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Stromautobahnen: Netz mit großen Löchern

Dirk Kaufmann
5. Juni 2021

Mit der Inbetriebnahme des Stromkabels 'Nordlink' zwischen Norwegen und Deutschland ist ein wichtiger Teil des paneuropäischen Stromnetzes fertiggestellt worden. Doch es gibt noch viel zu tun - besonders in Deutschland.

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USA Strommasten
Bild: picture alliance/Arco Images/G. Lenz

Als in der vergangenen Woche das Nordlink-Kabel offiziell eröffnet wurde, war von den großen Chancen die Rede, die sich durch die Direktverbindung des deutschen und des norwegischen Stromnetzes ergeben. Aus manchen Reden glaubte man schon das Signal heraushören zu können, dass die Energiewende jetzt kurz vor ihrer Vollendung stehe.

Manche Beobachter sehen das weniger euphorisch. Professor Michael Berger, wissenschaftlicher Leiter des Institutes für die Transformation des Energiesystems an der Fachhochschule Westküste in Schleswig-Holstein, erkennt die Bedeutung des Übertragungskabels an: "Wir wissen inzwischen auch, dass die großräumige Netzkopplung die Schwankungen in der Erzeugung deutlich ausgleichen hilft." Deshalb, so Berger zur DW, sei "Nordlink zwar kein wirklich großer Schritt, aber es geht deutlich voran."

Der dänische Energiekonzern Ørsted ist eigenen Angaben zufolge "Marktführer im Bereich Offshore-Windenergie", aber mit dem Nordlink-Projekt nicht verbunden. Unternehmenssprecher Steffen Kück als quasi Unparteiischer ordnet das Nordlink-Kabel so ein: "Es ist mit Sicherheit ein wichtiger Schritt. Es wird aber nicht die Herausforderungen verringern, die Deutschland im Netzbereich hat."

Erdkabel
Ein Erdkabel ist so klein und unscheinbar - und dann noch unterirdisch verlegt. Schade nur, dass das Ganze recht teuer istBild: picture-alliance/dpa/J. Stratenschulte

Die Nordsee als Powerhouse

Am Nordlink-Kabel direkt beteiligt ist dagegen der niederländisch-deutsche Übertragungsnetzbetreiber Tennet. Auf schriftliche Anfrage der DW schrieb Tennet-Sprecher Mathias Fischer, Nordlink stärke "die Stromversorgungssicherheit auf beiden Seiten und wirkt zudem Engpässen im deutschen Übertragungsnetz entgegen."

Durch die Nordsee läuft nicht nur Strom, dort wird er in Offshore-Windparks auch immer häufiger produziert. Daher, so Fischer, werde die Nordsee "das neue Powerhouse Nordwesteuropas." Schon heute betreibe seine Firma "Offshore-Netzanbindungen in Deutschland und den Niederlanden mit einer Übertragungskapazität von rund 8500 Megawatt, davon mehr als 7000 Megawatt in der deutschen Nordsee." Aber dieser Strom muss eben ins Netz und schließlich auch nach Süddeutschland.

Aber was läuft schief?

Am 2. Juni meldete die Rheiderland Zeitung in Ostfriesland eine sehr laute, viele Kilometer weit hörbare Detonation im Wattenmeer. "An der Ostspitze der Insel Juist musste heute ein Torpedo aus dem Zweiten Weltkrieg kontrolliert gesprengt werden. Das Geschoss war bei Arbeiten für eine Offshore-Stromtrasse gefunden worden" Auch so etwas kann die Bauarbeiten verzögern - doch kommt das nur selten vor.

Häufiger und weit ärgerlicher sind andere Hindernisse. Mathias Fischer zählt einige auf: "Genehmigungsverfahren dauern länger durch zusätzliche Untersuchungen - Klagen drohen. Verzug kann auch in der Bauphase drohen durch Ressourcenknappheit infolge eingeschränkter Zuliefermärkte. Gesetzesänderungen führen oft zu Verzögerungen und neue Erdkabel-Vorgaben führen bei laufenden Projekten zu zeitaufwendigen Umplanungen und zusätzlichen Baumaßnahmen."

Grundsätzliche Probleme

Bauen in Deutschland ist eben teuer - nicht nur bei Großprojekten oder Einfamilienhäusern, sondern auch bei Infrastrukturmaßnahmen, bestätigt Ørsted-Sprecher Steffen Kück gegenüber DW: "2019 haben wir eine Studie in Auftrag gegeben, die die Kosten des deutschen Netzanbindungssystems mit dem britischen verglichen hat. Der Vergleich zeigt: Netzanschlüsse in Deutschland kosten aufgrund von mangelndem Wettbewerb mehr als in Großbritannien. Das ist für uns - unabhängig von der starren Planung, mangelnden Wettbewerbes und nicht vorhandener Flexibilität, der größte Nachteil des deutsche Netzanbindungssystems."

