Streit um Corona-Gipfel und Boostern
3. November 2021Die Inzidenzen liegen über denen vom vergangenen Lockdown-Herbst. Viele Menschen sind schon geimpft, dennoch gibt es Impfdurchbrüche. In einigen Bundesländern fällt die Maskenpflicht an den Schulen, andere, wie Bayern, wollen diese wieder einführen. Manche Ministerpräsidenten fordern einen raschen Bund-Länder-Gipfel, andere lehnen ihn ab. Die deutschlandweite epidemische Lage nationaler Tragweite soll Ende November auslaufen.
In dieser Gemengelage trat Bundesgesundheitsminister Jens Spahn gemeinsam mit dem Chef des Robert-Koch-Instituts, Lothar Wieler, und dem Leiter der Abteilung Infektionsimmunologie der Charité Berlin Leif Erik Sander in Berlin vor die Presse.
"Die vierte Corona-Welle rollt mit voller Wucht "
"Die Pandemie ist alles andere als vorbei", sagt der CDU-Politiker. Die vierte Corona-Welle rolle "mit voller Wucht" durch Deutschland. In einigen Regionen steige die Zahl der Intensivpatienten, gleichzeitig gebe es weniger Pflegepersonal, weil viele Pflegende nach den Belastungen der bisherigen Corona-Pandemie ihren Job nicht mehr ausübten. Wichtig sei nun erneut, eine Überlastung des Gesundheitswesens zu verhindern.
Sowohl Jens Spahn, als auch RKI-Chef Wieler und der Medizinier Sander betonten, derzeit sei die Pandemie in Deutschland vor allem eine "Pandemie der Ungeimpften". Um die vierte Corona-Welle zumindest abzuschwächen, müssten die 3-G-Regeln überall da, wo sie gelten, konsequent beachtet, durchgesetzt und auch stärker von Seiten der Behörden kontrolliert werden, so Jens Spahn.
Testpflicht, aber keine Impfpflicht
Nötig sei eine Testpflicht in allen Pflegeheimen, in Regionen mit sehr vielen Infektionen auch Zugangsregeln nur für Geimpfte und Genesene (2G) zusätzlich zu einer Testpflicht. Dafür wolle er sich auf der Gesundheitsministerkonferenz einsetzen, sagte der Minster. Die Konferenz findet diesen Donnerstag und Freitag statt.
Eine verpflichtende Impfung für Personal in Gemeinschaftseinrichtungen wie Pflegeheimen lehnte Spahn ab. Es gebe zwar seiner Meinung nach eine "moralische Pflicht" für das Personal, sich impfen zu lassen, sagt der CDU-Politiker. Aber er warne bei einer Impfpflicht vor einer Spaltung der Gesellschaft. Außerdem sorge er sich, dass gerade Pflegepersonal in Gegenden mit niedriger Impfquote sich dann nicht impfen lasse, sondern einfach den Job aufgebe, so der Minister.
Kritik an Ärzteschaft und Ländern beim "Boostern"
Spahn kritisierte das langsame Tempo der Auffrischungsimpfungen in den Bundesländern. Obwohl bereits vor drei Monaten mit den Ländern vereinbart worden sei, dass zunächst Bewohnern in Pflegeeinrichtungen und allen über 60-Jährigen eine Booster-Impfung angeboten werden solle, habe es seither erst zwei Millionen solcher Impfungen gegeben. Das reiche nicht. Gerade bei älteren Menschen lasse der Impfschutz schneller nach. Alle Länder sollten die Menschen ab 60 Jahren anschreiben und auf die Auffrischung hinweisen.
Verärgert zeigte sich Spahn auch über das Verhalten mancher Ärzte in den Praxen. "Zu viele Impfwillige finden aktuell keinen Arzt, der sie impft." Er wolle daher mit Ärztevertretern über Lösungen dafür sprechen. Wichtig seien zudem öffentliche Booster-Angebote. Grundsätzlich könne man allen Interessierten eine Auffrischung anbieten. "Der Impfstoff ist da", sagte Spahn.
An seinem Vorschlag, die öffentlichen Impfzentren wieder zu öffnen, hielt der Gesundheitsminister zwar nicht fest. Spahn betonte aber, die Länder hätten sich verpflichtet, ihre Impfzentren im Stand-by-Modus zu lassen und sollten sie nun reaktivieren. "Das können ja auch kleinere oder mobile Zentren sein."
Spahn fordert raschen Bund-Länder-Gipfel
Der Gesundheitsminister plädierte außerdem dafür, all diese Themen möglichst rasch auf einem Treffen zwischen der geschäftsführenden Bundesregierung und den Ländern zum weiteren Vorgehen in der Corona-Pandemie zu besprechen. Es sei wichtig, neben den Gesundheitsministern auch die Ministerpräsidenten ins Boot zu nehmen und Entscheidungen auf eine möglichst breite Basis zu stellen. Dies sei besonders jetzt in der Phase des Übergangs bis zum Start der neuen Bundesregierung sinnvoll.
Der neue nordrhein-westfälische Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU), der zugleich Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz ist, hatte bereits ein solches Bund-Länder-Treffen für kommende Woche vorgeschlagen, stieß dabei aber auf Bedenken bei seinen Länderkollegen. Skeptisch äußerte sich Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU), der Thüringer Regierungschef Bodo Ramelow (Linke) sowie Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD).
Der Bundesgesundheitsminister dagegen betonte, in der Vergangenheit habe sich gezeigt: "Immer wenn man gemeinsam agiert und wenn überall dieselben Parameter gelten, wächst auch die Akzeptanz in der Bevölkerung".
cw/ehl (afp, dpa, bundespressekonferenz, rtr)