1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Streit um "Mein Kampf"-Ausgabe

Gaby Reucher3. Juni 2016

Ein Leipziger Verlag will Adolf Hitlers "Mein Kampf" unkommentiert auf den Markt bringen. Das erhitzt nicht nur die Gemüter, sondern beschäftigt auch die Justiz.

https://p.dw.com/p/1IzbS
Eine Ausgabe von "Mein Kampf" von Adolf Hitler wird aufgeschlagen. Copyright: BROWN/AFP/Getty Images
Bild: F. J. Brown/AFP/Getty Images

Viel Trubel hatte es gegeben, als im Januar dieses Jahres Adolf Hitlers "Mein Kampf" in kommentierter Fassung auf den Buchmarkt kam. Rund 3700 Anmerkungen von versierten Historikern in Fußnoten sollen dem Leser eine Einordnung der Texte ermöglichen. Innerhalb weniger Wochen verkauften sich die ersten vier Auflagen, mit bisher 70.000 Exemplaren, wie Projektleiter Christian Hartmann vom Münchener Institut für Zeitgeschichte bestätigt. Die fünfte Auflage werde gerade ausgeliefert.

70 Jahre nach Hitlers Todesjahr waren die Urheberrechte an dem Buch erloschen. Juristisch gesehen ist das Werk eine volksverhetzende Schrift. Das Institut für Zeitgeschichte legte mit der Kommentierung allerdings eine wissenschaftliche Ausgabe vor, was legal ist.

Die kommentierte Ausgabe von Hitlers "Mein Kampf" wird präsentiert. Copyright: Reuters/M. Dalder
Die kommentierte Ausgabe von Hitlers "Mein Kampf" ist nicht nur schwere Lektüre, sondern wiegt auch fünf KiloBild: Reuters/M. Dalder

Der Schelm-Verlag als Wolf im Schafspelz

Nun aber plant der Schelm-Verlag in Leipzig, der auf rechtsgerichtete Schriften spezialisiert ist, Hitlers Hetzschrift im Sommer unkommentiert zu veröffentlichen. Auf seiner Homepage - die Adresse: "Volkstod.com" - ist zu lesen: Die "unveränderten Faksimilenachdrucke dienen der staatsbürgerlichen Aufklärung, der Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen sowie der historischen Dokumentation im Rahmen der Wissenschaft."

"Absolut schrecklich" findet Historiker Hartmann den Vorstoß des Schelm-Verlags. "Aber das zeigt, wie wichtig unser Projekt war", sagt er im Gespräch mit der DW. Versuche, den Vertrieb einer unkommentierten "Mein Kampf"-Fassung zu stoppen, könnten schwierig werden, glaubt er. "Die Rechtslage ist völlig unklar." Freilich hätten die Münchner Wissenschaftler schon mit Spannung gewartet, ob jemand das Tabu brechen werde, so Hartmann. "Genau das geschieht jetzt." Beide Projekte - kommentiert und unkommentiert - stünden nicht in einem Konkurrenzkampf. "Es geht um eine politische Auseinandersetzung."

Aufgefallen war das Vorhaben des Leipziger Verlags durch eine Buchhändlerin im oberfränkischen Forchheim. "Sie hat angekündigt, sie werde diese Originalfassung verkaufen und hat das Ganze auch mit einem Hitlerbild beworben", bestätigt Christopher Rosenbusch von der Staatsanwaltschaft Bamberg der DW. Die Staatsanwaltschaft habe ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Allein die Werbung reiche für den Anfangsverdacht der Volkverhetzung.

Adolf Hitlers "Mein Kampf", aufgeschlagen. Copyright: picture-alliance/dpa
Die Erstausgabe von Hitlers "Mein Kampf"Bild: picture-alliance/dpa

Auf diese Weise ist auch der Schelm-Verlag ins Visier der Ermittler geraten. Die Frage, ob er mit dem Buch volksverhetzende Inhalte verbreitet, könnte schon bald die Gerichte beschäftigen. Der Verlag argumentiert, man habe dem Text ja ein kommentierendes Vorwort vorangestellt.

"Mein Kampf" bleibt eine Hetzschrift

Doch genügt das, um den Text als Original für Forschungszwecke zu bewerten? "Nein", empört sich Hajo Funke, Professor am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft in Berlin, "von staatsbürgerlicher Aufklärung zu reden ist in diesem Fall Quatsch. Das ist ein agitatorischer antisemitischer Schmutztext."

Wer gegen eine nationale, rassische, religiöse oder durch ihre ethnische Herkunft bestimmte Gruppe zum Hass aufstachelt, erfüllt in Deutschland den Straftatbestand der Volkverhetzung. Auch die Verherrlichung des Nationalsozialismus wird strafrechtlich verfolgt.

Originaltexte im Dienste der Wissenschaft

Doch ganz so einfach ist es nicht. Wer etwa "Mein Kampf" als Student oder Wissenschaftler in der Originalversion als Quelle nutzt, macht sich nicht strafbar. Deshalb will auch der Schelm-Verlag seine Ausgabe im Dienste der Wissenschaft verstanden wissen und hat sich auf seiner Internetseite von den hetzerischen Passagen im Buch distanziert. Man will sich juristisch absichern. Doch schon die Tatsache, dass der Verlag unter der Webadresse "Volkstod.com" zu finden ist und nur Texte vertreibt, die zur Ideologie der Rechten passen, spricht Bände.

Das Foto zeigt einen Hinweis in der Sammeledition "Zeitungszeugen" vom 05.01.2012. Foto: Stephan Jansen dpa/lby
Bild: picture-alliance/dpa

"Diese Täuschungsstrategien gab es immer schon", sagt der Experte für Rechtsextremismus, Kai Brinckmeier. "Im Netz etwa gebe es eine Wikipedia-ähnliche Seite mit Themen, die darauf zielten, den Holocaust zu verleugnen." Schüler, die im Netz nach Informationen suchen, könnten das durchaus für bare Münze halten und so in die Falle der Neonazis tappen.

Ein Verbot ist keine Lösung

Explizit verboten wurde "Mein Kampf" nach Ablauf des Urheberrechts nicht. "Die Geisteshaltung bestimmter Leute werden Sie aber auch durch ein Verbot nicht aus den Köpfen bekommen", meint Kai Brinckmeier. Es bestehe allerdings die Gefahr, dass jemand, der bisher nichts mit rechtem Gedankengut zu tun habe, durch eine Verbreitung des Buches zu entsprechenden Ansichten verleitet werden könnte.

Auch der Hamburger Sozial- und Kulturwissenschaftler Horst Pöttker, Seniorprofessor der Universität Hamburg, hält von einem Verbot von "Mein Kampf" nichts. Natürlich fände er eine kommentierte Ausgabe besser. Die wollte er seinerzeit selbst herausgeben, doch da sei noch das Urheberrecht in Kraft gewesen. "Wir haben Angst vor einer rechtsextremen Welle, aber in anderen Ländern ist das nicht so. Selbst in Israel ist 'Mein Kampf' in hebräischer Übersetzung erhältlich."

Portrait von Jurnalistikprofessor Horst Pöttker. Copyright: Universität Dortmund
Journalistikprofessor Horst Pöttker meint, dass jeder das Buch "Mein Kampf" gelesen haben sollteBild: Universität Dortmund

Das Verhalten hier in Deutschland zeige nur, dass die Deutschen nicht wüssten, wie sie mit der nationalsozialistischen Vergangenheit umgehen sollen. "Wir haben den dringenden Bedarf, das als Gesellschaft endlich kulturell zu verarbeiten. 'Mein Kampf' gehört in den öffentlichen Diskurs. Jetzt macht sich das die rechte Schmuddelecke zu eigen."

"Mein Kampf" im historischen Kontext sehen

Hitlers "Mein Kampf" sei nicht nur eine Hetzschrift, sondern es stünden auch Dinge darin, die dem deutschen Bildungsbürgertum in der damaligen Zeit durchaus gefallen hätten. "Er schreibt, man solle viel lesen, und München wird als schöne Stadt beschrieben", sagt Horst Pöttker zum Inhalt des Buches. Heute könne man erkennen, wie alles im Kontext der rassistischen Ideologie gestanden habe, bis hin zur Judenvernichtung. "Allein, dass Hitler in 'Mein Kampf' über seine brutale Rassenideologie und über die Vernichtung der Juden geschrieben hat, beweist den Holocaustleugnern das Gegenteil."

Mit einer unkommentierten Ausgabe füllt der Schelm-Verlag eine Lücke, meint der Soziologe Hajo Funke. "Die kommentierte Fassung ist zwar sehr instruktiv, aber auch sehr ominös." Das sei für eine breite kritische Interpretation nicht geeignet. "Man hätte das auch auf 200 Seiten wissenschaftlich kritisch machen können", kritisiert der Wissenschaftler.

Hajo Funke Politikwissenschaftler Rechtsextremismus Experte Foto: Tim Brakemeier/dpa
Politikwissenschaftler Hajo Funke findet die kommentierte Fassung von Hitlers "Mein Kampf" zu umfangreichBild: picture-alliance/dpa/T. Brakemeier

Interessiert ist Funke, wie der Fall um die unkommentierte Ausgabe weiter geht, denn wenn dem Schelm-Verlag tatsächlich der Prozess gemacht würde, dann könnte das auch Auswirkungen auf die kommentierte Fassung des Instituts für Zeitgeschichte haben, meint der Soziologe Funke.