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PolitikSudan

Sudan: Erneut Massaker und kein Ende des Krieges in Sicht

29. Oktober 2024

Über Tage ermordeten Milizen im Südosten des Sudan zahlreiche wehrlose Zivilisten. Auch die reguläre Armee geht immer wieder brutal vor. Ein Waffenstillstand gilt absehbar als unwahrscheinlich.

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In der Provinz Al-Gazira bringen sich Menschen auf Lastwagen vor den Milizen der RSF in Sicherheit, 27.10.2024
Auf der Flucht im Sudan: Menschen bringen sich vor den Milizen der RSF in Sicherheit, Ende Oktober 2024Bild: AFP

Tagelang attackierte die paramilitärische Gruppe Rapid Support Forces (RSF) mehrere Orte in der Provinz Al-Dschazira im Südosten des Sudan. Am Ende waren laut unterschiedlichen Medienberichten mindestens 120 Zivilisten tot, in anderen Quellen ist von hunderten zivilen Todesopfern die Rede. Zudem gab es zahlreiche Verletzte, mehr als 47.000 Menschen wurden Angaben des UN-Nothilfebüros (OCHA) zufolge vertrieben. Ein Expertenbericht der UN spricht von möglichen Kriegsverbrechen.

Das Massaker setzt die Brutalität des im April 2023 ausgebrochenen Krieges fort, in dem bislang knapp 25.000 Menschen getötet wurden. Entzündet hatte sich der Krieg an dem Umstand, dass General Mohammed Hamdan Dagalo (auch Hemeti genannt), der Kommandant der RSF, sich weigerte, seine Truppen in die reguläre Armee (Sudanese Armed Forces, SAF) unter dem Kommando von General Abdel Fattah al-Burhan eingliedern zu lassen. Die humanitäre Lage in dem Land gilt als katastrophal.

Dem Massaker der vergangenen Tage vorausgegangen waren Spannungen unter Befehlshabern der RSF. Laut Quellen vor Ort hatte am 20. Oktober Abu Aqla Kikl, ein zahlreicher Kriegsverbrechen beschuldigter RSF-Kommandeur, die Seiten gewechselt: Er und seine Truppen liefen zu den SAF über. Daraufhin setzten die RSF zu einem großangelegten Rachefeldzug an. Der richtete sich aber laut Beobachtern nicht nur gegen die Überläufer, sondern auch und vor allem gegen die unter deren Herrschaft lebenden Zivilisten. Einem Newsletter der sudanesischen NGO Fikra for Studies and Development zufolge richtete sich die Rache zunächst gegen Bewohner aus dem östlichen Teil der Provinz, aus der auch Kikl selbst stammt. Über mehrere Tage marodierten die RSF demnach in der Region. "Töte einen jungen Kikl, bevor er aufwächst", sollen die Milizen unter anderem gerufen haben. In ihren Augen gelten die Bewohner demnach als "Verräter".

In der Ortschaft Tambul töteten sie demnach an einem einzigen Tag, dem 22. Oktober, 300 Menschen. Am Vortag hatten sie laut dem Bericht bereits in dem Ort Rufaa rund 100 Personen getötet. Zudem vergewaltigten sie Frauen, entführten zahlreiche Personen und ließen Mädchen verschwinden, so der Bericht. An den folgenden Tagen marodierten sie in mehr als 100 weiteren Ortschaften der Region, so Fikra for Studies and Development weiter. Später setzten sie ihren Rachefeldzug in nördlichen und zentralen Gebieten der Region Al-Dschasira.

Sudan: Vergewaltigung und Völkermord in Darfur

Minderjährige Kämpfer unter Drogen

Im Grundsatz sei solche Gewalt leider nicht neu, sagt Marina Peter, Vorsitzende des Sudan- und Südsudan-Forums, im DW-Interview. Vergleichbare Gräueltaten habe es bereits im ersten Darfur-Krieg in den frühen 2000er Jahren gegeben. "Auch damals kam es zu furchtbarer Brutalität. Menschen wurden verbrannt, Flüchtende erschossen, Zivilisten gefoltert, Frauen massenhaft vergewaltigt."

Die Brutalität geht nicht zuletzt auf den Umstand zurück, dass viele RSF-Kämpfer sehr jung seien und unter massivem Drogeneinfluss stünden, so die Sudan-Expertin: "Diese Kämpfer sind sehr jung, einige von ihnen Kindersoldaten." Durch die Drogen seien sie oft "völlig enthemmt", so die Expertin. 

