Protest in Marineblau
2. April 2014Der Check-In-Bereich am Flughafen Frankfurt: Da, wo sich sonst lange Schlangen bilden und Reisende ihre vollen Gepäckwägen hektisch durch die Menge schieben, ist es nahezu menschenleer. "Annulliert" steht auf der riesigen Anzeigetafel hinter fast jedem Flug. Alle fünf Minuten durchbricht eine Lautsprecherdurchsage die Stille: "Sehr geehrte Passagiere, wir bitten um Ihr Verständnis: Aufgrund von Streikaktivitäten der Pilotengewerkschaft Cockpit kommt es zu massiven Flugausfällen der Lufthansa."
Die Fluggesellschaft hat sich auf den Ausstand vorbereitet, einen Wagen mit Getränken und Schokoriegeln bereitgestellt. "Jetzt einfach zugreifen" steht daran. Vor den Check-In-Schaltern stehen Mitarbeiter der Lufthansa und des Flughafens - die einen in grün-weißen, die anderen in pinken Warnwesten - um gestrandeten Passagieren weiterzuhelfen. Die Lage sei ruhig, es laufe alles nach Plan, sagen sie. Die Frau an der Bordkartenkontrolle aber schüttelt missbilligend den Kopf: Erst streikten vor ein paar Tagen die Mitarbeiter an den Sicherheitskontrollen, jetzt die Piloten - ihr fehlt allmählich das Verständnis.
Verpasster Arzttermin
Es sind vor allem ausländische Reisende, die erst am Flughafen merken, dass ihr Flieger nicht startet. Djemel Eddine Taleb ist aus Straßburg nach Frankfurt gereist, er will für eine Augenbehandlung nach Algerien fliegen. Acht Stunden muss er nun warten, bis er mit einer anderen Maschine losfliegen kann - seinen Arzttermin verpasst er. Am Flughafen bekommt er keine medizinische Hilfe: "Sie haben gesagt, dass ich dafür in die Stadt fahren muss. Aber ich kenne mich in der Stadt überhaupt nicht aus!" Über den Streik sei er nicht informiert worden, am Vortag habe er sein Ticket ausgedruckt, nichts habe auf die Probleme hingewiesen. "Ich hätte nicht gedacht, dass so etwas in Deutschland möglich ist. Hier ist doch sonst immer alles so gut organisiert."
Zeitgleich, auf der Straße vor dem Flughafen: Wie in einem Trauerzug ziehen hunderte Piloten in ihren dunkelblauen Lufthansa-Uniformen in Richtung Konzernzentrale. Keine Sprechchöre, keine Trillerpfeifen, keine Megaphone. Das einzige, was Lärm macht, ist ein Flugzeug im Landeanflug: Alitalia.
"Piloten übernehmen Verantwortung, Heuschrecken die Gewinne" steht auf den Schildern der Lufthansa-Piloten, "Nonstop Profit" auf ihren Luftballons. In vorderster Reihe läuft Ilja Schulz, Präsident der Pilotengewerkschaft "Vereinigung Cockpit" und, wie er selbst sagt, Pilot aus Leidenschaft.
Es sei großartig, an grauen, verregneten Tagen zu fliegen, denn als Pilot sehe man mindestens einmal am Tag die Sonne, so der 46-Jährige. Die Bezahlung sei auch gut. Dass die Lufthansa ihm und seinen Kollegen zukünftig weniger zahlen will, wenn sie frühzeitig aus dem Beruf ausscheiden, geht ihm gehörig gegen den Strich. "Unsere Übergangsversorgung steht nicht zur Verfügung, um die Rendite-Bedürfnisse von Aktionären zu befriedigen!", ruft er auf der Kundgebung vor der Konzernzentrale seinen Kollegen entgegen. Tosender Applaus. Hinter den verglasten Fenstern des Gebäudes stehen einige Mitarbeiter und blicken stirnrunzelnd auf die Versammlung. Einer hält ein selbstgeschriebenes Plakat gegen die Scheibe in Richtung der Streikenden: "Ich bin Lufthanseat. Und ihr?"
"Deutliches Zeichen gegen Kahlschlag"
Die Reisenden, die ratlos vor der großen Anzeigetafel im Frankfurter Flughafen - dem größten Airport Deutschlands - stehen, wollten sie mit ihrem Streik natürlich nicht treffen, aber sie hätten keine Wahl, versichern die Piloten. "Die Lufthansa geht mit ihrem Personal unverantwortlich um - hier soll Kahlschlag betrieben werden!", wettert Pilot Markus Wahl. "Gegen solch einen massiven Angriff muss mit deutlichen Zeichen gekämpft werden!"
Der Urlauber Michael Reimann sieht es gelassen: Zusammen mit seiner Schwester und seinem Schwager will er Verwandte in Washington D.C. besuchen. "Sollen sie doch streiken, so lange alles gut organisiert ist", sagt er. Als er von dem Streik erfahren habe, habe er sofort bei der Lufthansa angerufen und sich auf einen Flug von United Airlines umbuchen lassen. Das Anliegen der gutbezahlten Piloten kann er trotzdem nicht nachvollziehen: "Ich kann nicht verstehen, dass jemand selbst entscheiden kann, wann er in Rente geht."