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PolitikRumänien

Stichwahl in Rumänien: "Entscheidung für Russland oder EU"

5. Dezember 2024

In der zweiten Runde der Präsidentschaftswahl geht es für Rumänien um eine historische Entscheidung: Bleibt es in Europa oder wählt es einen extremistischen, prorussischen Abenteurer und Esoteriker zum Staatschef?

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Ein Mann mit einem Megafon auf den Schultern eines anderen, daneben Menschen, die Schilder hochhalten
Protest in der rumänischen Hauptstadt Bukarest gegen den rechtsextremen Präsidentschaftskandidaten Calin Georgescu am 27.11.2024Bild: DANIEL MIHAILESCU/AFP/Getty Images

Der Mann im weißen Trainingsanzug nimmt im Auto ein schnelles Facebook-Reel auf. Er sagt: "Ich möchte klarstellen, ich habe mich geirrt. Ich habe aus Wut gestimmt, gegen das System. Aber das entschuldigt nichts. Denn ich habe nicht alles überprüft, was der Kandidat behauptet."

Einige Tage später legt der Mann in Ruhe nach. Er erklärt, warum er für den rechtsextremen, prorussischen Anti-System-Kandidaten Calin Georgescu gestimmt hat, obwohl er dessen politische Ansichten nicht teilt. Er erklärt seine "unendliche Wut" und sagt am Ende, dass er in der zweiten Runde nicht wählen werde. Denn er sähe keine gute Alternative.

Der Mann in den Videos heißt Stefan Mandachi, ist 38 Jahre alt, Unternehmer aus Suceava im Norden Rumäniens. Er wurde 2019 bekannt, als er auf eigene Kosten einen Meter Autobahn bauen ließ, vierspurig, mit Seiten- und Mittel-Begrenzung sowie Verkehrsschildern. Es war eine Protestaktion gegen fehlende Programme des rumänischen Staates zur Infrastrukturentwicklung. Mandachi ist zudem bekannt für seine humanitären Aktionen. Unter anderem half er 2022 sehr großzügig ukrainischen Kriegsflüchtlingen.

Ein großer Saal mit Matratzen auf dem Boden und Menschen, die darauf sitzen und schlafen
Ein Luxushotel des Unternehmers Stefan Mandachi in Suceava in Nordrumänien, in dem ukrainische Flüchtlinge untergebracht sindBild: Alessandro Serrano/Photoshot/picture alliance

Korruption und Klientelismus

Rumänien wenige Tage vor der Stichwahl um das Präsidentenamt am Sonntag (8.12.2024): Die sozialen Medien sind voll von Videos wie denen Mandachis, darunter oft hunderte oder tausende Kommentare. Es hat sich eine für Außenstehende schwer nachvollziehbare Wut auf "das System und seine Parteien" breitgemacht - Wut über Korruption und Klientelismus, über die Ignoranz und Selbstbedienungsmentalität der politischen Klasse, Wut über schlechte medizinische Versorgung, baufällige Schulen und lächerlich niedrige Renten für viele.

Vor diesem Hintergrund gewann ein nahezu Unbekannter und krasser politischer Außenseiter vor knapp zwei Wochen (24.11.2024) die erste Runde der Präsidentschaftswahl mit immerhin 23 Prozent, wobei ihm die plötzliche hunderttausendfache Verbreitung seiner Videos auf TikTok half: Calin Georgescu, 62 Jahre, Agraringenieur, Rechtsextremer, Esoteriker, Verschwörungstheoretiker und christlich-orthodoxer Fundamentalist. Er ist außerdem erklärter Bewunderer des russischen Diktators Wladimir Putin, des profaschistischen rumänischen Diktators der Zwischenkriegszeit Ion Antonescu und der mit ihm zeitweise verbündeten Legionärs-Faschisten.

Ein Mann in Anzug und roter Krawatte (Calin Georgescu), umringt von Männern, will in ein Auto einsteigen
Der rechtsextreme rumänische Präsidentschaftskandidat Calin GeorgescuBild: Alexandru Dobre/AP/picture alliance

Am Sonntag haben die Bürgerinnen und Bürger in Rumänien die Wahl zwischen ihm und seiner Kontrahentin, die in der ersten Wahlrunde auf 19 Prozent kam: Elena Lasconi, 52 Jahre, Chefin der progressiv-liberalen Partei Union Rettet Rumänien (USR), Bürgermeisterin einer südrumänischen Kleinstadt und ehemalige Starjournalistin bei einem privaten TV-Sender.

"Rumänien an erster Stelle"

Angesichts des völligen Versagens der Meinungsforschungsinstitute in der ersten Runde tun sich Experten nun schwer mit Prognosen. Die wenigen Umfragen sehen mal Georgescu, mal Lasconi vorn. Fest steht: Georgescu hat gute Chancen, Präsident zu werden.

Für Rumänien, aber auch für die Europäische Union und die NATO wäre das eine Katastrophe. Zwar hat der Präsident nur wenige Befugnisse, doch er kann politische Entscheidungen und Prozesse verzögern oder blockieren, das Land lähmen und zu einem unberechenbaren Partner machen. Georgescu hat sich mittlerweile Trumps Rhetorik angeeignet und spricht davon, dass er "Rumänien und das rumänische Volk immer an erste Stelle" setze. "Wir werden nicht mehr auf Knien, sondern auf Augenhöhe mit dem Westen sprechen", verkündet er. Anders als noch vor wenigen Wochen strebt er nun angeblich keinen Austritt Rumäniens aus der EU und der NATO mehr an. Er verspricht jedoch einen sofortigen Stopp der rumänischen Militärhilfe für die Ukraine und einen russlandfreundlicheren Kurs.

