Sudan: Hintergründe eines Putsches
25. Oktober 2021Auf dem Weg zur Demokratie hatte der Sudan bereits eine beachtliche Wegstrecke hinter sich gebracht. Eine Übergangsregierung war gebildet worden, und Wahlen zeichneten sich an einem zwar fernen, aber nicht unerreichbaren Horizont ab. Nun aber hat die Armee geputscht.
Sie brachte den amtierenden Premier Abdullah Hamduk sowie mehrere Minister an einen unbekannten Ort, schaltete Internet, Mobilfunknetz und Teile des Festnetzes weitestgehend ab und verkündete den Ausnahmezustand.
Frieden und Sicherheit im Sudan seien bedroht gewesen, begründete der Generalkommandant der sudanesischen Streitkräfte, Abdel Fattah al- Burhan, das Vorgehen der Armee. Um die Sicherheit des Landes zu schützen, habe sich das Militär zum Handeln gezwungen gesehen. Man werde den demokratischen Kurs aber fortsetzen, bis die Macht an eine zivile gewählte Regierung übergehe. Wahlen sollten wie geplant im Juli 2023 stattfinden.
Bei dieser Erklärung dürfte es sich wohl um ein Lippenbekenntnis handeln, sagt Theodore Murphy, Direktor der Afrika-Programme des European Council on Foreign Relations. "Das Militär will seinen Schritt offenbar verbal etwas aufpolieren. Der Führung dürfte bewusst sein, dass dieser Schritt ausgesprochen drastisch ist." Sie hoffe ganz offenbar darauf, dass sich die internationale Gemeinschaft auf diese Weise beschwichtigen lasse.
Bereits im September hatte es im Sudan einen Putschversuch gegeben. Seitdem war die politische Spannung im Land enorm gestiegen.
Spannungen zwischen Zivilisten und Militärs
Der Putsch erfolgte zu einem entscheidenden Zeitpunkt im geplanten Demokratisierungsprozess, den der Sudan seit über zwei Jahren durchlief. Im April 2019 wurde der 26 Jahre lang autokratisch regierende Staatspräsident Omar al-Baschir durch über Monate anhaltende Massenproteste aus dem Amt getrieben.
In einem komplizierten Verhandlungsprozess einigten sich das Militär und die zivile Opposition dann auf eine Übergangsregierung, getragen von beiden Seiten. Eine wesentliche Herausforderung war dabei, auch die bewaffneten Rebellengruppen in die Gespräche einzubeziehen und in den Staat, der sich auf dem Weg zur Demokratie befand, zu integrieren.
In ihren Gesprächen hatten Militärs und Zivilisten einen Übergangsprozess von 39 Monaten geplant. In der derzeitigen Phase des Prozesses hätte die Militärführung eigentlich die politische Führung an die Zivilisten übergeben sollen, sagt Theodore Murphy. Allerdings hätten sich zwischen beiden Seiten zuletzt einige Spannungen aufgetan. Diese machten einander gegenseitig für die Missstände im Land verantwortlich.
Dazu gehören unter anderem eine steigende Inflationsrate sowie Engpässe bei der Versorgung mit lebenswichtigen Gütern. Letztere wurde durch eine Blockade der wichtigsten sudanesischen Häfen im Osten des Landes verursacht.
Zudem nahm die politische Gewalt ungeachtet eines im vergangenen Jahr mit den Rebellengruppen geschlossenen Friedensabkommens wieder zu. "Zuletzt hat die Armeeführung offenbar den Eindruck gewonnen, dass die Zivilisten das Militär unmittelbar herausfordern", so Murphy.
Proteste gegen den Putsch
Allerdings dürften sich die zivilen Regierungsmitglieder der Unterstützung großer Bevölkerungsanteile bewusst sein. Die hatten noch Ende der vergangenen Woche für die Fortsetzung des Übergangsprozesses demonstriert. Hunderttausende Menschen seien auf die Straße gegangen, sagte die Politanalystin und Moderatorin Kholood Khair des in Khartoum ansässigen Think Tanks Insight Strategy Partners in einem DW-Interview in der vergangenen Woche. "Es war ein breiter Protest", so Khair.
Auch kurz nach dem Putsch gingen zahlreiche Sudanesen auf die Straße, um gegen die Machtübernahme zu demonstrieren. Laut Medienberichten waren in Khartoum auch Schüsse zu hören, mehrere Menschen seien verwundet worden. Dennoch ließen sich die Demonstranten offenbar nicht einschüchtern. "Das Volk ist stärker (als die Regierung)", skandierten sie den Berichten zufolge.
Allerdings stehen nicht alle Sudanesen hinter dem Übergangsprozess. Teile der bewaffneten Rebellengruppen sähen lieber eine Militär- als eine Zivilregierung an der Macht, erklärt Theodore Murphy. "Sie sehen, dass eine demokratische Zukunft nicht zu ihren Gunsten ausfallen dürfte. Sie sind offenbar der Ansicht, dass eine Militärdiktatur ihnen bessere Aussichten bietet."
Die Militärs hätten zwar auch die Stimmung der Bevölkerung im Blick, sagt Theodore Murphy. "Allerdings zählt deren Zustimmung in den Augen der Militärs im Zweifel wenig. Sie verlassen sich auf Nachbarstaaten wie Ägypten", so Murphy. Dies sei der engste Verbündete der sudanesischen Armee.
Außerdem setze die sudanesische Militärführung auf die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), "ein Staat", so Murphy, der demokratischen Experimenten eher verhalten gegenübersteht." Die VAE hätten es bislang allerdings vermieden, sich voll und ganz hinter die sudanesische Armee zu stellen.
Die Rolle des Westens
Im Mai dieses Jahres hatten internationale Geber, darunter auch Deutschland, dem Sudan einen milliardenschweren Schuldenerlass gewährt. Damit sollte der friedliche Übergang zur Demokratie gestützt werden. Umso mehr dürfte es jetzt darauf ankommen, wie sich die westlichen Staaten, insbesondere die EU, zu dem Putsch positionieren werden, sagt Theodore Murphy.
"Wenn die EU jetzt einheitlich und in aller Deutlichkeit erklärt, dass verbesserte Beziehungen zum Sudan für sie nur auf Basis einer demokratischen Transition denkbar seien, und sie diese abbrechen würde, sollte diese Voraussetzung nicht mehr gegeben sein, könnte das durchaus Einfluss auf die Militärführung haben."
Erste Stellungnahmen deuten auf eine entschlossene Reaktion hin. So verlangten der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell ebenso wie Frankreichs Präsident Emmanuel Macron die Freilassung von Sudans Premier Abdullah Hamduk.
Auch der deutsche Außenminister Heiko Maas verurteilte den Putsch. "Ich rufe alle, die im Sudan Verantwortung für die Sicherheit und staatliche Ordnung tragen auf, den friedlichen politischen Übergangsprozess im Sudan hin zu einer Demokratie fortzuführen", erklärte der Minister am Montag auf Twitter. Meinungsverschiedenheiten müssten im Dialog gelöst werden.