Im Kino: "Der junge Karl Marx" von Regisseur Raoul Peck
2. März 2017Der Bart muss ab, zumindest symbolisch. So fordert es jedenfalls Raoul Peck. Gemeint ist der Rauschebart von Karl Marx. "Der alte Bart verdeckt nicht nur das Gesicht von Marx", meint der Regisseur: "Im Jahr 2017 verdunkelt er die Möglichkeit einer bedachten Reflexion und Auseinandersetzung." Peck will zeigen, dass Marx kein verstaubter Theoretiker ist. Seine Schriften haben an Gültigkeit nicht verloren, so könnte man die Intention des Regisseurs und seines Films zusammenfassen. Nach der Premiere bei der 67. Berlinale kommt "Der junge Karl Marx" nun in die Kinos.
Ein Regisseur mit viel Erfahrung
Raoul Peck, 1953 in Port-au-Prince auf Haiti geboren, inszeniert seit vielen Jahren Filme. Aufgewachsen ist er im damaligen Zaire (heute Demokratische Republik Kongo), in den USA und in Frankreich, in Berlin hat er Wirtschaftsingenieurwesen und Film studiert. Vor zwei Jahrzehnten war er auch einmal für kurze Zeit Kulturminister in Haiti.
Seinen neuen Film "Der junge Karl Marx" hat er vor kurzem in Berlin persönlich vorgestellt. "Der junge Marx war für mich interessant, weil man an der Figur einen Prozess verfolgen, die Entstehung einer Denkweise beobachten kann", erklärte Peck im Interview mit der Zeitung "Tagesspiegel". Das sei für ihn genauso wichtig gewesen wie das Resultat selbst, "Das Kapital". "Die zehn Jahre, die der Film zeigt, sind die Etappen, die Marx zurückgelegt hat, angefangen bei seiner Kritik an der Religion über die Kritik an der Philosophie bis hin zur Kritik an der Wirtschaft und der Geschichte," so Peck. Der Film erzähle die Geschichte von drei jungen Europäern in einer Phase der gesellschaftlichen Depression: "Marx und Engels waren damals erst Mitte 20 und standen bereits im Kontakt mit der intellektuellen Elite Europas - Leuten wie Pierre-Joseph Proudhon, Mikhail Bakunin und Ludwig Feuerbach."
Marx trifft Engels: private Freundschaft und gemeinsame Arbeit
Peck konzentriert sich auf die kurze, intensive Zeit vor der Veröffentlichung des "Kommunistischen Manifests" im Jahre 1848. Marx lernt in Paris Friedrich Engels kennen. Der Sohn eines Fabrikbesitzers aus Wuppertal, bringt reichlich praktische Erfahrung aus England mit. In Manchester betreibt sein Vater eine Textilfabrik. Marx und Engels freunden sich an. Gemeinsam mit Jenny, der Frau von Marx, entwickeln die jungen Leute das Kommunistische Manifest. Der Text soll all das bündeln, was den Dreien in einer Zeit tiefgreifender gesellschaftlicher Veränderungen auf den Nägeln brennt.
"Der Film begleitet Marx und Engels in ihrer Jugend, er zeichnet ihre unerschütterliche Freundschaft nach und zeigt, wie ein einzigartiges Trio durch die Entbehrungen entsteht, die sie in ihrer turbulenten Jugend erlebt haben", beschreibt Peck sein Werk. Er habe "die Atmosphäre der fiebrigen Zeit der Industrialisierung als Realität" entstehen und den Betrachter teilhaben lassen wollen am Europa der 1840er Jahre: "Fabriken der Schwerindustrie in England, das extreme Elend und der Schmutz der Straßen von Manchester und im Kontrast die goldene Wärme der Pariser Paläste, die Energie einer Jugend, die die Welt verändern will und dabei die törichten Schwellen der Ungleichheiten wiederherstellen wird."
"Der junge Karl Marx": keine filmischen Experimente
Peck hat einen historischen Film gedreht. August Diehl mimt Karl Marx, Stefan Konarske ist Friedrich Engels und Vicky Krieps spielt Jenny Marx. Das Paris des 19. Jahrhunderts sowie die Baumwollfabriken in England dienen als Kulissen, das Ganze ist im Stil eines etwas biederen, allzu sauberen Fernsehspiels inszeniert. Das ist nach der Premiere bei der Berlinale auch kritisiert worden. Einen Film über einen Revolutionär zu drehen ohne jeden revolutionären Stil - geht das? "Trotz der revolutionären Ideen, die Marx und Engels vertreten, kündigt Pecks 'Mise en Scène' von einem irritierenden Beharren auf dem Althergebrachten", resümierte etwa "epd", die Fachzeitschrift der Evangelischen Kirche. "Keine Experimente, scheint die Devise zu lauten." Peck habe auf Avantgardistisches verzichtet und sich stattdessen in eine "Art Update des sozialistischen Realismus geflüchtet - die Kunst soll nicht ablenken von der Botschaft." Aber, so die berechtigte Anmerkung des Kritikers: "Eine Botschaft, die einen Film nicht bis in sein Inneres durchdringt, verliert schnell ihre Kraft."
Doch wichtiger als ästhetische Experimente und Filmkunst ist - so mag sich Peck gedacht haben - vielleicht sowieso das Thema des Films. 100 Jahre nach der Oktoberrevolution und im Zeitalter einer Welt zwischen Globalisierung und neuem nationalen Denken kommt die Beschäftigung mit dem Marxismus gerade recht. Und sei es in Form eines populären Films, der einem großen Publikum zeigt, wie es zu dem berühmten Manifest gekommen ist.
Man könne "mit dem Film einfach in die Zeit und das Leben von Karl Marx abtauchen", resümiert dann auch das "Institut für Kino und Filmkultur" und empfiehlt "Der junge Karl Marx" ohne Einschränkung: "Der Film ist ein Muss für die Schulen und den Bildungsbereich, interessant und wichtig für den Geschichtsunterricht, für Sozialkunde, Politik, Deutsch, Philosophie, Ethik und Religion."
Peck will das geistige Potential von Marx sichtbar machen
Im Schatten des großen Barts von Karl Marx habe man vergessen, was der eigentliche Kern der Botschaft gewesen sei, meint Peck: "Er verhindert den tatsächlichen Beitrag dieses wissenschaftlichen und politischen Denkers zu entdecken, seine außergewöhnliche Kraft der Analyse, seine humanistischen Bestrebungen, seine berechtigten Sorgen über zum Beispiel die Verteilung des Wohlstands, die Kinderarbeit, die Gleichstellung der Geschlechter, die Ausdehnung der Märkte, die Globalisierung, usw. - Themen von höchster Aktualität, in Europa und anderswo."
"Der junge Karl Marx" startet am 2. März zunächst in den deutschen Kinos. In zahlreichen Städten wird die Kinopremiere von prominenten Paten aus der Politik begleitet. So stellen die "Linken"-Politiker Petra Pau und Katja Kipping den Film in Berlin und Dresden vor, Parteikollege Gregor Gysi ist bei der Premiere in Heidelberg dabei. Für die SPD kommt Thorsten Schäfer-Gümbel nach Lich zur Filmpremiere, Jürgen Trittin ist für die "Grünen" in Göttingen dabei.
Im November steigen die Feierlichkeiten zum 100. Geburtstag der Revolution in Russland. Es wird also noch genügend Gelegenheiten geben, über Pecks Film und seine Botschaft auch international zu diskutieren. Einen Starttermin für den Film in Russland gibt es im Übrigen noch nicht.
Mehr zum Film von Raoul Peck über den jungen Karl Marx in der neuen Ausgabe von KINO!