Rhetorik, die an Ceausescu erinnert

In den wenigen Auftritten der vergangenen Tage konnte man aus Georgescus Mund die ihm eigentümlichen Monologe vernehmen. Er selbst habe nur eine Partei - das rumänische Volk, sagte er beispielsweise in der Sendung Marius-Tuca-Show, eine Art Kneipenstammtisch-Gespräch auf Youtube, das Hunderttausende schauen. Rumänien sei das "Geschenk Gottes an das rumänische Volk, das es dank seiner Liebe erhalten" habe, so Georgescu. Als Präsident werde er eine "Börse für Nahrung, eine für Energie und eine für Metalle gründen". Rumänien werde Europa mit "Nahrung, Wasser, Rohstoffen und Energie versorgen" und auf diese Weise "eine Drehscheibe des Friedens werden". Eine Rhetorik und Projekte, die an die Politik des größenwahnsinnigen Diktators Nicolae Ceausescu erinnern.

Schwarz-Weiß-Porträt eines Mannes (Nicolae Ceausescu)
Der rumänische Diktator Nicolae Ceausescu, hier im Jahr 1970Bild: Barbara Pflaum/picture alliance

Dagegen präsentiert sich Elena Lasconi als die Kandidatin, mit der Rumänien nicht in einen prorussischen, isolationistischen und nationalistischen Abgrund stürzen wird. Sie verspricht den Verbleib des Landes in der EU, der NATO und in einem offenen, demokratischen Europa. Dafür hat sie inzwischen die gesamte herkömmliche politische Klasse auf ihrer Seite, einschließlich der regierenden Sozialdemokraten (PSD), die bei der Parlamentswahl am vergangenen Sonntag (1.12.2024) zwar erneut stärkste Partei wurden, allerdings deutliche Stimmenverluste hinnehmen mussten. Die Sozialdemokraten sind faktisch die Nachfolgepartei der Kommunisten und rechtsnational ausgerichtet; sie gelten vielen Rumänen als das Symbol für Korruption und Klientelismus.

Progressive Ideen und konservative Werte

Elena Lasconi hat seit der ersten Runde der Wahl einige starke Auftritte hinter sich, in denen sie ihre Landsleute aufrief, die Freiheit und die Demokratie zu wählen und nicht an politischen Irrsinn zu glauben. Andererseits wirkt sie manchmal überfordert und kann auf Sachfragen nur schlecht antworten, was sie jedoch ehrlich zugibt. Inhaltlich versucht sie, progressive Ideen und christlich-konservative Werte zu vereinbaren und verspricht tiefgreifende Staatsreformen im Land.

Eine blonde Frau mit einem großen Kreuz um den Hals (Elena Lasconi)
Die rumänische Präsidentschaftskandidatin Elena LasconiBild: Pond5 Images/imago images

Auffällig ist das überdimensionierte christliche Kreuz, dass sie oft um den Hals trägt. Nach Stationen als Sensations- und Kriegsreporterin, Moderatorin von Astrologiesendungen und Bürgermeisterin schien es in den vergangenen Monaten mitunter, als sei ihre Präsidentschaftskandidatur nur ein weiterer Höhepunkt in ihrem Lifestyle-Kalender. Inzwischen hat sich der Ernst der Lage in Rumänien aber sichtbar auf sie und ihre Auftritte übertragen.

Schwerer Stand für Frauen in der Politik

Nach langem Zögern spricht sich nun selbst die Führung der mächtigen Rumänischen Orthodoxen Kirche (BOR) für den Verbleib Rumäniens in den europäischen Stukturen aus - und damit indirekt gegen Georgescu, obwohl viele Priester ähnlich denken wie er. Ob die massive Unterstützung des Establishments für Lasconi allerdings für ihren Sieg reicht, ist fraglich. Nachteilig wirkt sich für sie auch aus, dass sie eine Frau ist - da sich in Rumänien verbreitete Misogynie mit dem immer noch präsenten Hass auf die Ceausescu-Gattin Elena mischen, die vielen Rumänen als das "wahre Übel" der Ceausescu-Ära gilt. Frauen haben es in der rumänischen Politik äußerst schwer.

Ein großes Gebäude am Ende eines langen Boulevards
Der ehemalige Palast des Diktators Nicolae Ceausescu in Bukarest, heute Sitz des ParlamentsBild: Micha Korb/picture alliance

Inwieweit soziale Medien und vor allem TikTok diesmal eine manipulative Rolle spielen werden, ist unklar. Rumäniens amtierender Staatspräsident Klaus Johannis hat am Mittwoch (4.12.2024) Geheimdienstberichte freigeben lassen, denen zufolge Calin Georgescu von obskuren IT-Firmen hohe finanzielle Hilfe für die Verbreitung von TikTok-Videos und die Beeinflussung von Algorithmen erhielt - obwohl er behauptet, eine Kampagne ohne jegliche Finanzierung geführt zu haben. Außerdem soll es zu rund 85.000 Hacker-Angriffen auf die öffentliche rumänische IT-Infrastruktur während des derzeitigen Wahlprozesses gekommen sein. Die rumänischen Geheimdienste nennen Russland als Urheber.

Angesichts dieser Veröffentlichungen warnte Elena Lasconi noch einmal eindringlich vor der Wahl ihres Kontrahenten: "Genauso wie jetzt bei uns hat Russland in der Ukraine agiert, bevor es sie überfallen hat. Die Rumänen müssen wählen, ob sie Rumänien Russland zum Geschenk machen oder ob sie weiter in der Europäischen Union bleiben wollen."

Porträt eines lächelnden Mannes mit Brille und blonden Locken
Keno Verseck Redakteur, Autor, Reporter