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Wann ist es Völkermord?

Sabrina Pabst13. April 2015

Das Leid der Armenier im Osmanischen Reich sei der "erste Völkermord im 20. Jahrhundert", sagt Papst Franziskus. Die türkische Regierung lehnt diesen Ausdruck vehement ab. Warum ist es so schwer Völkermord zu definieren?

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Armenien Völkermord - Armenier werden auf die Straße getrieben. (Foto: SW- Archiv, AP)
Bild: picture-alliance/AP Images

'Genozid' oder 'Völkermord' - immer wieder werden diese Begriffe verwendet. Fast hat man sich an diesen schrecklichen Ausdruck gewöhnt, wenn über Prozesse vor dem internationalen Strafgerichtshof in Den Haag oder Gräueltaten gegen die Jesiden berichtet wird. Papst Franziskus bezeichnet das Massaker an den Armeniern vor hundert Jahren als "ersten Völkermord des 20. Jahrhunderts" und erzürnt damit die türkische Regierung. Wann spricht man von 'Völkermord'?

Mit der Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes vom 9. Dezember 1948 ächten die Vereinten Nationen Staaten, die gegen Minderheiten im eigenen Land vorgehen. Demnach ist der Genozid (von griechisch genos Volk und lateinisch caedere töten) eine Handlung, "begangen in der Absicht, eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe ganz oder teilweise zu zerstören". Diese Konvention schafft einen neuen internationalen Straftatbestand des Völkermordes. Ein weltweit geächteten Verbrechen. Die Staaten, die die UN-Konvention unterschrieben haben, sind verpflichtet, diese Verbrechen auch zu ahnden. Die mutmaßlichen Täter können sich dadurch nicht mehr auf teilweise sehr willkürliche nationale Gesetze berufen.

Eine lückenlose Beweisführung ist für den Tatbestand des Genozids besonders schwierig. Für eine Strafverfolgung muss die individuelle Schuld von Akteuren nachgewiesen werden. Dem Beschuldigten muss seine Absicht, Völkermord zu verüben und eine ethnische, religiöse, rassische oder nationale Gruppe vernichten zu wollen, bewiesen werden. Doch einen konkreten Befehl zur Vernichtung einer Minderheit gibt es von Befehlshabern häufig nicht, meint Medardus Brehl, Historiker am Institut für Diaspora und Genozidforschung an der Ruhruniversität Bochum.

Völkermord ist nicht gleich Völkermord

Über die Definition von 'Völkermord' streiten Politiker und Historiker heftig. Bei der Auslegung treffen laut Brehl, Moral und politische Interessen aufeinander. Deutlich würde dies besonders an der Aufarbeitung der Vertreibung christlicher Armenier innerhalb des Osmanischen Reichs. Historiker hätten seit Jahren belegt, dass es sich dort während des Osmanischen Reiches um einen Völkermord handle, so Brehl. Auch 20 weitere Länder stufen das Vorgehen der damaligen Regierung von 1915/1916 als Völkermord ein, dem je nach Schätzung zwischen 300.000 und 1,5 Millionen Menschen zum Opfer fielen.

In Armenien wird diese Katastrophe 'Aghet' genannt, das übersetzt 'Völkermord' heißt. In der Türkei, der Rechtsnachfolgerin des osmanischen Imperiums, gilt das Leid offiziell noch immer als "kriegsbedingte Vertreibung und Sicherheitsmaßnahme", durch die deutlich weniger Menschen starben. Diese Haltung hat sowohl Auswirkungen auf die bilateralen Beziehungen zwischen der Republik Türkei und Armenien, als auch auf den Umgang Deutschlands mit diesem historisch belegten Genozid. Um die Beziehung zu dem starken Bündnispartner in Wirtschaft und Politik und NATO-Mitglied nicht zu gefährden, vermeiden im Zusammenhang mit Armenien Vertreter der Bundesregierung die Nutzung des Wortes "Völkermord". Stattdessen wird über "Massaker" und "Vertreibungen" gesprochen. "Die Politik ist bedauerlicherweise in der Regel dazu bereit, den Mechanismen der Staatsraison jedwede Art der Moral zu opfern", so der Historiker.