Stresstest für Atomabkommen mit dem Iran
12. Oktober 2017Für den Rest der Welt ist es einer der selten gewordenen diplomatischen Erfolge, der die Welt ein Stück sicherer gemacht hat. Für Donald Trump ist es der "schlechteste Deal aller Zeiten": das 2015 - nach mehr als zehn Jahren zäher Verhandlungen - abgeschlossene Atomabkommen mit dem Iran, genannt "Joint Comprehensive Plan of Action" (JCPOA). Jetzt steht seine Zukunft auf Messers Schneide. Wie die US-Administration künftig mit dem Iran umzugehen gedenkt, wird Trump am heutigen Freitag der Nation - und der Welt - in einer Rede erklären.
Der Hintergrund: Der US-Präsident ist gesetzlich verpflichtet, alle 90 Tage gegenüber dem Kongress zu zertifizieren, dass der Iran das Atom-Abkommen vollständig umsetzt und dass die mit dem JCPOA verbundene Aufhebung von Sanktionen dem nationalen Sicherheitsinteresse der USA dient. Verweigert Trump diese Zertifizierung, hat der Kongress 60 Tage Zeit, um die aufgehobenen Sanktionen wieder einzusetzen.
Kröte für Trump
Zweimal schon hat Trump Irans Vertragstreue zertifiziert. Für den US-Präsidenten war es das Schlucken einer gewaltigen Kröte, analysiert Sascha Lohman im DW-Interview: "Dieser 90-Tage-Zertifizierungsmechanismus schafft für den Präsidenten eine sehr unangenehme Situation: Eben weil er sich häufig öffentlich sehr negativ über den Deal geäußert hat." Am Sonntag läuft die nächste 90-Tage-Frist aus - und der US-Präsident lässt wenig Zweifel daran, diesmal die Zertifizierung zu verweigern.
Lohmann, der an der Universität Harvard zum Sanktionsregime gegen den Iran forscht, hält dieses riskante Vorgehen vor allem für innenpolitisch motiviert: "Neben der Dezertifizierung hätte der Präsident weitere Mittel, um die Sanktionserleichterungen einseitig relativ schnell auszusetzen. Er könnte zum Beispiel dem Finanzministerium die Anweisung geben, die Genehmigungen, wie sie etwa für Airbus und Boeing erteilt wurden, zurückzuziehen. Darüber aber redet er nicht. Das zeigt: Es geht eher um eine innenpolitische Geste als tatsächlich darum, die Sanktionserleichterungen nicht mehr zu gewähren."
Drinbleiben? Verteidigungsminister Mattis sagt Ja
Trump schiebt mit diesem Manöver dem Kongress die Verantwortung für die Zukunft des Atomabkommens zu. Vielleicht erklärt das, warum führende Vertreter der Regierung sich gegenüber dem Kongress positiv über das Atomabkommen geäußert haben: Am 27. September unterstrich der höchste US-Militär, Generalstabschef James Dunford, dass Iran seine Verpflichtungen aus dem Abkommen erfülle. Am 3. Oktober legte Verteidigungsminister James Mattis nach: Auf die Frage eines Abgeordneten, ob es zum jetzigen Zeitpunkt im nationalen Sicherheitsinteresse der USA sei, im JCPOA zu verbleiben, antwortete Mattis mit einem klaren Ja.
Mittlerweile habe sich die ehedem extrem kritische Haltung zum Atomabkommen im Kongress verändert, sagt Sascha Lohmann. Zwar sei man sich der Probleme, die man mit dem Iran habe und die auch keiner bestreite, sehr bewusst: "Aber dass man die atomare Anreicherung auf iranischem Boden jetzt erst mal gestoppt hat, wird von vielen doch als hohes Gut angesehen, das nicht gefährdet werden sollte."
James M. Acton vom Atompolitik-Programm der Carnegie-Stiftung für Internationalen Frieden, brachteseine Analyse unlängst so auf den Punkt: "Diese riskante Strategie (Trumps) basiert nicht auf grundsätzlicher Ablehnung des Abkommens. Sie ist ein Versuch, JCPOA am Leben zu erhalten und zugleich Trump zufriedenzustellen, der es satt hat, ihn regelmäßig zu zertifizieren, obwohl er gegen ihn gekämpft hat."
