Naturdenkmäler in der Tiefsee
5. August 2016"Tauchen ist wie das Betreten eines fremden Planeten." Auf diesen Satz stieß ich im Internet, als ich gerade mit meinem Tauchschein kämpfte und darüber nachdachte, alles hinzuwerfen. Aber der Satz beeindruckte mich so außerordentlich, dass ich dranblieb - und endlich auch die Tauchprüfung bestand.
Manchmal hat das Internet tatsächlich Recht, fand ich später bei meinen Tauchreisen heraus. Viele Menschen glauben, unten im Meer gibt es nichts weiter als Steine, Dunkelheit und haufenweise Wasser. Stattdessen wartet dort eine ganz neue Welt, mit atemberaubenden Landschaften und einzigartigen Lebewesen, so weit das Auge reicht.
Schutzbedürftig
Viele dieser einzigartigen Orte entbehren allerdings jeglichen Schutzes vor Umweltzerstörung: Sie befinden sich in internationalen Gewässern.
"Die Hälfte unseres Planeten liegt außerhalb nationaler Gesetzgebung", erklärt Fanny Douvere, Leiterin des World Heritage Marine Programme, dem Teil des Welterbeprogramms, das sich mit Naturdenkmälern im Meer befasst. "Der weite Ozean gehört niemandem. Daher läuft es wie im Wilden Westen: Jeder kann sich dort an den Rohstoffen bedienen."
Zwei Drittel dieser atemberaubenden Plätze mitten im Ozean, fernab jeglicher Zivilisation, leiden laut Douvere bereits unter nicht-nachhaltiger Fischerei. Experten von UNESCOs Welterbeprogram wollen das ändern, indem sie solche Orte in Zukunft auf die Liste der Weltnaturerbedenkmäler setzen. Das würde ihnen internationalen Schutz garantieren.
Derzeit stehen keine Orte in internationalen Gewässern auf der Liste, da sich die Länder selbst, in denen sich welterbewürdige Stätten befinden, für die Standorte um den Titel bewerben. Es ist einfach niemand da, der ein Interesse hätte, Orte auf Hoher See auf die Liste setzen zu lassen.
"Überwältigend"
Diese Woche veröffentlichten UNESCOs Welterbezentrum und die Weltnaturschutzunion (IUCN) einen Bericht, in dem sie fünf Standorte vorstellen, die ihrer Ansicht nach definitiv eines Welterbetitels wert sind.
Einige dieser Plätze wurden überhaupt erst vor einigen Jahren entdeckt. "Sie sind absolut phänomenal, quasi die Grand Canyons der hohen See", schwärmt Douvere. "Darunter sind einige unserer größten Vulkane und einige der fantastischsten Tiersammelplätze - es ist überwältigend."
Douvere muss es wissen, denn sie gehörte zu den Glücklichen, die einen der Plätze selbst sehen konnten: Die Sargassosee rund um die Bermudas. Die Meeresbiologin tauchte mit einem U-Boot bis auf eine Tiefe von 200 Meter, tiefer also, als jeder Gerätetaucher gehen kann.
Einige der jetzt vorgeschlagenen Standorte liegen sogar noch tiefer: bis zu 5000 Meter unter der Wasseroberfläche. "Das Leben dort ist völlig anders", sagt Douvere, "manche Lebewesen erreicht nicht mal das Licht der Sonne." Und dennoch gibt es dort, so weit entfernt, noch Leben.
Vulkane und Regenwälder unter Wasser
Von den fünf Plätzen, die laut UNESCO und IUCN sogar aus vielen anderen Unterwasserwundern herausstechen, liegen zwei im Atlantik, zwei im Pazifik und einer im Indischen Ozean.
Darunter ist eine versunkene Koralleninsel, ein schwebender Unterwasserregenwald, Tiefseevulkane und der Lieblingstreffplatz der Weißen Haie. "Es ergibt keinen Sinn, diese Orte nicht der Welterbeliste hinzuzufügen - sie sind so offensichtlich Teil des menschlichen Naturerbes", sagt Douvere. Unsere Kinder und Enkel müssten die Gelegenheit bekommen, diese Stätten genauso zu erleben wie wir heute, fügt sie hinzu - das ist die Idee, die hinter dem UNESCO-Welterbe steckt.
UNESCOs Welterbeprogramm entstand im Jahr 1972. Heute, im Juli 2016, verzeichnet es 1052 Stätten. 203 von ihnen sind Naturdenkmäler, etwa das Great Barrier Reef in Australien, die Galapagos-Inseln und das Wattenmeer in Deutschland. In Zukunft auch Orte auf Hoher See auf die Liste zu setzen, sei "eine Idee, deren Zeit gekommen ist", wirbt UNESCO.
Der Status eines Weltnaturerbes wäre "der beste Weg, diese einzigartigen Plätze zu schützen", meint Douvere: Immerhin habe fast jedes Land der Welt die Welterbekonvention von 1972 ratifiziert.
Der Bericht von UNESCO und IUCN kommt zu der Schlussfolgerung, dass es durchaus möglich sei, Standorte auf Hoher See auf die Welterbeliste zu setzen. "Es ist nicht nötig, dafür die Definitionen von Weltnatur- und -kulturerbe zu ändern."
Unklar ist allerdings noch, was die genaue Vorgehensweise sein könnte, um solche Gebiete zu listen und später auch zu schützen. Der Bericht schlägt drei rechtliche Möglichkeiten vor: eine "kühne" Interpretation der Welterbekonvention von 1972, eine Ergänzung außerhalb der Konditionen der Konvention oder die Verhandlung eines zusätzlichen nicht verbindlichen Protokolls.
"Jetzt liegt es an den Mitgliedern des Welterbekomittes, also an den Ländern selbst, sich Gedanken zu machen, wie sich das verwirklichen lässt", sagt Douvere im DW-Interview.
Der erste wichtige Schritt allerdings sei bereits getan: Experten hätten endlich einen Blick auf die andere Hälfte unseres Planeten geworfen, die bisher nicht vom Welterbeprogramm abgedeckt ist.
"Wir wollen diese weit entfernten Orte, von denen viele Leute glauben, dass da unten überhaupt nichts ist, mit Welterbestätten in Verbindung bringen, die die Menschen wertschätzen", sagt Douvere. Dazu gehöre etwa die Serengeti in Afrika oder die Chinesische Mauer. "Jeder hält es für sinnvoll, diese Plätze zu schützen." Wenn es um schwebende Regenwälder tief unten im Ozean geht, sollen die Menschen genauso denken - das ist das Ziel der UNESCO.
Taucher würden die Schönheit und Schutzbedürftigkeit vieler Plätze unter Wasser niemals anzweifeln. Sie haben mit eigenen Augen gesehen, dass dort unten tatsächlich so etwas wie ein fremder Planet wartet. Nur, dass all diese überwältigenden Landschaften mit den vielen einzigartigen Lebewesen eben auf unserem eigenen Planeten liegen - und wir sie daher unbedingt bewahren sollten.