Den RSF gehe es mit ihren Massakern nicht nur darum, sich in den Besitz des Landes und der Landwirtschaft zu bringen, sagt Ahmed Esam von der NGO Sudan Uprising Germany. Es geht vielmehr darum, die Zivilgesellschaft einzuschüchtern, die sich trotz Krieg und Gewalt weiterhin für die ursprünglichen Belange der Protestbewegung, also den Übergang von einer militärischen zu einer zivilen Regierung im Sudan, eintritt. Zudem verfolgt die RSF das strategische Ziel zu verhindern, dass Zivilisten den so genannten Popular Defence Forces (PDF) beitreten - einer paramilitärischen Hilfsgruppe der Armee, die an deren Seite gegen die Milizen der RSF kämpft. 

Eine zerstörte Brücke nach einem Luftschlag nördlich der Hauptstadt Khartum, Oktober 2024
Brücke nach einem Luftschlag nördlich der Hauptstadt Khartum, Oktober 2024Bild: Lv Yingxu/Xinhua/IMAGO

Vorwürfe auch gegen die reguläre Armee

Die Gründung dieser PDF sei ebenfalls verantwortungslos und werfe ein bezeichnendes Licht auch auf das Vorgehen der Armee, so Esam zur DW. "Die Armee mobilisiert Zivilisten, ohne ihnen entsprechenden Schutz zu bieten. Sie fordert sie auf, sich gegen die RSF zu verteidigen und händigt ihnen Waffen aus. Aber damit sind sie gegen die erfahrenen Milizen natürlich völlig chancenlos. Und wenn diese die Zivilisten dann angreifen, tut die Armee nichts, um sie zu schützen", so der Vorwurf des sudanesischen Aktivisten aus Deutschland an die Armee.

Generell gehe auch die Armee äußerst brutal vor, so Esam weiter. "Das Militär setzt vor allem seine Luftwaffe ein. Diese ist aber nicht mit Präzisionswaffen ausgestattet, so dass durch die Angriffe auch viele Zivilisten sterben. Insgesamt habe ich den Eindruck, die Armee versucht den Krieg an Dritte auszulagern, vor allem auch an die Zivilisten, die damit aber absolut keine Erfahrung haben. Insofern ist die Armee für diese Massaker zumindest mitverantwortlich", meint Ahmed Esam.

Diese Entwicklung beobachtet auch Marina Peter. "In den Krieg mischen sich immer mehr Gruppen ein. Inzwischen haben sich längst ethnische Milizen gebildet, die auf einer der beiden Seiten kämpfen. Wir sehen auch islamistische Milizen aus dem Umfeld des ehemaligen Diktators Omar al-Baschir, die nun wieder erstarken. Auch der Geheimdienst schickt Milzen an die Front. So wird der Krieg immer unübersichtlicher. Damit schwinden auch die Chancen, ihn zu beenden."

Die Sudanesische Armee eröffnet ihr Hauptquartier in Port Sudan, Ende Oktober 2024
Kurz nach Ausbruch der Kämpfe in der Region Al-Dschasira eröffnete die Sudanesische Armee ihr Hauptquartier in Port Sudan, Ende Oktober 2024Bild: AFP

Wenig Aussicht auf Waffenstillstand 

Der Think Tank International Crisis Group (ICG) ist mit Blick auf ein absehbares Ende der Kämpfe wenig optimistisch. Die Kämpfe dürften sich insbesondere nach Osten ausweiten, heißt es in einer Analyse der Gruppe vom 10. Oktober. Absehbar könnten Rebellengruppen aus benachbarten Ländern - etwa Äthiopien, dem Tschad und der Zentralafrikanischen Republik - ihre Unterstützung für die Konfliktparteien verstärken. "Die Einbeziehung weiterer Akteure in die Unruhen birgt das Risiko einer Verschärfung der Feindseligkeiten. Fortschritte in Richtung eines Friedensabkommens könnten weiterhin ausbleiben." Auch hinsichtlich einer internationalen Vermittlung zeigt sich die ICG skeptisch. Die Konfliktparteien finden teils starke externe Unterstützung, unter anderem aus Russland und arabischen Ländern. Noch stützten regionale und internationale Akteure die beiden Kontrahenten. Das drohe den Krieg weiter zu verlängern, so die ICG.

Ethnische Säuberungen im Sudan

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika