Streit um mazedonische Minderheit in Griechenland
11. April 2019Es ist ungewöhnlich voll im Gerichtssaal der nordgriechischen Provinzstadt Serres. Auf den Bänken drängeln sich die Menschen; überall stehen bewaffnete Polizisten. In der Anklage steht nichts von Vergewaltigung oder Mord. Es geht um ein Wort: dopia. Dopia ist griechisch und bedeutet lokal oder örtlich. Gleichzeitig steht es in Nordgriechenland synonym für die slawisch-mazedonische Sprache, die hier von einem Teil der Bevölkerung gepflegt wird, die sich als slawisch-mazedonische Minderheit bezeichnet.
Für viele in Griechenland ist das ein Tabu. Dies wurde erst vor kurzem wieder deutlich, als die BBC einen Beitrag mit dem Titel Griechenlands unsichtbare Minderheit - Die mazedonischen Slawen veröffentlichte. Politiker zeigten sich empört. In den sozialen Medien ließen die Nutzer ihrer Wut freien Lauf. Dimitris Karamitsos-Tziras, der griechische Botschafter in London, schrieb einen Brief an die BBC und warf der Medienanstalt vor, geschichtliche Fakten falsch darzustellen.
Systematisch unterdrückt?
Das Gericht in Serres verhandelt den Fall eines örtlichen Kulturvereins, der slawisch-mazedonische Tänze aufführen und eben auch in mazedonischer Sprache singen will. In Griechenland rührt das an unangenehmen und nicht aufgearbeiteten Kapiteln der jüngeren Geschichte, berichtet Nikos Sakellarios. Seit den 1950er Jahren werde von Seiten des Staates Druck auf die Slawo-Mazedonen in Griechenland ausgeübt - auch in seinem Heimatdorf: "An einem Sommertag 1959 kamen bewaffnete Soldaten. Sie trieben die Menschen auf dem Marktplatz zusammen und alle musste schwören, dass sie nicht mehr ihre Sprache sprechen würden."
Inzwischen traue sich kaum jemand, zu seinen slawo-mazedonischen Wurzeln zu stehen. Um wie viele Menschen es sich handelt, ist unklar. "Wenn es hoch kommt, dann haben wir etwa 7000 Wähler. Aber es gibt mehr Menschen, die in Nordgriechenland die Kultur pflegen", erklärt Evaggelia Apsis von der Partei Ouranio Toxo, die sich für die Rechte der slawo-mazedonischen Minderheit einsetzt. Das Problem sei, dass viele Menschen Angst hätten, sich öffentlich zu ihren Wurzeln zu bekennen. Dabei ginge es nur darum, die kulturelle Vielfalt der Region wertzuschätzen, sagt Sakellarios: "Wir sind griechische Staatsbürger. Wir zahlen Steuern und wir respektieren den Staat. Wir wollen einfach unsere Kultur leben und unsere Lieder singen."
Überforderung des Gerichts
Wie schwer man sich damit tut, zeigt der Verhandlungstag in Serres. Es kommt zum Streit zwischen einer Sprachwissenschaftlerin, die als Zeugin für die Seite der Verteidigung aussagt, und den Anwälten der Anklage. Sie erklärt, dass die Bezeichnung "dopia" eben auch synonym stehe für die slawo-mazedonische Sprache. Man wirft der Wissenschaftlerin vor, nicht ortskundig genug zu sein. Die vorsitzende Richterin unterbricht die Verhandlung. "Schämen Sie sich!" , ruft einer der Anwälte der Zeugin zu; "Idiotin!", schießt ein anderer hinterher. Die Polizei umringt die Mitglieder der slawo-mazedonischen Minderheit, die den Prozess verfolgen. Es kommt zu Wortgefechten.
"Wenn man in nordgriechischen Dörfern das Wort "dopia" hört, dann weiß jeder, dass es um die slawo-mazedonische Sprache geht" , erklärt Kostas Demelis, Anwalt der Verteidigung. Doch das Gericht macht es ihm nicht leicht, dies nachzuweisen. Zugelassen werden fünf Zeugen der Anklage, aber nur zwei der Verteidigung. "Was ist die lokale Sprache in Serres?" , fragt die Richterin immer und immer wieder. Und die Zeugen bestätigen: Griechisch. Bewusst wird um den heißen Brei herumgeredet, nämlich, dass das Eine das Andere nicht ausschließt. Die Frage, die im Raum schwebt ist vor allem: Ist die slawo-mazedonische Kultur Teil Griechenlands? "Mein Großvater, mein Ur-Großvater und mein Ur-Ur-Großvater sind nicht von irgendwo hergekommen, sondern haben immer hier gelebt," bekräftigt Nikos Sakellarios. Doch dies würde in Griechenland totgeschwiegen, sowohl in der Schulbildung, als auch von Seiten der Medien. "Es gibt keine kritische Auseinandersetzung mit der jüngeren Geschichte."
Rechtslage von Minderheiten
Dabei hat der griechische Staat selbst Daten erhoben, die auf die Existenz einer slawisch-mazedonischen Minderheit hinweisen, erklärt Konstantinos Tsitselikis, Professor für Menschenrechte in Thessaloniki: "1951 gab es eine Volkszählung, in der die Frage gestellt wurde: Was ist Ihre Muttersprache? Aus den Daten und neueren wissenschaftlichen Erkenntnissen, die das Vorhandensein einer "slawischen Sprache" in Nordgriechenland dokumentieren, kann eine sprachliche Kontinuität beobachtet werden", so Tsitselikis.
Und: Obwohl der Staat Minderheitenmerkmale wie Sprache und ethnische Identität nicht anerkennen muss, hat dies nicht zwangsläufig Auswirkungen auf die Existenz der Minderheit: "Es gab ein Urteil in einem Streit zwischen Griechenland und Bulgarien. Es ging um die Frage: Wer sind die Minderheiten? Der Internationale Gerichtshof von Den Haag kam 1930 zu dem Ergebnis: Eine Minderheit ist keine Rechtsfrage, sondern eine Frage von Fakten", erklärt Tsitselikis gegenüber der Deutschen Welle.
Tabuthemen im Wahljahr
Derweil wartet man in Serres auf die Entscheidung des Gerichts. „Das wird wohl erst in ein paar Monaten soweit sein” , erklärt Verteidiger Kostas Demelis. Große Erwartungen hege er nicht. "Die Art und Weise, wie der Prozess geführt wurde, deutet an, dass die Entscheidung bereits gefallen ist." Gerade im laufenden Wahljahr würden harte Geschütze aufgefahren, wenn es um Tabuthemen geht.
Die Debatte um die slawo-mazedonische Minderheit ist einer von vielen Aspekten, mit denen sich Griechenland nach dem Prespa-Abkommen (Ende des Namensstreites) auseinandersetzen muss. Die Sachlage ist komplex. Der Prozess in Serres ist nur ein erster Schritt, das Tabuthema an die Oberfläche einer öffentlichen Debatte zu heben. Auch der Anthropologe Fabio Mattioli von der Universität Melbourne wünscht sich einen offenen Dialog. Er hat in der Region geforscht und weiß: "Es gab und es gibt Menschen in Griechenland, die sich als mazedonisch identifizieren."
Viele seiner Kollegen in Griechenland wollen sich nicht zum Thema äußern. Sie befürchten Repressalien. Gerade mit Blick auf die starre Haltung der griechischen Politik und Gesellschaft hat Mattioli Verständnis für ihr Schweigen. Dabei aber würde mehr Akzeptanz hinsichtlich der ethnischen Diversität der Region vor allem eines bringen: Freiheit: "Wenn man Rahmenbedingungen schafft, in der Menschen die Freiheit haben sich auszudrücken und zu sein, wer sie sein wollen, wird im Endeffekt jeder davon profitieren.”