Steht Schröder aufseiten der Demokratie?
6. September 2020Ex-Kanzler Gerhard Schröder gilt als enger Freund des russischen Präsidenten Wladimir Putin. Eine verhängnisvolle Beziehung. Wegen des Giftanschlags auf den 44-jährigen russischen Oppositionspolitiker Alexej Nawalny ist in Deutschland eine Diskussion darüber entbrannt, ob die Ostsee-Pipeline Nord Stream 2, die Gas von Russland liefern soll, zu Ende gebaut werden soll. Und hier kommt Schröder ins Spiel, denn er ist Präsident des Verwaltungsrats der Nord Stream 2 AG, bei der der russische Konzern Gazprom formal einziger Anteilseigner ist. Kritiker werfen dem SPD-Ex-Kanzler vor, in seiner Position Lobby-Arbeit für den Kreml zu betreiben, zumal Schröder bei mehreren russischen Unternehmen unter Vertrag steht.
Schröder soll umgehend seine Ämter aufgeben
Politiker der Christdemokraten und der Grünen forderten Schröder jetzt auf, seinen Posten bei dem Pipeline-Unternehmen zu räumen. Der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion, Johann Wadephul, sagte dem Berliner "Tagesspiegel", Schröder müsse "umgehend seine Ämter und Posten in Russland aufgeben". Für den Anschlag auf Nawalny mit dem Nervengift trage allein die russische Regierung die Verantwortung. Auch wenn Moskau dies leugne, dürfe das gerade ein ehemaliger Bundeskanzler "weder politisch noch moralisch" ignorieren, erklärte der CDU-Politiker.
Er fügte hinzu: "Wenn Herr Schröder noch politischen Anstand und Wertmaßstäbe besitzt, dann verbietet sich für ihn eine weitere Zusammenarbeit mit Unternehmen und Institutionen, die von einer solchen Regierung abhängig sind." Eine Fortsetzung der Zusammenarbeit würde dagegen bedeuten, "dass Herr Schröder das menschenverachtende Verhalten zumindest hinnimmt", sagte der CDU-Außenpolitiker. "Das wäre für einen ehemaligen Bundeskanzler zutiefst unwürdig."
Auch die Fraktionschefin der Grünen, Katrin Göring-Eckardt, rief Schröder zum Rückzug auf. "SPD-Ex-Kanzler Schröder muss sich jetzt entscheiden, ob er auf der Seite der Demokratie und der Menschenrechte steht", sagte Göring-Eckardt den Zeitungen der Funke Mediengruppe.
Grüne wollen Baustopp von Nord Stream 2
Sie verlangte zudem einen sofortigen Baustopp des Pipelineprojekts. "Die Bauarbeiten an der Pipeline in Mecklenburg-Vorpommern müssen sofort eingestellt werden und die Bundesregierung muss jetzt einen wasserdichten Weg aufzeigen, wie das Projekt beendet werden kann", verlangte die Grünen-Politikerin. Im Falle einer Fortsetzung der Gasleitung mache Deutschland "gemeinsame Sache" mit einen Regime, das nicht davor zurückschrecke, verbotene Massenvernichtungsmittel einzusetzen, um Menschen zu vergiften - im eigenen Land wie bei Nawalny, aber auch mitten in der der EU, wie der Fall Skripal 2018 gezeigt habe, erklärte sie weiter.
Außenminister Heiko Maas appellierte nochmals eindringlich an die Führung im Kreml, zur Aufklärung der Vergiftung des russischen Oppositionellen beizutragen. "Wir haben hohe Erwartungen an die russische Regierung, dass sie dieses schwere Verbrechen aufklärt", sagte Maas der "Bild am Sonntag" (BamS). Sollte sie nichts mit dem Anschlag zu tun haben, dann sei es in ihrem eigenen Interesse, das mit Fakten zu belegen.
Mehr als 100 Unternehmen an Nord Stream 2 beteiligt
Gleichzeitig warnte Maas in der "BamS", die Debatte jetzt allein auf Nord Stream 2 zu verengen, werde dem Fall nicht gerecht. Ein Stopp der fast fertig gebauten Pipeline schade deutschen und europäischen Firmen. "Wer das fordert, muss sich der Konsequenzen bewusst sein. An Nord Stream 2 sind mehr als 100 Unternehmen aus zwölf europäischen Ländern beteiligt, etwa die Hälfte davon aus Deutschland", machte der SPD-Politiker deutlich.
"Ich hoffe nicht, dass die Russen uns zwingen, unsere Haltung zu Nord Stream 2 zu ändern", sagte der Außenminister weiter. Bislang hat die Bundesregierung eine Verknüpfung des Falls Nawalny mit dem deutsch-russischen Gasprojekt vermieden.
"Nebelkerze" aus Moskau
Derweil warf die russische Regierung der deutschen Seite vor, die Bemühungen zur Aufklärung des Giftanschlags auf Alexej Nawalny zu blockieren. "Berlin verzögert die Untersuchung, zu der es selbst aufruft. Mit Absicht?", erklärte die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa. Berlin habe nicht auf ein Rechtshilfeersuchen der russischen Generalstaatsanwaltschaft vom 27. August reagiert. "Bislang sind wir nicht sicher, ob Deutschland nicht ein doppeltes Spiel spielt."
Bundesaußenminister Heiko Maas bezeichnete diese Äußerung als "eine weitere Nebelkerze" Russlands. Die Bundesregierung habe dem Rechtshilfeersuchen "längst zugestimmt" und dies bereits vor einer Woche dem russischen Botschafter in Berlin mitgeteilt. "Wenn Russland keine Beiträge zur Aufklärung liefert oder weiter solche Nebelkerzen gestartet werden, wie das schon seit Tagen der Fall ist, dann ist das ein weiteres Indiz dafür, dass man etwas zu verbergen hat", sagte Maas im ARD-Fernsehen.
Die Führung in Moskau bestreitet, in die Vergiftung Nawalnys verwickelt zu sein. Der 44-Jährige wird seit dem 22. August in der Berliner Charité-Klinik behandelt. Zwei Tage zuvor war er während eines Flugs in Russland zusammengebrochen. Die Bundesregierung erklärte am Mittwoch, Nawalny sei "zweifelsfrei" mit einem chemischen Nervenkampfstoff aus der sogenannten Nowitschok-Gruppe vergiftet worden. Das Gift war in den 1970er Jahren von sowjetischen Wissenschaftlern entwickelt worden.
se/sti/kle (dpa, afp, rtr, tagesspiegel)