1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Stille Nacht, heilige Nacht

Marita Berg21. Dezember 2014

Das wohl bekannteste Weihnachtslied verdankt seine Popularität einem Boom der österreichischen Volksmusik im 19. Jahrhundert. Einem Boom, der in den 1830er Jahren sogar bis nach Amerika überschwappte.

https://p.dw.com/p/1AY0x
Das Schwarz-Weiss-Foto zeigt Sänger Bing Crosby verkleidet als Weihnachtsmann mit Pfeife im Mund und dem Telefonhörer in der Hand. (Foto: Paramount. United States / Mono Print)
Bild: picture-alliance/KPA/TopFoto

Oberndorf bei Salzburg, 23. Dezember 1818: Für das Weihnachtsfest hat der katholische Hilfsprediger Joseph Mohr ein Gedicht verfasst. Er bittet seinen Freund, den Dorfschullehrer Franz Xaver Gruber, kurzfristig eine passende Melodie zu komponieren. Eine einfache Melodie soll es sein, damit er es am morgigen Heiligabend ohne lange Probenzeit singen kann. Und da die Orgel der kleinen Dorfkirche St. Nikola schon wieder kaputt ist, bittet Mohr seinen Freund, ihn dabei auf der Gitarre zu begleiten.

Nicht nur die Besucher der Christmette in Oberndorf sind vom neuen Lied begeistert. Auch der Orgelbauer Karl Mauracher - aus dem Zillertal eigentlich nur angereist, um die defekte Orgel zu reparieren - ist von der schlichten Melodie fasziniert. Er nimmt die Noten mit in die Heimat und sorgt dafür, dass Text und Melodie weit über das kleine Dorf an der Salzach hinaus bekannt werden.

Franz Xaver Grubers Originalschrift von Stille Nacht. (Foto: Copyright Freigabe)
Ein Original geht um die WeltBild: Stille Nacht Gesellschaft

Tiroler Volkslied

Wandernde Sängervereinigungen aus dem Zillertal ziehen damals in der farbenfrohen Tracht ihrer Heimat - Lederhosen, Tirolerhut und Dirndl - über die europäischen Märkte: Sie bieten ihre Waren feil und singen Tiroler Volkslieder. So berichtet das "Leipziger Tagblatt" am 15. Dezember 1832 vom Weihnachtsmarkt in Leipzig, Sänger hätten "dem Wunsche, das schöne Weihnachtslied 'Stille Nacht, heilige Nacht' vorzutragen, freundlich entsprochen." Das gefällige Ständchen bleibt nicht unbemerkt: Schon im Jahr darauf veröffentlicht Robert Friese, Herausgeber der “Neue Zeitschrift für Musik”, das Lied als "Ächthes Tyroler Volkslied".

Sechs Jahre später bricht die Sängergruppe "Ludwig Rainer" mit dieser Veröffentlichung zu einer langen Amerikareise auf. 1839 singen sie erstmals “Silent Night, Holy Night“ in New York - vor dem "Alexander Hamilton Memorial" auf dem Friedhof der Trinity Church am Ende der Wall Street.

Das Bild zeigt den riesigen Tannenbaum und kitschige Weihnachtsbeleuchtung im New Yorker Rockefeller Center. (Foto: Charles Sykes/Invision/AP)
Auch in Amerika: Inbegriff von Weihnachten und KommerzBild: picture alliance/AP Photo

Exportschlager

Heute kennt man den Weihnachtsklassiker in 300 Sprachen und Dialekten, ganze Bücher und auch Kinofilme widmen sich dem Lied und seiner Geschichte. Als "Inbegriff des Weihnachtsliedes überhaupt" wird "Stille Nacht, heilige Nacht" 2011 sogar für das internationale UNESCO-Weltkulturerbe vorgeschlagen. Seit der Erstaufnahme im Jahre 1905 ist das Lied in unzähligen Versionen auf Schallplatte und CD erschienen - darunter bleibt Bing Crosby's Aufnahme aus dem Jahr 1935 legendär: Sein "Silent Night, Holy Night" hat sich bis heute weltweit mehr als 10 Millionen mal verkauft.

Heuchelei und Konsumterror

Doch das berühmte Lied wird auch für ganz andere Zwecke genutzt. Schon um 1900 macht der polnische Arbeiterdichter Boleslaw Strzelewicz aus der Melodie seine "Arbeiter-Stille-Nacht": "Stille Nacht, traurige Nacht, Arbeitsvolk, aufgewacht!" Im Streik der Textilarbeiter im sächsischen Crimmitschau fordern die Streikenden 1903 zur bekannten Melodie die Durchsetzung kürzerer Arbeitszeiten: "Heilige Nacht - Heiß tobt die Schlacht. Arbeit ist aufgewacht ! Wollte ein wenig vom Leben zurück!" Und 1970 steht dieser "Inbegriff des Weihnachtsliedes" für den Graus der Linksintellektuellen "vor einem verlogenen und reaktionären Spektakel, Fest des faulen Friedens, der Heuchelei und des Konsumterrors", erinnert sich der deutsche Schriftsteller Peter Schütt. Sein Freund und Liedermacher Dieter Süverkrüp grüßt kritische Musikliebhaber auf seiner LP "Garstige Weihnachtslieder" mit "Stille Nacht allerseits". Das Spottlied auf die bürgerliche Gesellschaft und deren weihnachtlichen Konsumrausch könnte aktueller nicht sein: “Billige Nacht, eilige Nacht, Ratenkauf leichtgemacht, durch der Engel Alleluja!“

Der Liedermacher Dieter Süverkrüp singt garstige Texte mit einem zynischen Lächeln und begleitet sich auf der Gitarre.(Foto: Klaus Rose)
Liedermacher Dieter Süverkrüp singts garstigBild: picture-alliance/Klaus Rose