Steinmeier in Usbekistan: Wirtschaft und Menschenrechte
2. November 2006Voraussetzung dafür, dass die EU die Sanktionen gegen Usbekistan neu bewerte, sei, dass das Land rasch klare Zusicherungen für eine Verbesserung der Menschenrechtslage abgebe, sagte Außenminister Frank-Walter Steinmeier nach seinen Gesprächen mit Präsident Islam Karimow. Isolation und Sanktionen seien für die Europäer "kein Selbstzweck", fügte er hinzu. Auch die meisten Beobachter, vor allem Politologen und Wirtschaftsexperten, sind sich darin einig, dass eine Politik der Sanktionen und Isolation ineffektiv ist. Stattdessen müssten Gespräche geführt werden, in denen auf bestehende Probleme hingewiesen werde, auch im Bereich der Menschenrechte.
EU: Sanktionen aussetzen oder beibehalten?
Neben Turkmenien gilt Usbekistan als das Land in Zentralasien, wo Grundrechte am schwersten verletzt werden. Nach Angaben der UN wird in der von Karimow autokratisch regierten Republik systematisch gefoltert. Menschenrechtsgruppen warnen deshalb vor einem Ende der Sanktionen. Die EU hatte wegen der blutigen Niederschlagung des Aufstands in der ost-usbekischen Stadt Andischan im Mai 2005 ein Waffenembargo und ein Einreiseverbot für zwölf hohe Offizielle beschlossen und bilaterale Gespräche auf Eis gelegt.
Die EU-Außenminister wollen am 13. November über eine Verlängerung der Sanktionen entscheiden. Innerhalb der EU gibt es keine einheitliche Meinung. Vor allem Großbritannien lehnt bislang eine Aufhebung ab. Die Strafmaßnahmen laufen automatisch am 17. November aus, sofern sie nicht einstimmig von allen 25 EU-Ländern verlängert werden. Wie aus diplomatischen Kreisen aus Brüssel verlautete, wird auf deutsche Initiative hin geprüft, das Waffenembargo beizubehalten, die übrigen Strafmaßnahmen aber zu streichen. Das Verbot von Waffenlieferungen hat jedoch nur symbolische Bedeutung, da Usbekistan die Ausrüstung seiner Armee fast komplett aus Russland bezieht.
Thema Todesstrafe
Als Fortschritt bezeichnete Steinmeier die Ankündigung, die Todesstrafe endgültig abzuschaffen und eine Strafrechtsreform zu verabschieden. Ihm sei auch zugesagt worden, dass das Rote Kreuz künftig wieder Gefängnisse besuchen dürfe. Die usbekische Menschenrechtlerin Tamara Tschikunowa machte darauf aufmerksam, dass laut einem Erlass des Präsidenten ab Januar 2008 die Todesstrafe in Usbekistan verboten wird. Bis dahin sollte die Anwendung der Todesstrafe ausgesetzt werden: "Man muss das Leben der zum Tode verurteilten Menschen bis zur völligen Abschaffung der Todesstrafe retten", sagte sie im Gespräch mit DW-RADIO. Außerdem fordert sie, dass Usbekistan offen legt, wie viele Todesstrafen in den 15 Jahren Unabhängigkeit vollstreckt wurden und wo die Menschen begraben liegen.
Steinmeier traf die Bürgerrechtlerin demonstrativ vor seinem Gespräch mit Staatspräsident Karimow. Die 58-Jährige, Leiterin der von den Behörden nicht registrierten usbekischen Menschenrechtsorganisation "Mütter gegen Todesstrafe und Folter" und Trägerin des Nürnberger Menschenrechtspreises, wird seit Jahren von den staatlichen Behörden eingeschüchtert. "Unser Gespräch dauerte eine Viertelstunde und war vertraulich", sagte Tschikunowa der Deutschen Welle. "Ich kann nur sagen, dass ich mich mit Verstößen gegen das Recht auf Leben befasse." Über diese Verstöße habe sie mit Steinmeier gesprochen. Und auch darüber, dass die Verfassung in Usbekistan zwar das Recht auf Leben garantiere, aber das Strafgesetzbuch gegen dieses Recht verstoße.
Worüber sprachen Steinmeier und Karimow?
Am Vortag des Besuchs des deutschen Außenministers in Taschkent sorgte die deutsche Botschaft für Verwirrung unter den Journalisten, weil sie Steinmeiers Besuchsprogramm nicht vorlegen konnte. Später wurde jedoch klar, dass dies eine gewisse Logik hatte: Steinmeier hatte in Usbekistan ein Treffen mit dem Präsidenten und dem Außenminister des Landes geplant, ferner als Kulturprogramm eine Reise nach Buchara. Der zweite Teil, das Kulturprogramm, war offensichtlich aufschlussreicher als der erste Teil, denn das Treffen zwischen dem deutschen Minister und dem usbekischen Präsidenten wurde von keiner Seite kommentiert. Statt einer Pressekonferenz wurde für die deutschen Journalisten eine Stadtrundfahrt organisiert. Usbekische Journalisten waren erst gar nicht akkreditiert.
Den Ankündigungen zufolge sollten Islam Karimow und Frank-Walter Steinmeier aber ein breites Spektrum von Fragen erörtern – vom deutschen Stützpunkt in Termes und deutschen Geschäftbeziehungen bis hin zu den Ereignissen von Andischan und den Menschenrechten. Über die Ergebnisse der Gespräche wurde später nur sehr wenig bekannt. Berichtet wurde lediglich über die Zusammenarbeit in der Wirtschaft. Nach Angaben von Nachrichtenagenturen sind beide Seiten am Ausbau des Handels interessiert, dessen Umsatz sich heute auf mehr als 300 Millionen Dollar beläuft. Interesse galt auch Investitionsprojekten. Darüber hinaus wurden offiziellen Quellen zufolge bei den Gesprächen die Lage in Afghanistan und das Atomprogramm des Iran erörtert. Einzelheiten zu anderen Gesprächsthemen wurden nicht mitgeteilt.
DW-RADIO/Russisch, 1.11.2006, Fokus Ost-Südost