People of Color durch Polizei benachteiligt
11. November 2020Nach dem Tod des Afroamerikaners George Floyd bei einem Polizeieinsatz in den USA im Frühjahr kam auch in Deutschland die Frage auf: Hat die Polizei hierzulande ein Problem mit strukturellem Rassismus? Während Polizei und Innenministerium dies seit Monaten strikt verneinen, nimmt die Zahl kritischer Stimmen zu - insbesondere seitdem rechtsextreme Chat-Gruppen entdeckt wurden, bei denen sich Polizisten rege beteiligten.
Die Kritiker verlangten, einmal genauer hinzuschauen und das Problem zu untersuchen. Zwar hat Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) vor ein paar Wochen eine Studie angekündigt, allerdings eine, die das Thema Rassismus in der gesamten deutschen Gesellschaft untersuchen soll, nicht speziell in der Polizei.
Inmitten der Debatte positioniert sich jetzt ein Kriminologen-Team der Universität Bochum. Es forscht bereits seit zwei Jahren zum Thema rechtswidrige Polizeigewalt und hat nun erste Ergebnisse veröffentlicht.
Für die Studie wurden mehr als 3300 Betroffene nach ihren Erfahrungen gefragt. Ergebnis: Es scheint in Deutschland in der Tat eine Benachteiligung von People of Color, kurz PoC, und Personen mit Migrationshintergrund durch die Polizei zu geben, also von Bundesbürgern mit dunklerer Hautfarbe oder einem Aussehen, dass nicht als "typisch deutsch" wahrgenommen wird.
Diese Menschen werden "häufiger kontrolliert", sagt Laila Abdul-Rahman, die an der Studie mitarbeitet: "Sie sind in anderen Situationen in Kontakt mit der Polizei, in denen es auch eskalative Gewalt-Geschehnisse geben kann, und dementsprechend kann es dann auch zu häufigeren Gewalterfahrungen kommen."
Tobias Singelnstein, der die Studie leitet, gibt zu bedenken, dass die Stichproben nur ein kleiner Ausschnitt seien und sich nicht ohne weiteres für ganz Deutschland verallgemeinern liessen. Dennoch würden sie ernstzunehmende Tendenzen aufzeigen, die nun weiter untersucht werden müssten.
Polizeigewalt kaum erfasst
Die Forscher fanden heraus, dass Menschen ohne Migrationshintergrund vor allem bei Demonstrationen und Großveranstaltungen Polizeigewalt erleben, Menschen mit Migrationshintergrund eher außerhalb solcher Anlässe.
Einige People of Color berichten in der Studie davon, dass allein die Behandlung durch die Polizei zu einer Gewalteskalation geführt habe: "Einfach weil ich schwarze Hautfarbe habe und gefragt habe warum ich so respektlos behandelt werde", berichtet ein Betroffener.
Oft komme es wegen mangelnder Beweise jedoch weder zur Anzeige noch zur Aufarbeitung dieser Fälle. "Was wir in den offiziellen Kriminalstatistiken sehen, ist, dass es in Fällen von Gewaltausübung durch Polizeibeamtinnen und -beamte sehr, sehr selten zu einer Anklage durch die Staatsanwaltschaft kommt. Das heißt, die meisten Fälle, das sind über 90 Prozent, werden durch die Staatsanwaltschaft eingestellt und landen gar nicht erst vor Gericht. Das bedeutet, dass eine gerichtliche Aufarbeitung für die Betroffenen gar nicht möglich ist und dass wir deswegen ein sehr, sehr großes Dunkelfeld haben", sagt Abdul-Rahman.
Eine Forderung daraus: die Gründung von externen Kontrollstellen, die die Polizei unabhängig beobachten und genau in solchen Fällen helfen könnten.
Michael Mertens von der Gewerkschaft der Polizei (GdP) hält eine solche externe Kontrolle dagegen für überflüssig: "Wir leben in einem Rechtsstaat, und diesem Rechtsstaat vertraue ich grenzenlos als Polizist", sagte er der DW. "Und auch die Kontrollmechanismen, die wir haben, funktionieren. Man kann eine Beschwerde einreichen, man kann eine Klage einreichen. Man hat mehrere Möglichkeiten, wenn man sich gegen staatliches Handeln wehren möchte, also auch gegen polizeiliches Einschreiten. Wir sollten bei diesen Instrumenten bleiben, ihnen vertrauen."
Doch oft mangelt es den Betroffenen von Polizeigewalt genau daran: am Vertrauen in den Rechtsstaat. Abgesehen von den psychischen Folgen, die Polizeigewalt für die Betroffenen oftmals hat, fühlen sich Personen mit Migrationsgeschichte und People of Color besonders hilflos: "Seine äußere Erscheinung, seine Hautfarbe und andere Merkmale kann man schwerlich ablegen, das heißt, die Sorge und die Angst, dass einem so etwas immer wieder passiert, ist ziemlich groß. Viele machen ja auch nicht nur eine Erfahrung in der Richtung", sagt Forscherin Abdul-Rahman.
Hat Deutschland zu lange die Augen verschlossen?
Sie ist sich sicher, von Einzelfällen kann man hier nicht mehr sprechen. "Dafür sind es einfach zu viele. Und wir sehen eben diese strukturellen Abläufe. Und wir sehen auch typische Eskalationen, Verläufe, die immer wieder vorkommen in bestimmten Situationen. Klar, es gibt bestimmte Konflikte, Ereignisse, Demonstrationen, Fußballspiele und so weiter, sodass es hier definitiv Strukturen gibt, die problematisch sind. Insgesamt würde ich sagen, dass wir in Deutschland vielleicht nicht die höchsten Zahlen an rechtswidriger Polizeigewalt haben, zum Beispiel im Vergleich zu den USA. Aber wir haben definitiv ein Problem mit der Aufklärung von diesen Fällen", so Abdul-Rahman.
Den Forschern ist eines wichtig zu betonen: Auch wenn es sich um ein strukturelles Problem in der Polizeipraxis handele, heiße das nicht, dass die gesamte Polizei davon betroffen ist oder gezielt so handelt. Oft seien es auch unterbewusste Stereotypen oder Handlungsmechanismen, die zu Diskriminierung führen könnten. Das müsse dann aber aufgearbeitet und reflektiert werden.
Auch Michael Mertens von der GdP räumt ein: "Ich finde, wir können als Polizei und als Staat gerade bei dieser sensiblen Frage besser werden. Auf allen Seiten. Wir müssen das Thema offen diskutieren, ohne Emotionen." Mertens sieht die Bekämpfung von Rassismus vor allem als Aufgabe der polizeilichen Aus- und Fortbildung.
Laila Abdul-Rahman zieht dieses Fazit: "Allein dadurch, dass die Polizei das Gewaltmonopol ausübt und Gewalt anwenden darf, ist es für diese Institution noch einmal besonders wichtig, sich dem Thema zu stellen und die strukturellen Probleme, die definitiv da sind, anzugehen." Die vorgelegte Studie sei ein erster Schritt.