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Stockhiebe gegen die Meinungsfreiheit

Peter Hille16. Januar 2015

Trotz internationaler Proteste: Erneut soll der saudische Blogger Raif Badawi öffentlich mit 50 Stockhieben gepeinigt werden. Die Bundesregierung müsse sich stärker für ihn einsetzen, fordern Menschenrechtler.

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Ensaf Haidar protestiert in Montreal für die Freilassung ihres Mannes Raif Badawi (Photo: THE CANADIAN PRESS/Ryan Remiorz)
Bild: picture alliance/empics

Gerade, mit erhobenem Haupt steht der Gefangene im weißen Hemd da. Vor ihm: Dutzende Polizisten in Uniform. Hinter ihm: ein Uniformierter, der mit einer Rute hart und rhythmisch auf Beine, Gesäß und Rücken des Gefangenen einschlägt. Nach 50 Schlägen endet die Szene mit dem Applaus der umstehenden Männer und ihrem Ruf "Gott ist groß"; zu sehen auf einem Video, das wohl heimlich von der ersten Auspeitschung Raif Badawis im saudi-arabischen Dschidda am 9. Januar gedreht wurde. Das Video sei schwer zu ertragen, sagte Badawis Frau Ensaf Haidar dem Sender CNN. "Diese Szenerie war schrecklich. Jeder einzelne Stockhieb hat mich umgebracht."

An diesem Freitag soll sich genau diese Szenerie wiederholen. Badawi, verurteilt zu zehn Jahren Haft für das Betreiben der Webseite "Saudi-Arabische Liberale", soll wieder ausgepeitscht werden. 19 Wochen lang soll das noch so gehen, 950 Stockschläge stehen ihm laut Gerichtsurteil noch bevor, wegen angeblicher Beleidigung des Islam durch den 31-jährigen Blogger. "Das ist eine massive Menschenrechtsverletzung", sagt Ruth Jüttner von Amnesty International im Gespräch mit der DW. "Diese Stockhiebe sind mit Folter gleichzusetzen und wir fordern, dass diese Strafe ausgesetzt wird und Raif Badawi aus der Haft entlassen wird."

Amnesty-Aktion für Blogger Raif Badawi (Photo: DW)
Aktivisten von Amnesty International vor der Botschaft Saudi-Arabiens in BerlinBild: DW/A.-S. Philippi

Protest in Berlin

Am gestrigen Donnerstag brachte Jüttner diese Forderung gemeinsam mit anderen Aktivisten vor der saudi-arabischen Botschaft in Berlin vor. Dort übergab Amnesty International einem Botschaftsmitarbeiter 50.000 Protestbriefe. Und sorgte auch dafür, dass die Hiebe, die Badawi von hinten treffen, nicht nur auf dem Vorplatz der Al-Dschafali-Moschee in Dschidda zu hören sind, sondern bis nach Berlin. Aus Lautsprechern dröhnte das Geräusch von Stockhieben vor dem Botschaftsgebäude am Tiergarten in Berlin. Ähnliche Aktionen hatte Amnesty International in Polen, den USA, Finnland, Norwegen und Großbritannien organisiert.

Über Badawis Frau, die gemeinsam mit den drei Kindern des Paars im Exil in Kanada lebt, wisse man auch über den Gesundheitszustand des gefangenen Bloggers Bescheid, so Jüttner. "Er leidet unter den Schmerzen. Das sind physische und psychische Schmerzen. Denn das ist ja auch eine öffentliche Zurschaustellung, auf offener Straße vor Publikum geschlagen zu werden."

Raif Badawi, inhaftierter Website-Gründer aus Saudi Arabien (Photo: AI)
Raif Badawi wurde von einem saudischen Gericht zu 1000 Peitschenhieben und zehn Jahren Haft verurteiltBild: privat

Verstoß gegen die Menschlichkeit

Norbert Lammert, Präsident des Deutschen Bundestags, ging in einer Rede zu den islamistischen Anschlägen von Paris am Donnerstag auch auf den Fall Badawi ein. "Auch mit staatlicher Autorität wird im Namen Gottes gegen Mindeststandards der Menschlichkeit verstoßen", so Lammert vom Rednerpult des Bundestages. Saudi-Arabien habe zunächst wie beinahe alle Länder der Welt das Attentat von Paris verurteilt - und nur zwei Tage später Raif Badawi öffentlich auspeitschen lassen.

Lammert erwähnte den Vorwurf der "Beleidigung des Islam und Auflehnung gegen die Autoritäten" gegen Badawi und machte deutlich: "Ohne Zweifel an tradierten Positionen und Kritik an bestehenden Verhältnissen gibt es weder Fortschritt noch Freiheit." Deshalb habe die Freiheit der Meinung, der Kunst und nicht zuletzt der Presse eine herausragende, unaufgebbare Bedeutung für die Lebensbedingungen in den demokratisch verfassten Gesellschaften.

Zu zaghaft?

Badawi sei nur einer von vielen Fällen, in denen die saudischen Behörden diese Freiheiten nicht achten, sagt Ruth Jüttner von Amnesty International. Viele Verteidiger der Menschenrechte habe man weggesperrt, so auch den Anwalt Badawis, Walid Abulkhair. "Der wurde zu 15 Jahren Haft verurteilt und sitzt ebenfalls im Gefängnis. Es ist wirklich höchste Zeit, dass diese Zustände auch ganz klar angesprochen werden." Das allerdings mache die deutsche Regierung zu zaghaft, weil sie Saudi-Arabien im Kampf gegen den Terror des IS und als Wirtschaftspartner nicht verlieren wolle.

Demo gegen die Auspeitschung des Bloggers Raif Badawi in Den Haag (Foto: Getty Images)
Auch im niederländischen Den Haag demonstrierten die Menschen für BadawiBild: Beekman/AFP/Getty Images

Annette Groth, menschenrechtspolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke im Deutschen Bundestag, formuliert es drastischer: "Mit der Unterstützung der Regierung Saudi-Arabiens stützt die Bundesregierung aufgrund von Handelsinteressen und geostrategischen Überlegungen eine der rückständigsten und undemokratischsten Regierungen in der Region, die darüber hinaus noch zu den größten Finanziers von Terroristen gehört." Groth nennt die Auspeitschung Badawis "barbarisch" und ruft die Bundesregierung dazu auf, sich für Badawis Freilassung stark zu machen.

Geburtstag im Gefängnis

Der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Christoph Strässer, hatte bereits nach der ersten Auspeitschung Badawis von einer Menschenrechtsverletzung gesprochen. Das "widerspricht den internationalen menschenrechtlichen Verpflichtungen, die Saudi-Arabien eingegangen ist", so Strässer.

Wie lange Badawi die Tortur durchstehen wird, ist unklar. Seine Frau befürchtet, dass ihr Mann bald zusammenbrechen könnte. Sie selbst ist inzwischen nach Kanada geflüchtet. Am Dienstag ist der Blogger 31 Jahre alt geworden, in Haft, weit weg von Frau und Kindern, nur wenige Tage vor seiner nächsten öffentlichen Auspeitschung.