Bau der Stromtrasse NordLink zwischen Norwegen und Deutschland
Bau der Stromtrasse Nordlink zwischen Norwegen und Deutschland - so eine Trasse ist eine umfangreiche BaumaßnahmeBild: Carsten Rehder/dpa/picture alliance

Professor Berger beobachtet häufig das sogenannte Sankt-Florians-Prinzip: "Heiliger Sankt Florian! Verschon' mein Haus, zünd' and're an!" Bei der Stromtrassenplanung, so Berger, seien es "immer die gleichen Argumente: Nicht auf meinem Boden oder ich will Geld dafür! Nicht meine Aussicht oder mein Wohlbefinden beeinträchtigen! Kein Profit und keine Verschwendung auf meine Kosten! Und: Nicht in meinem Wahlkreis!"

Das deutsche Netz weist auf dem Weg in den Süden große Lücken auf. Geschlossen werden sollen sie unter anderem durch die Trassen Südlink (von der Küste über Hessen und Thüringen nach Bayern und Baden-Württemberg) und Südostlink (vom Norden über Sachsen-Anhalt nach Bayern). Tennet arbeite "mit Hochdruck" daran, so Mathias Fischer zur DW: "Alle Abschnitte sind im Planfeststellungsverfahren, bei Südostlink sind die Aufträge für die Erdkabel und die Konverteranlage vergeben."

Grüne Wasserstoffaussichten

Michael Berger beklagt dennoch, dass es beim Stromtransport in den Süden nur schleppend vorangeht: "Es ist zu erwarten, dass der Ausbau zusätzlich beschleunigt werden muss. Zudem sollte man über sinnvolle Alternativen nachdenken: Eigenversorgung, Wasserstoff in Gasnetzen statt Strom in Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung (HGÜ), neue Standorte für neue Fabriken, deutlich mehr Erzeugung in Süddeutschland."

Tennet, so Firmensprecher Fischer, suche ebenfalls nach Alternativen: "Dazu gehört auch Wasserstoff. Es wird entscheidend sein, wo und wann wir 'grünen Wasserstoff' aus erneuerbarem Strom produzieren werden, damit dies nicht für zusätzliche Überlastung der Stromnetze sorgt und wir keinen zusätzlichen Netzausbau brauchen."

Auch Ørsted, sagt Steffen Kück, könnte dieser Alternative viel abgewinnen, "wenn man denjenigen, der den Windpark baut, auch die Offshore-Netzanbindung bauen ließe. Die Vorteile: Der Windpark könnte mit einer Wasserstoff-Elektrolyse gekoppelt werde. Damit würde entweder flexibel Wasserstoff produziert werden oder der Strom könnte bei Bedarf ins öffentliche Netz fließen."

Bau der Stromtrasse NordLink zwischen Norwegen und Deutschland
So sieht eine Konverterstation aus - diese hier soll den Nordlink-Gleichstrom in Wechselstrom umwandelnBild: Axel Heimken/dpa/picture alliance

Gedämpfter Optimismus

Es ist, da sind sich Stromproduzenten wie Ørsted und Netzbetreiber wie Tennet mit dem Wissenschaftler einig, noch viel zu tun. Professor Michael Berger aus Heide in Holstein fordert die Politiker auf, für bessere Rahmenbedingungen zu sorgen, denn "die Übertragungsnetzbetreiber machen sich schon sinnvolle Gedanken, das sollte man mal anerkennen. Aber sie können auch nicht mehr tun, als den Status quo fortzuschreiben und ansonsten ein paar zukunftsträchtige Vermutungen anzustellen." Dennoch ist er zuversichtlich: "Das wird sich bald ändern", so Berger zur DW.

Auch Netzbetreiber Tennet fordert neue Rahmenbedingungen ein: "Wir brauchen eine integrierte, netzdienliche Systemplanung. Nur so können wir die wachsenden Mengen an erneuerbaren Energien in die Stromnetze und das Energiesystem integrieren", sagt Sprecher Mathias Fischer. Es gelte auf jeden Fall: "Die Strominfrastruktur ist und bleibt dabei das Rückgrat der Energiewende."

Professor Berger denkt darüber hinaus auch an konkrete Maßnahmen und nennt "eine Reihe von Sofortmaßnahmen: Man kann das Bestandsnetz besser auslasten. Man könnte mehr auf dezentrale Erzeugung setzen und sich wirklich ernsthaft Gedanken darum machen, wie man Transport und Verkehr schnell klimaneutral bekommt. Dann löst sich vermutlich so mancher Knoten."