Stahlkocher demonstrieren bei Thyssenkrupp
31. August 2016Rund 7000 Stahlkocher haben nach Angaben der Gewerkschaft IG Metall in Duisburg für den Erhalt ihrer Arbeitsplätze demonstriert. Hintergrund ist die angespannte Lage beim Stahlkonzern Thyssenkrupp. Bei einer Sitzung des Aufsichtsrats der Stahlsparte stand unter anderem ein Sparprogramm auf der Tagesordnung. Für zusätzliche Verunsicherung sorgen daneben laufende Gespräche mit dem indischen Konkurrenten Tata über einen möglichen Zusammenschluss.
Ob es Beschlüsse geben wird, war zunächst unklar. Angesichts weiterer Sparanstrengungen hatte das Unternehmen auch Schließungen einzelner Werke zuletzt nicht ausgeschlossen. Der Betriebsrat befürchtet, dass von den rund 19.000 Beschäftigten der Stahlsparte zwischen 3000 und 4000 von Stellenstreichungen betroffen sein könnten. Mit der Vorlage konkreter Pläne durch den Vorstand der Thyssenkrupp Steel AG wird aber erst im kommenden Jahr gerechnet.
Belegschaft will Klarheit haben
Der NRW-Bezirksleiter der IG Metall, Knut Giesler, forderte die Vorlage konkreter Informationen als Voraussetzung für Gespräche. Die Beschäftigten bräuchten endlich Klarheit darüber, welche Ziele sich der Konzern mit den angekündigten Programmen zur Konsolidierung und Restrukturierung vornehmen wolle, so Giesler. "Die Belegschaft will Klarheit haben, was Sache ist. Die Kollegen sind besorgt", sagte Stahlbetriebsratschef Günter Back der Nachrichtenagentur Reuters.
Thyssenkrupp führt seit Monaten Fusionsgespräche mit dem indischen Konkurrenten Tata. Das Management hat zudem klargemacht, dass es auch ohne einen Zusammenschluss weitere Restrukturierungen geben wird. Die Arbeitnehmervertreter fühlen sich vom Management um Konzernchef Heinrich Hiesinger und Stahlchef Andreas Goss unzureichend informiert.
Schwerindustrie unter Druck
Betriebsräte haben kritisiert, Konzernchef Hiesinger habe noch nicht einleuchtend erklärt, warum eine Konsolidierung in der Stahlbranche überhaupt notwendig sei. Zudem habe Tata eine Reihe von Problemen, etwa das verlustreiche Werk im britischen Port Talbot und milliardenschwere Pensionslasten. Die Arbeitnehmervertreter befürchten, dass Hiesinger Standorte schließen könnte. Die Thyssenkrupp-Stahlsparte beschäftigt rund 27.000 Mitarbeiter. Der Schwerindustrie machen seit Jahren Überkapazitäten, Billigimporte aus China und immer schärfere Klimaschutz-Auflagen zu schaffen.
Nach Einschätzung des Stahlexperten des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung, Roland Döhrn, müssen derzeit vor allem kleinere Werke um ihre Zukunft fürchten. "Ich könnte mir vorstellen, dass auch in Nordrhein-Westfalen Standorte auf der Kippe stehen", sagt Döhrn. Massive Gefahren sehen die Betriebsräte derzeit vor allem für die Werke in Duisburg-Hüttenheim oder für den durch mehrere Schließungen in der Vergangenheit besonders stark betroffenen Standort Bochum. Insgesamt könnten nach Einschätzung von Betriebsräten dadurch bis zu 4000 Jobs in Gefahr sein.
Ohne Standortschließungen kein Aufwärtstrend?
Der Vorsitzende des Thyssenkrupp-Gesamtbetriebsrats Willi Segerath zeichnet derzeit ein noch weit düsteres Szenario. In Deutschland könnten bis zu 25.000 Arbeitsplätze in Gefahr geraten, darunter ein Großteil in Nordrhein-Westfalen, meint er. Weltstahlverbands-Chef Wolfgang Eder hatte in dieser Woche im Gespräch mit dem "Handelsblatt" erneut auf massive Überkapazitäten in Europa und die Bedrohung von Zehntausenden Arbeitsplätzen hingewiesen. "Wir müssen den Mut aufbringen, auch Standorte zu schließen und Kapazitäten anzupassen, sonst werden wir unsere Probleme nie lösen", forderte der Manager, der auch Chef des österreichischen Stahlkonzerns Voestalpine ist.
Thyssenkrupp-Stahlchef Andreas Goss hatte zuletzt bei einer Betriebsräte-Konferenz vor knapp zwei Wochen erneut auf die anhaltend schwierige Lage hingewiesen. "Wenn unser Stahlgeschäft eine Zukunft haben soll, können wir nicht die Augen davor verschließen, dass wir unterausgelastete Anlagen haben und es massive Überkapazitäten im Markt gibt", so der Manager damals. An der aktuell extrem ungünstigen Situation mit einer stagnierenden Nachfrage und steigender Kosten werde sich in absehbarer Zeit nichts ändern, so der Manager. Trotz bereits erzielter Ergebnisverbesserungen durch ein Effizienzprogramm müsse das Unternehmen "ganz nüchtern" feststellen, dass der Stahl in dem Industriekonzern in den vergangenen Jahren seine Kapitalkosten nicht verdient habe, und auch im laufenden Geschäftsjahr weit davon entfernt sei. Auch RWI-Stahlexperte Döhrn sieht die Margen in der Branche durch die seit Jahresbeginn wieder steigenden Rohstoffkosten zunehmend unter Druck.
Auf der Aufsichtsratsitzung sollte es unter anderem um eine neue Struktur für die Stahlsparte gehen, mit sich der Konzern im Zuge des Programms "One Steel" näher an den Kunden orientieren will. Betriebsräte befürchten, dass dies auch zulasten der Beschäftigten geht. "Wir werden der Organisationsänderung heute nicht zustimmen", kündigte der stellvertretende Aufsichtsratschef Detlef Wetzel an. Der Vorstand habe vier Wochen Zeit, eine Reihe von Fragen zu beantworten, etwa ob er im Jahr eher 13 Milliarden Tonnen Stahl produzieren wolle oder nur knapp zehn. Danach könne über die Änderungen auf einer außerordentlichen Aufsichtsratssitzung entschieden werden. "Aus One Steel darf nicht Ohne Steel werden", sagte Betriebsratschef Back.
mas/ds (dpa, rtr)