Startup: Wenn hauptsächlich die Attraktivität zählt
23. August 2024Nach dem Stand der Forschung sind Startup-Unternehmerinnen bei der Kapitalbeschaffung gegenüber männlichen Gründern eklatant im Nachteil, konstatiert Dr. Robert Schreiber von der eidgenössischen Universität St. Gallen ganz nüchtern. Einer der Hauptgründe dafür sei, "dass knapp 80 Prozent der Investoren, die in diese frühphasigen Unternehmen investieren, männlich sind." Sowohl in den USA als auch in Europa. "Da kommt es natürlich zu Netzwerkeffekten, dass männliche Investoren einfach dazu tendieren, auch männliche Gründer zu unterstützen", resümiert Schreiber.
Unter dem Strich erhalten männliche Gründer demnach fast 50mal mehr Risikokapital als weiblich geführte Jungunternehmen. Allerdings förderte eine Studie der Uni St. Gallen zur Überraschung der Autoren in diesem Kontext zu Tage, dass Gründerinnen durchaus bei männlichen Investoren einen Stein im Brett haben und Finanzzusagen erhalten. Und zwar dann, wenn sie attraktiv sind.
Dass von Frauen geführte Unternehmen größere Probleme haben, eine Finanzierung zu erhalten, das weiß auch Christina Diem-Puello, die Präsidenten des Verbands deutscher Unternehmerinnen, nach zahlreichen Gesprächen mit Gründerinnen nur zu gut: "Vor allem, wenn es um höhere Beträge geht. So erhalten Männerteams von Investoren im Durchschnitt fast neunmal so viel Kapital wie Frauenteams."
Vor allem bei der Unternehmensfinanzierung geraten Frauen durch einen nicht zu negierenden Gender-Gap, also eine Geschlechterkluft, gegenüber Männern ins Hintertreffen, beklagt die Präsidentin des Verbands deutscher Unternehmerinnen.
"Frauen werden kritischer hinterfragt"
Insbesondere die Zusammensetzung der Investorenteams, die oftmals rein männlich besetzt sind, führt nach Überzeugung von Christina Diem-Puello definitiv zu einer Benachteiligung von Gründerinnen. "Und dabei spielen eben auch die unbewussten Vorurteile immer wieder eine Rolle und dürfen auf gar keinen Fall unterschätzt werden", fügt sie hinzu.
Vorbehalte gegenüber Gründerinnen zeigen sich nach ihrer Erfahrung auch dadurch, "dass Frauen von Investoren mit anderen Fragen konfrontiert werden. 84 Prozent der Gründerinnen sagen mir, dass sie bei Investmententscheidungen kritischer hinterfragt werden als männliche Kollegen."
Alte Rollenbilder
Eine Erfahrung, die auch Dr. Friederike Kogelheide aus Bochum gemacht hat. Mit ihrem Startup Glim Skin hat die Gründerin ein elektronisches Kosmetikgerät entwickelt, das auf die antimikrobielle Wirkung von kaltem Plasma setzt. Dass es Gründerinnen bei der Finanzierung schwerer als männliche Gründer haben, "das kann ich sofort unterschreiben", bringt sie ihre Erfahrungen auf den Punkt.
So habe sie in der frühen Unternehmensphase noch einen Mann mit im Boot gehabt. Obwohl der allein fürs Marketing zuständig war, wurde er von den männlichen Investoren "als Kopf des Startups wahrgenommen und auch gezielt zu den technologischen Details befragt." Und nicht Friederike Kogelheide, die das Gerät entwickelt hat.
Als Frau von männlichen Investoren anders als männliche Gründer eingeschätzt zu werden, das wundere sie gar nicht mehr. Investoren empfiehlt sie dringend, "sich auf das Produkt zu konzentrieren und nicht auf den Präsentator."
Umfangreicher Test
Dabei kann es für Gründerinnen in Finanzierungsfragen durchaus eine bedeutsame Rolle spielen, wer das Produkt präsentiert. Auf diesen verkürzten Nenner lässt sich das Ergebnis der Studie des Global Center for Entrepreneurship and Innovation an der Universität St. Gallen bringen. Mit dieser Studie wollten die Wissenschaftler herausfinden, wie sich männliche Investoren verhalten, wenn ihnen das gleiche Unternehmenskonzept von zwei verschiedenen Frauen präsentiert wird.
Dazu führten sie ein Experiment unter 111 männlichen Frühkapitalinvestoren aus der Schweiz und Deutschland durch. Präsentiert wurde diesen erfahrenen Business-Angels und Ventual Capital Investoren, wie Rudolf Schreiber betont, ein echter Startup case. "Dieses Startup, das drei Monate vor der Studie gegründet wurde, hat einen Algorithmus entwickelt mit Hilfe künstlicher Intelligenz, um auf Bilddaten Tumore zu erkennen." Für Anleger also eine Geschäftsidee mit Perspektive.
Verräterischer Hormonspiegel
Vorgestellt wurde der männlichen Runde das Startup in einem Fall von einer attraktiven Schauspielerin und im zweiten Fall von einer weniger attraktiven Darstellerin. Beurteilen sollten die Investoren die Kompetenz der Gründerinnen, und erst zum Schluss wurden sie gefragt, wie attraktiv sie die jungen Unternehmerinnen fanden, erläutert Robert Schreiber.
Nun ist aus der bisherigen Forschung bekannt, dass die Ausschüttung des Stresshormons Cortisol und des Sexualhormons Testosteron zu einem gesteigerten Risikoverhalten führt, was sich wie in diesem Fall in einer erhöhten Investitionsbereitschaft niederschlagen kann.
Darum wurden bei diesem Experiment die Cortisol- und Testosteronlevel der männlichen Probanden vor und nach der Präsentation gemessen. Dieses Experiment, darauf weist Robert Schreiber ausdrücklich hin, "wurde selbstverständlich von einer Ethik-Kommission genauestens geprüft."
Parität auf Investorenseite gefordert
Was das Ergebnis betrifft, räumt Robert Schreiber ein, sei man doch überrascht gewesen, denn "entgegen unseren Erwartungen hatte physische Attraktivität einen positiven Effekt. Es ist in der Tat so gewesen, dass die attraktive Gründerin eine um 21 Prozent höhere Wahrscheinlichkeit hatte, Investitionen zu erhalten, verglichen zu der etwas weniger attraktiven Gründerin."
Für Christina Diem-Puello, die Präsidentin des Verbands deutscher Unternehmerinnen, stellt das Ergebnis indes keine große Überraschung dar, denn "auch im Jahr 2024 spielen traditionelle Rollenbilder immer noch eine besondere Rolle." Als Schlussfolgerung ihrer Studie plädieren die Autoren dafür, dass Investorenteams künftig aus Frauen und Männern bestehen sollten, um Verzerrungen zwischen den Geschlechtern zu vermeiden.