Auftritt Europa
Ob es sich lediglich um einen innenpolitischen Schachzug handelt oder doch mehr: Es droht jede Menge außenpolitisches Porzellan zerschlagen zu werden. Die europäischen Verbündeten versuchen seit Wochen mit einer fast beispiellosen Lobby-Kampagne, sowohl den US-Präsidenten als auch seine Administration und Kongressabgeordnete von der Bedeutung des Atomabkommens zu überzeugen. Es gab Gespräche auf Botschafter- und Ministerebene. Auch europäische Regierungschefs haben mit Trump telefoniert, Ende September zum Beispiel die deutsche Kanzlerin Angela Merkel. Eine Regierungssprecherin betonte, Merkel habe dabei das Abkommen als wichtiges Instrument bezeichnet, um die nukleare Bewaffnung des Iran zu verhindern.
Diese Woche hat EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini wissen lassen, Europa habe "ein Interesse und eine Verantwortung, eine Pflicht, das Atomabkommen mit dem Iran zu erhalten". Tags darauf telefonierte die britische Premierministerin Theresa May mit Trump. Ihre Botschaft: Großbritannien sei dem Abkommen verpflichtet und halte es für entscheidend für die Sicherheit in der Region.
Nukleare Rüstungsspirale in Nahost?
Omid Nouripour, Grünen-Abgeordneter im Bundestag und Mitglied im Auswärtigen Ausschuss, erläutert im DW-Gespräch, warum das Atomabkommen für Europa so bedeutsam ist: "Ohne das Abkommen gibt es keine Inspektionen im Iran. Ein Ende der Inspektionen wäre der schnellste Weg des Iran zur Bombe. Zudem würden durch das Aufkündigen und durch neue US-Sanktionen die Hardliner im Iran gestärkt. Das wäre natürlich schlecht für die Friedensbemühungen im Nahen Osten."
Da hört das Schreckensszenario für den Grünen-Politiker aber noch lange nicht auf: "Hat der Iran die Bombe, dann kann man fest davon ausgehen, dass eine massive nukleare Proliferationsspirale beginnt - neben Saudi-Arabien und der Türkei wird vielleicht auch noch Ägypten nach der Bombe greifen. Das würde die Konflikte im Nahen Osten auch noch nuklearisieren. Das wäre verheerend, vor allem für die Europäer in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft", sagt Nouripour.
Störfaktor Washington
Zwar betonen bislang die übrigen Unterzeichnerstaaten des JCPOA - Deutschland, Frankreich, Großbritannien, China, Russland und auch der Iran -, auch neue Sanktionen der USA würden das Atomabkommen nicht aufheben. Aber auch einseitig von den USA verhängte Sanktionen würden den gerade erst angelaufenen Wirtschaftsaustausch mit dem Iran empfindlich stören - und die zugesicherte Aufhebung der Sanktionen war ja das Motiv für den Iran, sein Atomprogramm einzustellen.
"In erster Linie würde die immer noch bestehende Verunsicherung verstärkt werden, die viele Firmen hindert, den Schritt nach Iran zu wagen", prognostiziert der auf das Iran-Geschäft spezialisierte Unternehmensberater Dawood Nazirizadeh aus Wiesbaden. "Praktisch betroffen wären Firmen, die Geschäftsverbindungen in die USA unterhalten oder Industriegüter herstellen, die Anteile aus den USA enthalten, wie das bei Airbus der Fall ist", sagt Nazirizadeh der DW. Zwar müssten bestehende Verträge gemäß dem Abkommen auch bei einer Wiedereinsetzung von Sanktionen erfüllt werden. Aber, so schildert Nazirizadeh seine Erfahrungen: "In der Realität sind Firmen, die den USA in dieser Hinsicht nicht folgen, mit Strafzahlungen und Problemen bei ihren US-Geschäften konfrontiert."
Vor die Wahl gestellt zwischen dem riesigen US-Markt und dem überschaubaren iranischen fällt die Entscheidung vor allem Banken und Großunternehmen leicht. Finanzinstitute aber sind für die Finanzierung und Abwicklung des Wirtschaftsaustauschs unerlässlich. Das Fazit des Sanktionsforschers Lohmann: "EU-Unternehmen werden faktisch nicht in Brüssel reguliert, sondern in Washington."