruppe Sport" bei Transparency. Bei der FIFA sitzt sie seit 2017 im Beratungsausschuss für Menschenrechte. Schenk war früher Mittelstreckenläuferin. Von 2001 bis 2004 führte sie als Präsidentin den Bund Deutscher Radfahrer (BDR).
Das Interview führte Stefan Nestler.