Steinmeier: Zahl der Corona-Toten ist verstörend
5. März 2021In Deutschland sind bereits mehr als 71.000 Menschen an Corona gestorben. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat erneut dazu aufgerufen, dieser vielen Opfer der Seuche zu gedenken. "Das ist und das bleibt eine erschütternde, verstörende Dimension", sagte er bei einem Online-Gespräch mit Menschen, die während der Corona-Pandemie Angehörige verloren haben. Noch immer würden Tag für Tag Hunderte Menschen an oder mit einer COVID-19-Infektion sterben, beklagte Steinmeier im Schloss Bellevue in Berlin.
Hinter jeder einzelnen Zahl der 71.504 Todesopfer der Pandemie befinde sich ein Schicksal und ein Mensch, der gestorben sei. "Dahinter stehen Menschen, die ihre Liebsten verloren haben, Menschen, die gebangt, gezittert, gekämpft haben, die sich manchmal nicht einmal verabschieden konnten", sagte der Bundespräsident. "Dahinter stehen unendliche Trauer und unendlicher Schmerz und ja, manchmal auch Bitterkeit."
Als Bundespräsident halte er es für "sehr wichtig, dass wir innehalten, um gemeinsam in Würde Abschied zu nehmen von den Verstorbenen in der Zeit der Pandemie – auch von jenen, die nicht dem Virus zum Opfer gefallen sind, aber genauso einsam gestorben sind", sagte Steinmeier weiter. Gemeinsam solle man zeigen, dass die Toten nicht vergessen würden und die Hinterbliebenen mit ihrem Leid und ihrem Schmerz nicht allein gelassen würden. Aus den Briefen, die ihn erreichten, wisse er aber, dass das Thema Sterben und Tod in dieser Pandemie viele Menschen bedrücke.
Bereits Mitte Januar hatte der Bundespräsident die Aktion #lichtfenster initiiert, bei der Menschen im Gedenken an die Verstorbenen ein Licht ins Fenster stellen. Am 18. April ist zudem eine zentrale staatliche Gedenkfeier in Berlin vorgesehen. An dem Tag wollen auch die beiden großen Kirchen mit einem ökumenischen Gottesdienst in der Berliner Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche der Opfer der Corona-Pandemie gedenken. Am Wochenende gab es im Rahmen einer europäischen Aktion in mehreren katholischen Bistümern Gedenkgottesdienste.
RKI warnt erneut vor Mutante
Unterdessen warnte das Robert Koch-Institut (RKI) vor den Folgen einer Ausbreitung der Virus-Mutation B117. Es sei absehbar, dass diese britische Variante des Coronavirus bald die vorherrschende in Deutschland sei, sagte RKI-Präsident Lothar Wieler in Berlin. "Und dann wird es noch schwieriger, das Virus im Zaum zu halten." Die in Großbritannien entdeckte Variante sei "noch ansteckender und noch gefährlicher".
Zuletzt seien die Fallzahlen pro 100.000 Einwohner binnen sieben Tagen (Sieben-Tage-Inzidenz) tendenziell wieder gestiegen, auch würden nach wie vor zu viele Todesfälle verzeichnet, sagte Wieler. Die jüngsten Zahlen seien zwar auch positiv: So gehe die Inzidenz in der Altersgruppe über 80 Jahre wegen der Impfungen zurück. Auch die Zahl der Intensivpatienten und der Toten sei rückläufig. Ziel sei ein Frühling mit möglichst wenig Neuerkrankungen, schweren Verläufen und Todesfällen. "Das können wir erreichen." Er rief dazu auf, die Maßnahmen zum Schutz vor Ansteckungen weiter konsequent einzuhalten und Impfangebote wahrzunehmen.
Wieder mehr Infektionen
Die Gesundheitsämter in Deutschland haben dem Robert Koch-Institut binnen eines Tages 10.580 Corona-Neuinfektionen gemeldet. Zudem wurden innerhalb von 24 Stunden 264 weitere Todesfälle verzeichnet. Vor genau einer Woche hatte das RKI binnen eines Tages 9997 Neuinfektionen und 394 neue Todesfälle verzeichnet.
Die Zahl der binnen sieben Tagen gemeldeten Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner lag laut RKI am Freitagmorgen bundesweit bei 65,4. Am Vortag hatte die sogenannte Sieben-Tage-Inzidenz bei 64,7 gelegen. Das RKI zählte seit Beginn der Pandemie 2.482.522 nachgewiesene Infektionen mit SARS-CoV-2 in Deutschland. Die Zahl der Genesenen wurde mit etwa 2.292.100 angegeben. Der bundesweite Sieben-Tage-R-Wert lag laut RKI-Lagebericht vom Donnerstag bei 0,99 (Vortag 0,93). Das bedeutet, dass 100 Infizierte rechnerisch 99 weitere Menschen anstecken.
Corona-Krise verschärft soziale Spaltung
Die Corona-Pandemie trifft einem Bericht der Bundesregierung zufolge vor allem die unteren Einkommensschichten. Bis Ende August 2020 mussten bereits 15,5 Millionen Haushalte in Deutschland Einkommenseinbußen hinnehmen, wie die "Süddeutsche Zeitung" unter Hinweis auf den Entwurf des sechsten Armuts- und Reichtumsberichts der Regierung schreibt. Darunter zu leiden hätten vor allem Gering- und Normalverdiener.
Bei einer Unterteilung der Bevölkerung in fünf gleich große Teile würden gut 30 Prozent der Befragten im untersten Teil von Problemen bei der Deckung der laufenden Ausgaben berichten, heißt es in dem Bericht. Besonders betroffen seien Selbstständige. Die mit der Pandemie verbundenen Einkommensrisiken seien in den unteren Einkommensbereichen größer, auch weil diese Menschen "wenig Rücklagen oder andere finanzielle Spielräume" haben.
Auch auf dem Arbeitsmarkt trifft die Pandemie die Schwächeren in der Gesellschaft härter. Wer eine geringere Qualifikation habe, habe ein größeres Risiko, seinen Job zu verlieren. "Die bereits vorher großen Herausforderungen, Langzeitarbeitslose und die in den letzten Jahren nach Deutschland gekommenen Menschen in den Arbeitsmarkt zu integrieren, dürften sich somit verstärkt haben", zitiert das Blatt aus der Regierungsanalyse.
Der bislang fast 500 Seiten starke Bericht mit dem Titel "Lebenslagen in Deutschland", den das Bundesarbeitsministerium alle vier Jahre vorlegt, ist noch ein Entwurf. Er wird derzeit von anderen Ressorts ergänzt, enthält aber der Zeitung zufolge schon jetzt Zündstoff für die kommenden Wahlen.
kle/se (dpa, afp, rtr, sueddeutsche.de)